Gerhard Wiese im Interview [ID:12273]
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Herr Oberstaatsanwalt, ade. Gerhard Wiese, vielen Dank im Namen des Memoriums Nürnberger Prozesse,

nicht nur dafür, dass Sie sich für dieses Interview, für dieses kurze Interview,

für unser Archiv bereit erklärt haben, sondern auch dafür, dass Sie heute Abend diesen Vortrag

halten. Wir möchten Sie im Vorfeld dieses Vortrages einige Fragen stellen, die wir denken,

von allgemeinem Interesse sind. Die erste Frage bezieht sich auf das, was wir eben schon kurz

angesprochen hatten, den Umfang des Prozesses, was Zeugen betrifft, was die Anzahl der Verhandlungstage

betrifft. Was haben Sie seinerzeit als Staatsanwalt, der eben befasst war mit der Durchführung dieses

Prozesses als schwerste Herausforderung, als größte Schwierigkeit bei der Bewältigung dieses

Prozesses empfunden? Das waren zunächst rein sachliche Dinge. 22 Angeklagte, wo habe ich einen

Sitzungssaal für so viele Angeklagte, der im alten Justizgebäude von 1880, sehr schön getäfelten,

nicht ganz so schön wie hier, zu klein und der neue im Bau befindliche noch nicht fertig. Also

zuständig ist hier der Landgerichtspräsident, musste er sich tummeln und er hat mit der

Saalbauorganisation einen Vertrag geschlossen, wenn das im Bau befindliche Bürgerhaus Gallus

fertig ist, neun Monate für die Justiz. Alles schön und gut, aber was nicht fertig wurde,

war das Bürgerhaus Gallus. Aber wir mussten im Dezember anfangen, sonst wären die ganzen

Vorbereitungen zunächst mal hinfällig. Der Oberbürgermeister hat dann letztlich ein

Machtwort gesprochen und den Sitzungssaal der Stadtverordneten im Römer für eine Übergangszeit

zur Verfügung gestellt. Die haben wir auch eingehalten. Wir haben am 20. Dezember 1963

angefangen und waren Anfang April, wie vorgesehen, im Bürgerhaus Gallus. 185 Verhandlungstage,

350 Zeugen ungefähr, davon sehr viele aus dem Ausland, Polen, Russland, Israel, Österreich,

Mexiko, Südafrika, wohin sich die Überlebenden nach 45 alt verteilt haben. Und sie sind zu

diesem Verfahren alle gekommen, soweit sie reisefähig waren oder reisen durften. Das

heißt, die Zeugen aus der DDR, die von der Stasi vorvernommen waren und das nicht so

sagten, wie die Stasi das gerne haben möchte, kriegten keine Reisealarmnis. Das war das

eine. Und wie gesagt, die anderen Zeugen sind gekommen. Eine schwierige Situation für

die früheren Häftlinge, das erste Mal wieder in Deutschland, nur in deutscher Sprache,

und dann wiederbelebt, das, was sie versucht haben zu verdrängen, zu vergessen, musste

wieder aktualisiert werden. Sie waren etwas vorbereitet durch die Zeugenvernehmung, sei

es durch polnische Behörden, sei es durch meine Kollegen. Aber wenn man in den Sitzungssaal

reinkommt, egal ob Gallus oder Römer, vor sich das alte Schwugericht, drei Richter,

sechs Geschworene, in der Mitte der Stuhl für Zeugen mit Mikrofon, auf der linken Seite

der Block, der angeklagten, jetzt 20 bei Beginn, mit ihren Verteidigern und noch Polizeibeamten,

war für die Zeugen schon eine große Belastung. Aber wir hatten eine sehr gute Dolmetscherin

für polnisch und russisch, die die Aussage nicht nur wörtlich übersetzten, sondern

auch in der Melodie der Sprache übertragen haben. Es konnte nicht ausbleiben, dass Zeugen

auch angefangen haben zu weinen und plötzlich nicht mehr sprechen konnten, Pausen einlegen,

und das zog sich dann bis ins Frühjahr 1965 hinein.

Eine Sache, die immer wieder aufkommt, die immer wieder angesprochen wird, wenn man von

dem ersten Auschwitzprozess spricht, ist dieser, ich sag mal in Anführungszeichen, legendäre

Ortstermin vor Ort im Lager Auschwitz. Welchen Wert messen Sie aus heutiger Sicht in der

Rückschau diesem Ortstermin aus juristischer Sicht zu? Auf der einen Seite, und auf der

anderen Seite, es ist immer wieder kolportiert worden, dass es ein sehr eindrucksvoller Termin

für diejenigen gewesen ist, die an dieser Delegation teilgenommen haben. Haben Sie

im Verhalten der juristischen Fachleute, die mit der Durchführung dieses Prozesses befasst

gewesen sind, sei es also auf Seiten der Staatsanwaltschaft oder auf Seiten der Verteidigung, irgendeine

Veränderung feststellen können? Ja, also ich war ja auch zum ersten Mal aus Zermin mit

in Auschwitz und hatten ein Pulk Verteidige dabei, Presse sowieso, und die Verteidiger

haben das, das merkte man so auf der Hinreise, weil wir auch am Samstag verspätet in Wien

waren und Sonntag, bis wir dann unser Charterflugzeug hatten, das so ein bisschen als Betriebsausflug

angesehen haben. Lockere Sprüche, aber im Laufe der Tage, wo wir unsere Hörproben

Presenters

Gerhard Wiese Gerhard Wiese

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:16:34 Min

Aufnahmedatum

2019-02-13

Hochgeladen am

2019-11-18 21:20:56

Sprache

de-DE

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