2 - Die Maschine steht still - eine szenische Lesung [ID:7883]
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Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Stellt euch ein kleines Zimmer vor. Sechseckig wie die Zelle einer Bienenwabe.

Es hat weder ein Fenster noch eine Lampe und doch ist es von einem sanften Leuchten erfüllt.

Es gibt keine Abluftöffnung und doch ist die Luft unverbraucht.

Es sind keine Instrumente zu sehen und doch wird dieses Zimmer von wohligen Klängen durchpulst.

In der Mitte steht ein Sessel, daneben ein Lesepult. Mehr Mobiliar gibt es nicht.

In dem Sessel sitzt ein in Tücher gewickelter Fleischberg. Eine Frau über anderthalb Meter groß

mit einem Gesicht weiß wie Pilz. Ihr gehört das kleine Zimmer. Eine Klingel läutete.

Die Frau legte einen Schalter um und die Musik verstummte.

Ich werde wohl nachsehen müssen, wer da ist.

Sie setzte ihren Sessel in Bewegung. Dieser wurde mechanisch gesteuert und so rollte sie nun ans

andere Ende des Zimmers, wo die Klingel noch immer aufdringlich läutete.

Wer ist da? Seit die Musik spielte, war sie wiederholt gestört worden. Sie hatte tausende

Bekannte. In gewissen Bereichen konnte die menschliche Kommunikation erhebliche Fortschritte

verzeichnen. Nun gut, unterhalten wir uns. Ich isoliere mich jetzt. Ich gehe nicht davon aus,

dass in den nächsten fünf Minuten etwas wichtiges passiert, denn genau die bekommst du von mir,

Kuno. Ganze fünf Minuten. Danach muss ich einen Vortrag über die Musik der australischen Periode

halten. Sie betätigte den Isolationsknopf, so dass sie niemand mehr erreichen konnte, tippte

mit dem Finger an den Lichtapparat und das kleine Zimmer versank in Dunkelheit. Mach schnell, Kuno,

ich sitze hier im Dunkeln und verschwende meine Zeit. Ganze 15 Sekunden vergingen, bis die Scheibe

in ihren Händen aufleuchtete. Ein erst blaues, dann dunkelviolettes Licht zuckte Schwarte rüber hinweg

und schon war ihr Sohn, der auf der anderen Seite der Erde lebte, zu sehen und er sah sie. Kuno,

wie lange du brauchst. Du scheinst mir gern zu trödeln. Ich rufe dich zum ersten Mal an,

Mutter, aber du bist immer beschäftigt oder isoliert. Ich habe dir etwas wichtiges zu sagen.

Was denn, mein lieber Junge? Schnell doch. Weshalb keine Rohrpost? Weil ich es dir persönlich sagen

will. Ich möchte, dass wir uns sehen. Aber ich sehe dich doch. Was willst du mehr? Ich will dich

nicht durch die Maschine sehen. Ich will dich auch nicht durch die lästige Maschine sprechen. Sei

still. Du darfst dich nicht maschinenfeindlich äußern. Das hört sich an, als hätte ein Gott die Maschine

erschaffen. Wahrscheinlich betest du zu ihr, wenn es dir nicht gut geht. Vergiss nicht, die Menschen

haben sie erschaffen. Begnadete Menschen, aber doch Menschen. Die Maschine ist vieles, aber nicht

alles. Obwohl ich auf dieser Scheibe etwas sehe, das dir ähnlich ist, sehe ich nicht dich. Obwohl

ich durch den Fernsprecher etwas höre, das dir ähnlich ist, höre ich nicht dich. Deswegen will

ich, dass du zu mir kommst. Komm und bleib ein wenig. Komm mich besuchen. Dann können wir

Aug in Aug über die Hoffnungen sprechen, die mich bewegen. Für einen Besuch werde ich kaum die nötige

Zeit haben. Mit dem Luftschiff bist du in weniger als zwei Tagen bei mir. Luftschiffe sind mir zu

wieder. Warum? Weil es mir zu wieder ist, die furchtbare braune Erde zu sehen, das Meer und

nachts die Sterne. In einem Luftschiff komme ich nicht auf Ideen. Ich bekomme sie nirgendwo

sonst. Auf was für Ideen kann die Luft einen schon bringen? Kennst du denn nicht die vier großen

Sterne, die ein Viereck bilden, in dessen Mitte drei weitere Sterne dicht beieinander stehen,

an denen wiederum drei weitere Sterne hängen? Nein, Sterne sind mir zu wieder. Aber dich haben

sie wohl auf eine Idee gebracht? Interessant. Erzähl mir davon. Ich fand sie sahen aus wie

ein Mann. Die vier großen Sterne sind Schultern und Knie. Die drei Sterne in der Mitte sind der

Gürtel, den die Menschen früher trugen. Und die drei hängenden Sterne sind das Schwert. Das Schwert?

Die Menschen trugen Schwerte. Sie töteten Tiere damit und andere Menschen. Das scheint mir keine

besonders gute Idee zu sein, aber immerhin ist sie originell. Wann hattest du sie zum ersten Mal? Im

Luftschiff. Er verstummte. Sie nahm an, dass er niedergeschlagen war. Ganz sicher konnte sie nicht

sein, denn die Maschine übertrug kein Minenspiel. Wie die Menschen aussahen, davon vermittelte sie

nur eine ungefähre Vorstellung. Das unwägbare Fluidum, das einer überkommenen Weltanschauung

zufolge das Wesen einer jeden zwischenmenschlichen Begegnung ausmachte, war der Maschine gleichgültig.

Offengestanden will ich die Sterne wiedersehen. Sie sind so sonderbar. Aber diesmal nicht vom

Teil einer Videoserie :

Presenters

Stefan Rieger Stefan Rieger

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

01:14:16 Min

Aufnahmedatum

2017-05-15

Hochgeladen am

2017-06-07 11:23:28

Sprache

de-DE

Mit der künstlerischen Ausarbeitung des Textes entsteht eine erste Annäherung an den Stoff, die alle am Projekt interessierten zum Zuhören, Nach- und Weiterdenken animiert. Gestaltet wird die szenische Lesung ganz im Sinne des Projektes von Studierenden der Schlüsselqualifikationskurse zu Sprechen und Auftreten, funklust-Machern sowie Universitätsangestellten unter der Leitung von Stefan Rieger, Dozent am ZiWiS.

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