2 - Wissenschaftsfreiheit in China - Lehr- und Forschungsfreiheit [ID:52415]
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Bereits in den 1990ern wurden eine Reihe von Gesetzen erlassen, die für die Lehre und

Forschungsfreiheit an staatlichen Hochschulen in China wichtig sind.

Während der Präsidentschaft von Xi Jinping wurden weitere Vorschriften erlassen,

die insbesondere darauf abzielen, das Verhalten von Lehrpersonal zu standardisieren.

Bereits im Jahr 2011 zeigte sich dieser Trend. Damals wurde der Kodex für die Berufsethik von

Hochschullehrenden unter anderem vom chinesischen Bildungsministerium herausgegeben. 2018 folgten

dann die zehn Richtlinien für das berufliche Verhalten von Hochschulpersonal in der neuen Ära.

Dabei geht es um die Rolle von Lehrenden in der moralischen Erziehung von Studierenden,

die sogenannte Berufsethik. Unter dem Deckmantel der sogenannten Berufsethik forciert der

Parteistadt insbesondere das parteilinienkonforme Verhalten des Lehrpersonals. So gehören

beispielsweise Patriotismus und eine korrekte politische Orientierung auch zur Berufsethik des

Lehrpersonals. Die Berufsethik wurde inzwischen in die jährliche Leistungsbeurteilung von

Lehrenden an Hochschulen integriert. Zur Durchsetzung der neuen Vorschriften wurden 2018 die leitenden

Ansichten zur Handhabung von Verstößen gegen die Berufsethik von Hochschullehrenden vom chinesischen

Bildungsministerium erlassen. Im November 2021 zirkulierte zudem ein Entwurf einer überarbeiteten

Fassung des Lehrergesetzes. Er integriert die allumfassende Führung der Partei über das

Lehrpersonal und auch teilweise die ideologischen Vorgaben, die in den zehn Richtlinien von 2018

und in dem Verhaltenskodex von 2011 verankert sind.

Seit 2017 ist ein Parteiorgan, nämlich die Parteikomiteeabteilung für die Arbeit des

Lehrpersonals, explizit in die jährliche Leistungsbeurteilung von Wissenschaftlerinnen

und Wissenschaftlern involviert. Diese Abteilung soll die Berufsethik von Lehrenden in Form eines

Veto-Kriteriums überprüfen. Die Berufsethik ist inzwischen im Rahmen der jährlichen Leistungsbeurteilung

das wichtigste Prüfungskriterium. Das heißt, wird die Berufsethik nicht bestanden, dann muss die

ganze Prüfung als nicht bestanden bewertet werden und der Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin

soll auch sanktioniert werden. Und wir können sehen, dass Hochschulen diese Anforderung in

zwischen auch umgesetzt haben und die Berufsethik ganz klar als wichtigstes Kriterium in der

Leistungsbeurteilung aufführen. Hochschulen sind berechtigt, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen

aufgrund von wissenschaftlichem Fehlverhalten, Rechtsverstößen, Disziplinarverstößen oder

Verstößen gegen die Berufsethik zu sanktionieren. Grundsätzlich scheint es so, dass formelle

Strafverfahren selten eingeleitet werden. Universitätsinterne Disziplinarmaßnahmen dagegen

häufiger. Oft kommen subtile Sanktionsmechanismen zum Einsatz, wie zum Beispiel die Einschränkung

der Mobilität. In China dürfen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nicht ohne Genehmigung

zum Beispiel an Konferenzen teilnehmen oder Forschungsreisen machen. Sie müssen sich dafür

eine Genehmigung einholen und dürfen für diese Reisen außerdem nur ihre Dienstpässe verwenden,

die die Universität verwaltet. Allerdings sind die Anforderungen an solche Reisen sehr hoch und wir

haben Gesprächspartnerinnen mitgeteilt, dass die Hürden teilweise so hoch sind, dass die Reisen

gar nicht erst antreten, weil sie nicht davon ausgehen, eine Genehmigung zu erhalten. Oder

beispielsweise werden Genehmigungen erst sehr kurzfristig erteilt, sodass die Reise gar nicht

mehr umzusetzen ist. In chinesischen Hochschulen gibt es natürlich gewisse Kontrollmechanismen,

die immer präsent sind. Dazu gehört beispielsweise die Videoüberwachung in Klassenräumen.

Allerdings gibt es auch Zensurmaßnahmen, wie beispielsweise die Entfernung bestimmter

Bücher aus den Bibliotheken, damit vielleicht kritische, vermeintlich kritische Literatur

nicht mehr gelesen werden kann. Um staatliche Fördermittel zu erhalten, wird in den Geistes-

und Sozialwissenschaften, wie auch in den Natur- und Technikwissenschaften politische Konformität

verlangt. In Gesprächen wurde mir beispielsweise berichtet, dass Projektanträge für Drittmittel

grundsätzlich von der Institutsleitung geprüft werden und hier durchaus Vorschläge gemacht werden,

inwiefern man den Antrag eben auf der politischen Ebene verbessern kann. Und hier geht es beispielsweise

dann darum, pro forma die Gedanken von Xi Jinping aufzunehmen, um eben den Erfolg auf

Drittmittel zu erhöhen. Das wurde noch nicht mal als Kritik aufgefasst von den Betroffenen,

sondern schlicht als ein wichtiger Ratschlag, um in dem System erfolgreich zu sein.

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:08:35 Min

Aufnahmedatum

2024-04-16

Hochgeladen am

2024-04-19 10:26:20

Sprache

de-DE

Grundlage für dieses digitale Angebot ist eine Publikation von Alexandra Kaiser, die im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts "Wissenschaftsfreiheit in der Volksrepublik China" entstanden ist. Das Einführungsbuch beleuchtet zentrale Aspekte der Lehr- und Forschungsfreiheit von Wissenschaftler*innen in China und die Frage der institutionellen Autonomie chinesischer Hochschulen. Es richtet sich an Wissenschaftler*innen und Hochschulen in Deutschland, die mit Wissenschaftler*innen und/oder Institutionen in China kooperieren und sich einen Überblick über das chinesische Wissenschaftssystem verschaffen möchten. Es eignet sich ebenfalls als Studienbuch für Studierende der Sinologie und modernen China-Studien wie auch für Studierende anderer Fächer, die einen Studienaufenthalt in China planen.

Das Buch ist hier abrufbar.

 

Tags

China wissenschaftsfreiheit Einschränkungen Lehr- und Forschungsfreiheit
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