4 - „Eine Uni – ein Buch“ beim Erlanger Poetenfest [ID:8303]
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Stellt euch ein kleines Zimmer vor, sechseckig, wie die Zelle einer Bienenwabe.

Es hat weder ein Fenster noch eine Lampe und doch ist es von einem sanften Leuchten erfüllt.

Es gibt keine Abluftöffnung und doch ist die Luft unverbraucht. Es sind keine Instrumente zu

sehen und doch wird dieses Zimmer von wohligen Klängen durchpulst.

In der Mitte steht ein Sessel, daneben ein Lesepult, mehr Mobiliar gibt es nicht.

In dem Sessel sitzt ein in Tücher gewickelter Fleischberg, eine Frau,

etwa anderthalb Meter groß mit einem Gesicht weiß wie Pilz. Ihr gehört das kleine Zimmer.

Eine elektrische Klingel läutete, die Frau legte einen Schalter um und die Musik verstummte.

Sie setzte ihren Sessel in Bewegung, dieser wurde mechanisch gesteuert und so rollte sie

ans andere Ende des Zimmers. Seit die Musik spielte, war sie wiederholt gestört worden.

In gewissen Bereichen konnte die menschliche Kommunikation erhebliche Fortschritte verzeichnen.

Nun gut, unterhalten wir uns, ich isoliere mich jetzt. Ich gehe nicht davon aus,

dass in den nächsten fünf Minuten etwas Wichtiges passiert, denn genau die bekommst du von mir,

Kuno, ganze fünf Minuten. Sie betätigte den Isolationsknopf, so dass sie niemand

mehr erreichen konnte, tippte mit dem Finger an den Lichtapparat und das kleine Zimmer versank

in Dunkelheit. Mach schnell, Kuno, ich verschwende meine Zeit. Ganze 15 Sekunden vergingen,

bis die Scheibe in ihren Händen aufleuchtete. Ein erst blaues, dann dunkelviolettes Licht

zuckte schwach darüber hinweg und schon war ihr Sohn, der auf der anderen Seite der Erde

lebte zu sehen und er sah sie. Ich rufe nicht zum ersten Mal an, Mutter, aber du bist immer

beschäftigt oder isoliert. Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen. Was denn, mein lieber Junge?

Weshalb keine Ruhrpost? Weil ich es dir persönlich sagen will. Ich möchte, dass wir uns sehen.

Aber ich sehe dich durch dich doch. Was willst du mehr? Ich will dich nicht durch die Maschine

sehen. Ich will dich auch nicht durch die lästige Maschine sprechen. Sei still! Du darfst dich nicht

maschinenfeindlich äußern. Das hört sich an, als hätte ein Gott die Maschine erschaffen.

Vergiss nicht, die Menschen haben sie erschaffen. Begnadete Menschen, aber doch Menschen. Obwohl

ich auf dieser Scheibe etwas sehe, das dir ähnlich ist, sehe ich nicht dich. Obwohl ich durch den

Fernsprecher etwas höre, das dir ähnlich ist, höre ich nicht dich. Deswegen will ich, dass du zu mir

kommst. Für einen Besuch werde ich kaum die nötige Zeit haben. Mit dem Luftschiff bist du in weniger

als zwei Tagen bei mir. Luftschiffe sind mir zuwider, weil es mir zuwider ist, die furchtbare braune

Erde zu sehen, das Meer und nachts die Sterne. In einem Luftschiff komme ich nicht auf Ideen.

Er verstummte. Sie nahmen an, dass er niedergeschlagen war. Ganz sicher konnte sie nicht sein,

denn die Maschine übertrug kein Minenspiel. Das unwegbare Fluidum, das einer überkommenen

Weltanschauung zufolge das Wesen einer jeden zwischenmenschlichen Begegnung ausmachte,

war der Maschine gleichgültig. Offen gestanden, sagte Kuno, will ich die Sterne wiedersehen.

Aber nicht vom Luftschiff, sondern von der Erdoberfläche aus. Du musst zu mir kommen,

Mutter, damit du mir erklärst, was schlecht daran sein soll, an die Erdoberfläche zu gehen.

Die blaue Scheibe verblasste. Er hatte sich isoliert. Einen Moment lang fühlte Wasch,

die sich einsahm. Dann erzeugte sie Licht und der Anblick ihres hell erleuchteten Zimmers

mit all seinen elektrischen Knöpfen richtete sie wieder auf. Sie waren überall. Mit ihnen

ließ sich Nahrung, Musik und Kleidung anfordern. Es gab einen Knopf für Warmbäder. Es gab einen

Knopf für Literatur. Und natürlich gab es jene Knöpfe, die es ihr ermöglichten, mit ihren

Freunden zu kommunizieren. Als nächstes betätigte sie wieder den Isolationsknopf und die Anfragen

der letzten drei Minuten stürzten auf sie ein. Der Raum war vom Lärm der Klingeln und

Kommunikationsröhren erfüllt. Sie ließ sich Nahrung zuführen, unterhielt sich mit Freunden,

nahm ein Bad und forderte schließlich ihr Bett an. Das Bett war nicht nach ihrem Geschmack.

Eine Beschwerde wäre zwecklos gewesen. Überall auf der Welt waren die Betten gleich groß und

Abweichungen hätten weitreichende Modifizierungen in der Maschine erforderlich gemacht. Neben ihr,

auf dem kleinen Lesepulk, lag ein Überbleibsel aus dem Zeitalter der Unordnung. Es handelte

sich um das Buch der Maschine. In ihm fanden sich Anweisungen für jeden erdenklichen Zwischenfall.

Es wurde vom Zentralgremium herausgegeben. Sie setzte sich auf und nahm es ehrfürchtig in die

Teil einer Videoserie :

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

01:20:23 Min

Aufnahmedatum

2017-08-25

Hochgeladen am

2017-09-11 10:24:48

Sprache

de-DE

Eine Veranstaltung des Erlanger Poetenfests in Kooperation mit der FAU.

In seiner Erzählung „Die Maschine steht still“ hat der britische Schriftsteller E. M. Forster bereits vor mehr als 100 Jahren die Entwicklung des Internets der Dinge vorweggenommen. Er zeichnet eine Dystopie, in der das menschliche Leben perfekt durch die „Maschine“ geregelt wird, mit allem Komfort und aller Abhängigkeit von der Technik. Dabei wirft das 1909 veröffentlichte Werk aktuelle Fragen auf: Was bedeutet Selbstbestimmung in einer immer stärker durch Informationstechnologie geprägten Welt und wie kann man sie wahren gegenüber Maschinen, die unser Leben bestimmen?

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