Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in allen Diskursen und Theorien über das Heilige wird dasselbe gefasst als das ganz andere, unzugängliche, unheimliche und schließlich undarstellbare.
Paradoxerweise, weil bezogen auf den emotionalen Grund des Gefühls, drängt aber gerade dieses Undarstellbare zur Darstellung und bedarf dazu einer materiellen Matrix oder Medien, Zeichensystemen, Symbolisierungen, Bildern, Texten, Architekturen, die auf seine Nichtdarstellbarkeit verweisen und die Kommunikation über diese emotive Pathosformel verstatten.
Gibt es also ein System, das einen privilegierten Zeichenfond vorhält, mittels dessen das Heilige nicht repräsentiert wird, sondern in dem quasi immediat performativ die Spur des Heiligen eingesenkt ist?
Und gibt es eine Kulturtechnik, die es erlaubt, jenseits jeder Sakralisierung oder Auratisierung dieses Heilige zu entbergen? Ja, sagen die Philologen des 19. Jahrhunderts, der Zeichenfond heißt Sprache und die Technik der Entbergung Ethymologie.
Einer der prominentesten dieser Philologen ist der Protagonist des heutigen Abends, Friedrich Max Müller oder einfach nur Max Müller. Wer war Max Müller? Wenn man diese Frage mit einem Satz beantworten müsste, würde man sagen, kein Geringerer als einer der Erfinder der Religionswissenschaft.
Da man aber als Erfinder nicht geboren wird, braucht es doch mehr als einen Satz. Max Müller wird 1823 in Dessau geboren und hat einen berühmten Vater. Wilhelm Müller, den Dichter, den Heinrich Heine für einen der Besten hielt, der die Griechenlieder, die schöne Müllerin und die Winterreise schrieb und der starb, als Max drei Jahre alt war.
Nach einem Studium der Philologien und der Philosophie veröffentlicht er 1844 mit nur 21 Jahren die indische Fabelsammlung Hithopadesha, die er aus dem Sanskrit übersetzt hatte.
Nach seiner Dissertation im selben Jahr wechselt er für kurze Zeit nach Berlin. 1845 zieht ihn sein besonderes Interesse für den Rigveda, eine Sammlung der ältesten heiligen Sanskrit-Texte, nach Paris zu Eugène Bournouf, einem der besten Kenner dieser Texte, um von ihm zu lernen.
Auf der Suche nach Geld für seine Editionspläne der Indito Print Caps des Rigveda kommt Müller im Juni 1846 nach England und wird hier bis zu seinem Tod 1900 bleiben.
Im April 1847 gelingt es, die East India Company davon zu überzeugen, das Geld für die Edition des Rigveda bereitzustellen. Der erste Band erschien 1849 und die gesamte Edition, sechs Bände, waren 1874 abgeschlossen.
1847 geht Müller nach Oxford, übernimmt 1850 eine Vertretungsprofessur für Modern European Languages an der Taylorian Institution und 1854 diese Stelle ganz.
Bereits 1851 in einer seiner ersten Vorlesungen gibt er zentrale theoretische und methodische Ausführungen zur Wert- und Stellung der vergleichenden Philologie, die er wie eine Naturwissenschaft begreift und deren Ziel es ist, qua vergleichende Analyse die Gesetze der Natur und die Entwicklung der Sprache zu entdecken.
1858 wird Müller Fellow des All Souls College, eine Position, die ihm ein ruhiges Arbeiten ohne größere Verpflichtungen vergönnt und 1868 wird eine Stelle für ihn geschaffen, nämlich der Chair of Comprehensive Philology.
Drei große Meilensteine seiner publizistischen Arbeiten der Folgejahre müssen erwähnt werden. 1874, dem Jahr, in dem die kritische Edition des Rigveda beendet wurde, hatte Müller die Idee zu einer Anthologie.
Die heiligen Texte der großen Religionen sollten erscheinen und die 50 Bände erschienen in den Folgejahren unter dem Titel The Sacred Books of the East oder wie er es gelingt, ich auch nannte seine Bibliotheca Sacra.
1878 erschienen seine Hibbert Lectures über den Ursprung und die Entwicklung der Religionen, 1888 bis 92 die vier Bände seiner Giffard Lectures. In beiden Werken legte er seine Grundideen der Religionswissenschaft dar.
Müller bewältigte diese riesige Publikationsmasse seiner letzten 25 Lebensjahre, alles in allem, also Edition und Bücher zusammen sind es mehr als 100 Werke.
Das konnte er nur schaffen, weil er 1875 seine Professur aufgab.
Dieser kurze Abriss kann nur einen kleinen Einblick in das facettenreiche Leben einer Persönlichkeit geben, die Welt rumgenoss, ob als Mitglied beinahe aller Akademien der Wissenschaften oder als Privy Counselor am Hof der Königin Victoria oder als Namensgeber indischer Goetheinstitute, die kurioserweise bis heute Max Müller-Bawan, also Max Müller ausreißen.
Umso erstaunlicher ist es, dass Müller bereits kurz nach seinem Tod 1900 dem Vergessen anheimfallen sollte.
Ein Schicksal, das er im Übrigen mit vielen seiner ebenfalls berühmten Philologenkollegen, zum Beispiel Hermann Usener, dem wohl berühmtesten Altphilologen, bei dem über die Hälfte der um die Jahrhundertwende tätigen Philologen Deutschlands studiert hatte, teilt.
Von Müller geblieben seien lediglich a few memorable phrases quoted in Textbooks.
Schreibt Tomoko Masuzawa 1993. Welche memorable phrases sind das?
Ich werde in folgenden die Zentralen dieser Phrases extrahieren und sie als Wegmarken von Müllers Exkursion zu den Ursprüngen des Heiligen lesen.
Müllers lebenslanges Projekt lässt sich mit einem seiner eigenen Ausdrücke ganz allgemein als lingoistische Archäologie oder lingoistische Palaeontologie beschreiben.
Und so ist es denn auch wenig verwunderlich, dass zur Darstellung sprachlicher, mythologischer und religiöser Phänomene, so wie die derzeit immer noch eine Vorgabe des Linguismus.
oder lingoistische Paleontologie beschreiben.
So ist es wenig verwunderlich,
dass zur Darstellung sprachlicher, mythologischer und religiöser Phänomene
und Fragestellungen seinen Weg durchzogen ist von Metaphern aus der Geologie,
für die er sich nachgewiesenerweise als Disziplin interessierte.
Wenn die Sprache die Autobiografie des menschlichen Geistes ist,
ist sie zugleich das Archiv der Geschichte
mit ihren staubigen und modernen Blättern.
Sie ist uns ein ebenso heiliger Band wie das Buch der Natur,
schreibt Müller in seinem Text Vergleich in der Mythologie von 1868.
Sein Credo ist inspiriert von der Maxime,
dass wir, um zu wissen, was der Mensch ist,
zuvor wissen müssen, was der Mensch gewesen ist.
Die Sprache ist zwar ein unerschöpfliches Reservoir,
die ununterbrochene Kette der Geschichte
menschlicher Konzeption von Objekten und Sinneseindrücken speichert.
Zudem ist sie aber auch im Laufe des Evolutionsprozesses
einer Degeneration und Bedeutungsvergessenheit ausgesetzt,
die eben den reinen Ursprung
und einer unverfälschten, frühzeitmenschlichen Religiosität verstellen.
Solcher Wunsch nach Wiedergewinnung des Ursprungs
wurde natürlich im 20. Jahrhundert kritisiert
und als Rekonstruktionsfantasie dekouvriert,
Presenters
Dr. Roger Thiel
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:44:23 Min
Aufnahmedatum
2012-06-20
Hochgeladen am
2012-06-22 10:17:29
Sprache
de-DE
In allen Diskursen und Theorien über das Heilige wird dieses gefaßt als das ‚Ganz Andere’, Unzugängliche, Unheimliche und schließlich Undarstellbare. Paradoxerweise – weil bezogen auf den emotionalen Grund des Gefühls – drängt aber gerade dieses Undarstellbare zur Darstellung und bedarf dazu einer ‚materiellen Matrix’, Medien, Zeichensystemen oder Symbolisierungen (Bildern, Texten, Architekturen), die auf seine Nichtdarstellbarkeit verweisen. Gibt es also ein System, das einen privilegierten Zeichenfonds vorhält, mittels dessen das Heilige nicht repräsentiert wird (Sakralisierung), sondern in den quasi immediat, performativ die Spur des Heiligen eingesenkt ist? Und gibt es eine Kulturtechnik, die es erlaubt, jenseits jeder Resakralisierung oder -Auratisierung das Heilige zu ‚entbergen’? Ja, sagen die Philologen des 19. Jahrhunderts: der Zeichenfonds heißt Sprache und die Technik der Entbergung Etymologie. Einer ihrer prominentesten ist der Oxforder Philologe und ‚Erfinder’ der Religionswissenschaft, Max Müller (1823-1900). Wie er auf seinem Denk-Weg die Entfaltung der Sprache ‚entzaubert’, sie bis zu ihren Ursprüngen und Kernen zurückverfolgt und somit die Bildung von Mythologie und Religion (re)konstruiert, versucht dieser Vortrag zu skizzieren.