Die Musik
Applaus
Sehr verehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zum Autorenporträt International.
Mein Name ist Thomas Fröhlich, ich bin Zynologe an der Universität Erlangen-Nürnberg.
Es ist meine besondere Freude, den Gast des heutigen Abends Ihnen vorstellen zu können, den chinesischen Schriftsteller Liao Yu.
Er soll sich das vorhin ansehen.
Herr Liao hat mit seinem Buch für ein Lied und 100 Lieder, das vor rund einem Monat auf deutscher Schienen ist, weit über literarische Kreise hinaus und auch über die Landesgrenzen hinaus für großes Aufsehen gesorgt.
Bevor ich aber auf unseren Gast zu sprechen komme, möchte ich Ihnen die Übersetzerin des heutigen Abends vorstellen.
Das ist Frau Tianxi Martin Liao.
Applaus
Frau Martin Liao blickt auf eine langjährige Tätigkeit in Deutschland als Autorin und Übersetzerin zurück.
Sie war Leiterin des Richard-Wilhelm-Übersetzungszentrums in Bochum bis 2001.
Sie war danach tätig in einer leitenden Position in der LaoGai Research Foundation.
Das ist eine gemeinnützige Organisation, die über die Zustände in chinesischen Arbeitslagern informiert.
Frau Martin Liao ist seit 2009 Vorsitzende des unabhängigen chinesischen PenCenters.
Applaus
Herr Markus Hoffmann aus Berlin wird der Sprecher unseres heutigen Abends sein und den Passagen aus dem Buch von Herrn Liao Yu eine Stimme verleihen.
Herr Hoffmann ist Schauspieler, Hörbuchsprecher und Hörbuchproduzent.
Er ist Sprecher bei zahlreichen Hörspielen, literarischen Sendungen und Synchronisationen.
Applaus
Wir werden gleich eine musikalische Darbietung von Herrn Liao Yu hören.
Ich möchte aber zuvor Ihnen noch einige einführende Bemerkungen zu Herrn Liao Yu und zum geschichtlichen Hintergrund, vor dem er sein Werk verfasst hat,
sozusagen mit auf den Weg geben, damit das ganze Gespräch auch ein bisschen kontextualisiert werden kann.
Wer sich auch nur oberflächlich mit dem Lebensweg von Liao Yu vertraut macht, wird feststellen können,
dass sein persönliches Schicksal und auch sein literarisches Werk aufs engste mit der Geschichte Chinas verbunden sind.
Liao Yu wurde 1958 im Jahr des Hundes im Südwesten Chinas in der Provinz Sichuan geboren.
Es waren da gerade mal neun Jahre seit der Ausrufung der Volksrepublik China vergangen.
Das waren neun Jahre eines ökonomischen Wiederaufbaus nach Bürgerkrieg und Weltkrieg.
Zugleich wurde aber auch ein Parteistaat nach sowjetischem Vorbild errichtet.
Im Zuge von Kampagnen ging man bereits in der Frühphase der Volksrepublik mit äußerster Gewalt gegen Andersdenkende vor.
Das setzte sich dann auch in den 50er Jahren fort.
Das Jahr 1958 ist auch aus einem anderen Grund sehr wichtig, denn da fand eine große Kampagne statt, von einem Ausmaß, wie man es bislang nicht gekannt hatte.
Es ging um einen gesellschaftlichen und ökonomischen Komplettumbau, den man erreichen wollte.
Die Kampagne lief unter der Parole eines großen Sprungs nach vorn.
Dabei sollte die Landwirtschaft kollektiviert werden, militärisch organisiert,
und die Industrie, vor allem die Stahlindustrie, sollte explosionsartig ausgebaut werden.
Das Resultat war ein Scheitern der Kampagne mit katastrophalen Folgen.
Man spricht heute, schätzt, zwischen 16 und 46 Millionen Hundertoten bis Anfang 60er Jahre.
Herr Liao Yu wäre als Einjähriger beinahe eines dieser Opfer geworden.
Es folgte eine kurze Konsolidierungsphase Anfang der 60er Jahre, bis dann eine nächste, große Kampagne China in seinen Grundfesten erschütterte.
Die Rede ist von der Kulturrevolution.
Diese maoistische Mobilisierungskampagne führte auf ihrem Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 60er Jahre zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.
Liao Yu's Vater war damals Lehrer an einer Mittelschule und wurde als Reaktionär eingestuft.
Das hatte schwere politische und persönliche Folgen.
Die Eltern ließen sich zum Schutze der Familie scheiden, und auch die Mutter, bei der Liao Yu blieb, entging der Verfolgung nicht.
Die Familie wurde in sogenannten fünf schwarzen Gruppen zugerechnet.
Solche Klassifizierungen waren in der Volksrepublik China in gewisser Weise erblich.
Das waren also keine Klassenkategorien, aus denen man sich herausarbeiten konnte.
Die übertrug sich tatsächlich auch auf die zweite Generation.
Die Folge solcher Stigmatisierung waren prekäre Lebensverhältnisse für die Betroffenen.
Presenters
Prof. Dr. Thomas Fröhlich
Liao Yiwu
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:55:17 Min
Aufnahmedatum
2011-08-27
Hochgeladen am
2025-12-11 10:51:21
Sprache
de-DE
Lesung und Gespräch mit dem chinesischen Autor und Regimekritiker Liao Yiwu, dessen Texte in der Volksrepublik China verboten sind und der seit 2011 im deutschen Exil lebt. Neben einer Lesung aus seinem aktuellen Roman "Für ein Lied und hundert Lieder" führt Yiwu in diesem Autorenportrait zudem auch ein Gespräch mit dem Erlanger Sinologen Thomas Fröhlich, das das Leben im Widerstand schildert, das aber auch die chinesische Kultur näherbringt.