Wenn von Festivals die Rede ist, geraten viele ins Schwärmen.
Manche denken an die große Oper unter freiem Himmel, andere an Zelte,
Schlamm und Drogen und wieder andere fühlen sich zu genussvollen,
kulturkritischen Tiraden animiert. Festivals haben ihren festen Platz und
kulturellen Leben der Gegenwart. Sie sind zumeist kein exklusives Vergnügen für
eine Bildungselite, sondern eine weit verbreitete und nicht zuletzt auch
touristische Attraktion, die von Reisebüros vermarktet und mit Omnibussen
angesteuert wird. Die Bedeutung von Festivals für das Gegenwartstheater
kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Ästhetisch und politisch
einflussreiches Theater mit überregionaler Ausstrahlungskraft findet
heute in erster Linie auf großen, oft internationalen Theaterfestivals statt,
wie etwa Avignon, Edinburgh, Berlin, Salzburg oder Amsterdam. Als Aufführungen
von Aufführungen, das heißt als eigens inszenierter Rahmen für
Theaterereignisse aller Art, scheinen Festivals besondere Möglichkeiten der
Zuschaueransprache und der Erschließung neuer Zielgruppen zu eröffnen.
Neben der Theateraufführung selbst und um sie herum ist das Festival eine Art
Inszenierung zweiter Ordnung, die den Zweck verfolgt oder zumindest verfolgen
kann, die Zuschauer in eine spezifische Beziehung zueinander und zum
Aufführungsgeschehen zu verwickeln. Wie eine Art Metaregie kann die Leitung
eines Festivals versuchen, aus dem Zusammenwirken der ausgewählten
Präsentationen eine eigene ästhetische Erfahrung und oder auch politische
Effekte zu initiieren, die deutlich über das Wirkungspotenzial der einzelnen
Aufführung hinausgehen. Es können besondere Konstellationen und Räume
geschaffen werden, in denen sich Publikum und Akteure auch außerhalb der
eigentlichen Aufführung begegnen und miteinander interagieren.
Faszinierend ist schließlich der Gedanke mit Hilfe von Festivals zu einer
Internationalisierung oder sogar Interkulturalisierung der Theaterlandschaft
zu gelangen. Wie ausstrahlungskräftige Leuchttürme im unübersichtlichen
Gelände der theatralen Künste können Festivals so die Hoffnung dem einzelnen
Zuschauer in mehrfacher Hinsicht grenzüberschreitende Theatererfahrungen
ermöglichen. Das impliziert ein Versprechen auf Zugang zu herausragenden
Theaterereignissen anderer Kulturen, Regionen und Traditionen.
Diesen hochfliegenden Festival Träumen und Wünschen steht allerdings die
genervte Rede von einer Festivalitis entgegen und schon das Schlagwort von
einer Festivalisierung der Kultur oder einer Festivalisierung des Theaters, die
ja im Titel dieses Vortrags mit Fragezeichen versehen wurde, hat einen
negativen Beiklang. Auch die kritische Sicht auf Festivals lässt sich mit
wenigen Strichen skizzieren. Obwohl heute viele ganz gewöhnliche
Theater eigene Festivals organisieren, steht das Festivalwesen der
traditionellen Staats- und Stadttheaterstruktur, die in Deutschland
in weltweit einzigartiger Weise ausgeprägt ist, insgesamt eher als ein
Alternativmodell gegenüber. Die organisatorischen, ökonomischen und
strukturellen Unterschiede zwischen einem Festivalsystem und einem Stadt- und
Staatstheatermodell sind gravierend und das ist auch ein wichtiger
Ausgangspunkt für den Vortrag zu sagen, dass man es da wirklich mit zwei
einander auch entgegenstehenden Modellen zu tun hat, die sich potenziell
gegenseitig ersetzen könnten. Das macht glaube ich die Brisanz dieser Debatte
aus, dass man es da nicht unbedingt mit friedlicher Koexistenz zu tun hat
zwischen eben fest installierten Theaterinstitutionen und Festivals,
sondern dass da auch durchaus ein Konkurrenzverhältnis zwischen diesen
Presenters
Prof. Dr. Matthias Warstat
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:35:00 Min
Aufnahmedatum
2010-11-10
Hochgeladen am
2011-04-11 13:53:29
Sprache
de-DE