Was sagt die Bibel? Was sagen die Sterne Zukunft im Mittelalter?
Schrecken machten sich breit, Sonnenfinsternis, Orkanen, Erdbeben,
Seuchen und Hunger stehen bevor. Man schrieb das Jahr 1186.
War das Ende der Welt nahe? Der bis heute nicht eindeutig identifizierte
Verfasser des sogenannten Toledo-Briefes evoziert dieses apokalyptisches Szenario,
das naturwissenschaftlich als Folge einer Saturn-Jupiter-Konjunktion dargestellt wird.
Und dennoch stand damals der Weltuntergang bevor. Der Brief verbindet christliche Endzeiterwartung
und wissenschaftliche Prognostik durch Sterne, thematisiert also die Verbindung,
um die es im heutigen Vortrag unter anderem geht. Ob der Verfasser aus Toledo stammt, ist möglich.
Jedenfalls kursierte dieser prognostische Text wohl schon zu Beginn des zwölften Jahrhunderts
auch im Nahen Osten. Briefe wie dieser verweisen auf Zeitpunkte von Ereignissen,
die man bereits zu kennen glaubte. Aber einen genaueren Blick in die Zukunft wagen,
wer wollte das nicht? Schon in der Antike halfen Orakelsprüche, um die Zukunft richtig zu planen.
Aber können überhaupt Menschen Auskunft über die Zukunft geben? War es nicht Gott oder den
Göttern vielleicht ihren Helfern vorbehalten, dies zu tun? Seitdem die Antike Mittelmeer weltweit
geent christlich geworden war und seitdem weiterhin größere Teile Europas durch
Missionierung zur lateinischen Christenheit gehörten, stand Zukunftsdeutung im Grunde
unter dem Zeichen biblischer Offenbarung. Dabei konnten neben der geheimen Offenbarung des Johannes
auch die Traditionen der Propheten herangezogen werden. Diese geheime Offenbarung oder Apokalypse
bot aber Anlass zur Deutung von Geschichte und Endzeit. Sie wurde kommentiert, bildlich
dargestellt, in Visionen konkretisiert. Trotzdem blieben Fragen. Wann ist es so weit? Wie wird
das Ende sein? Was bedeutet dies für meine Zukunft? Neben schriftlich niedergelegten biblischen
Offenbarungen gab es persönliche Visionen mit weiteren Erläuterungen, außerdem Hinweise in
Zeichenform, beispielsweise durch die Sterne. Sie konnten für das persönliche Geschick entscheidend
werden. Aber durfte man sich auf die Sterne verlassen? Die Waisen aus dem Morgenland durften es,
als sie das göttliche Kind aufsuchten, um Gold, Weihrauch und Mürre zu schenken. Aber,
sagten die Sterne noch mehr, durften sie überhaupt grundsätzlich befragt werden?
Eine Einführung in die mittelalterlichen Traditionen von Apokalyptik, Visionen und
Astrologie ist vielfältig. Ich beschränke mich heute Abend auf einige Aspekte, die mit den
apokalyptischen Ausdeutungen des Mittelalters zusammenhängen. Mit Endzeiten und Zeitaltern,
mit den dazugehörigen Visionen und Jenseitsreisen und schließlich mit der für das Mittelalter oft
bisher unterschätzten konkurrierenden Bedeutung der Astrologie. Die Bibel kündet vor allem in der
geheimen Offenbarung der Apokalypse vom Ende der Zeiten. Entsprechend häufig kommentierte man
dieses Buch im Mittelalter. Dies gilt für den lateinischen Westen, denn im Osten fehlte die
Apokalypse oft in vielen Bibelhandschriften. Die zahlreichen Kommentare des Westens beeinflussten
mannigfach das Geschichtsverständnis. Besonders einflussreich wurde von den frühen Kommentaren
derjenige des Diconius, der sich bemühte, vom Buchstaben zum Geist und von der Vielfalt der
Bilder zur Einheit des Sinnes der Apokalypse zu gelangen. Er deutete die Visionen dieses Buches,
vor allem die sieben Siegel, Posaunen und Zornschalen, als Zeichen, die mehrfach
dasselbe rekapitulieren und also nicht chronologische Aussagen enthalten. Die
insgesamt elastische Auslegung wurde im frühen Mittelalter weitergetragen, vor allen Dingen
durch Caesarius von Arles oder durch Beatus von Liebana. Gerade der Kommentar dieses asturischen
Mönches hat wegen der ganz singulären Bilder in der späteren Überlieferung bis heute beeindruckt,
denn die Darstellungen des himmlischen Jerusalem und des Gerichtes suchen unter künstlerischen
Aspekten ihresgleichen. Hier finden Sie zum Beispiel in einer späteren Handschrift eine
Darstellung des himmlischen Jerusalem mit dem Lamm, dem Buch in der Mitte und den zwölf Portalen,
die dazugehören. Dann näher hin auch in einer weiteren Handschrift dieses Apokalypse-Kommentars
des Beatus von Liebana, das Gericht, wobei die Gerichtsszene hier wieder deutlich unterscheidet
zwischen den Erwählten und den Verstoßenen auf der einen und der anderen Seite. Oder Sie sehen
auch hier eine Detaildarstellung aus einem weiteren Überlieferungsträger dieses Apokalypse-Kommentars
Presenters
Prof. Dr. Klaus Herbers
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:48:45 Min
Aufnahmedatum
2010-06-23
Hochgeladen am
2020-03-20 09:46:45
Sprache
de-DE
Das christliche Mittelalter interessierte sich wie alle Gesellschaften für die Zukunft. Dabei waren christliche Traditionen prägend, aber keinesfalls uniform; antike Orakeltraditionen konnten in Form von prophetischen Weissagungen wieder aufleben. Der Vortrag thematisiert drei Aspekte: Vor dem Hintergrund einer biblischen Tradition scheint die Verbindung von Apokalypse und Geschichtstheologie auf der Ebene gelehrter Diskussionen geblieben zu sein. Demgegenüber dürfte, zweitens, der Blick ins Jenseits für viele besonders attraktiv gewesen sein. Hier erhielten biblische Prophezeiungen noch besser als in bildlichen Darstellungen ein konkretes Aussehen. Der Blick auf die Sterne erlebte schließlich, drittens, durch die großen Übersetzungen und Rezeptionsprozesse des 12./13. Jahrhunderts an den Grenzen Lateineuropas eine ganz neue Dynamik, die auch die theoretisch-philosophische Diskussion beflügelte. Hier versuchte man, christlichen Glauben, Astrologie und mantische Praktiken in ihrem Verhältnis zu bestimmen.