Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Jubiläumsjahre verführen dazu, den Jubilar im weichen Licht lobhudelnder Verehrung erscheinen
zu lassen. Bei Gottfried Leibniz ist es besonders leicht, dieser Versuchung zu erliegen, ging ihm
doch schon zu Lebzeiten der Ruf voran, eine geradezu übermenschliche Gelehrsamkeit in
sich zu vereinen. Die nachfolgenden Generationen haben bis heute nicht nachgelassen, an diesen
Nimbus zu feilen und zu polieren. So wird er uns in diesem Jahr wieder vorgeführt werden,
als der, der alles in seiner Zeit wusste und verstand, als der, der zugleich Philosoph,
Mathematiker, Physiker, Theologe, Historiker, Jurist, Diplomat und genialer Wissenschaftsorganisator
war und als der, mit dessen Tod die Zunft der Universalgelehrten ausgestorben ist.
Als ersten Universalgelehrten betrachtet man für gewöhnlich Aristoteles. Wer sich aber
näher mit Leibniz beschäftigen möchte, in der Hoffnung, bei ihm auf ähnlich wirkmächtige
Ideen und Werke zu stoßen, wie beim großen Aristoteles, muss sich auf Enttäuschungen
gefasst machen. Leibniz hat viele Ideen produziert, aber im Gegensatz zu Aristoteles hat er nur
wenige ausreifen lassen. Er ist in viele Rollen geschlüpft, aber ist kaum einer längere Zeit
treu geblieben. Seine Persönlichkeit erscheint in einem seltsamen schillernden Licht, mal
genialer Denker, mal Hans Dampf in allen Gassen. Da haben wir Leibniz als Philosophen, der versucht
hat, ein System der Substanzmetaphysik zu konstruieren, das dem Anspruch nach all umfassend und zugleich
in sich geschlossen war. Allerdings wurde das System nicht einmal in geschlossener Form
zu Papier gebracht. Die Bruchstücke wurden und werden zwar mit Respekt zur Kenntnis genommen,
so richtig wohl gefühlt hat sich in diesem System bis heute aber noch niemand. Man spricht
zwar von der Leibniz-Wolfschen Schule, aber das ist in mehrerer Hinsicht falsch. Leibniz
selbst hatte nie gelehrt und hatte deshalb auch keine Schüler. Schüler hatte wiederum
Christian Wolf, der sich aber nicht als Nachfolger von Leibniz sah und dies wohl zurecht. Dann
haben wir Leibniz als Mathematiker. Leibniz hat eine Rechenmaschine gebaut und erste Schritte zu
einer Kalkültheorie unternommen. Außerdem hat er die uns heute geläufige Schreibweise der
Infinitesimalrechnung erfunden und erste Rechenregeln für die Infinitesimalrechnung aufgestellt. Das sind
sicher bleibende Verdienste. Dem Anspruch die Infinitesimalrechnung begründet zu haben, sind
allerdings schon zeitgenössische Mathematiker wie Johann Bernoulli mit Skepsis begegnet,
denn Beweise hat Leibniz für seine Rechenregeln nicht vorliegen können. Leibniz als Historiker.
Es gehörte zur Dienstaufgabe von Leibniz eine Geschichte des Welfengeschlechts zu schreiben.
Er verbrachte sein halbes Leben mit diesem Projekt, blieb aber mit seiner Geschichte schon
im elften Jahrhundert stecken. Denn wenn sich ein Leibniz mit Geschichte befasst, dann nicht in der
Absicht eine publik Fürstengeschichte zu schreiben, sondern etwas Großes und Bedeutsames wie eine
Reichsgeschichte des frühen Mittelalters. Diese Absicht paarte sich aber auf unglückliche Weise
mit seinem emotionalen Vorbehalt gegenüber der Geschichtsschreiberei, die er als ein langweiliges
Geschäft empfand, das ihn immer davon abhielt, interessanteren Fragen nachzugeben. Also im
Wesentlichen kann man sagen, außer erheblichen Spesen nichts gewesen. Und schließlich Leibniz
als Wissenschaftsorganisator und Politiker. Leibniz wird gefeiert als der Begründer der
kurfürstlich-brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften, die hieß dann später königlich
preußische Sozietät der Wissenschaften. Und als einer der führenden Verfechter des Akademiegedankens
in Deutschland und Europa des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts. Und in der Tat war
Leibniz der erste Präsident der Brandenburger Sozietät und hat durch Denkschriften und Anregungen
zu Akademiegründungen in Dresden, Wien und St. Petersburg beigetragen. Allerdings nahm das
Berliner Projekt einen eher schleppenden Verlauf und die anderen Projekte wurden gar nicht von ihm
oder mit ihm gegründet. Wie kann jemand, der so vieles angefangen, aber dann doch nur so wenig
zu einem guten Ende gebracht hat, so berühmt werden? Gerade die Rolle von Leibniz als Wissenschaftsorganisator
ist geeignet, der Frage auf diese Antwort näher zu kommen. Ich möchte ihm folgendes zeigen,
wie Leibniz die im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert kursierenden Ideen zur
Umgestaltung der akademischen Landschaft aufgriff, ihnen geschickt eine neue Stoßrichtung verlieh,
die das Interesse der Landesherren weckte, wodurch er sich Aufmerksamkeit und Reputation erwarb.
Presenters
Dr. Rudolf Kötter
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:57:03 Min
Aufnahmedatum
2016-04-28
Hochgeladen am
2016-06-22 09:54:01
Sprache
de-DE
„Wir beginnen mit einem Blick auf Leibniz' wissenschaftstheoretisches Programm im zeitgenössischen Kontext. An erster Stelle steht der Gedanke einer Universalwissenschaft, dann die Idee einer universellen Kalkülsprache sowie die Konzeption von Logikkalkülen. Nach einigen allgemeinen Erläuterungen zu Kalkülen betrachten wir die Stufen des Leibnizschen Kalkülprogramms mit arithmetischen und algebraischen Kalkülen, womit das logische Folgern zu Formen des regelgeleiteten "mechanischen" Rechnens wird. Aus einer allgemeinen zeichentheoretischen Perspektive ist das Rechnen selbst für Leibniz eine besondere Form des symbolischen Schließens. Der Leibnizschen Konzeption werden moderne Formen der Wissensrepräsentation in der Form logik-basierter Programmierung und durch Anwendung von Techniken des sog. "Semantischen Web" gegenüber gestellt. Im Zusammenhang der Arithmetisierung der Kalküle werfen wir einen kurzen Blick auf Leibniz' Einführung des Dualsystems und seine Idee einer binären Rechenmaschine. Praktisch umgesetzt hat Leibniz aber seine Überlegungen zur Mechanisierung des Rechnens mit dem innovativen Entwurf und Bau einer mechanischen Vier-Spezies-Rechenmaschine, die das Vorbild für alle späteren mechanische Rechenmaschinen wurde.“