Herzlich willkommen, meine Damen und Herren! Im Folgenden sehen und hören Sie die Leseperformance
des Stücks Hoppla Wir Leben immer noch! Dargestellt von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der beiden
Projektseminare 50 Jahre Experimentiertheater Hoppla, wir leben! aus dem Wintersemester 2019-2020
und dem Sommersemester 2020. Präsentiert am Institut für Theater- und Medienwissenschaften
an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Falls Ihnen der Titel
des Stücks bekannt vorkommt, liegen Sie ganz richtig. Inspiriert wurde das Drehbuch von
dem 1927 auf der Peskator-Bühne gezeichnet Stück Hoppler, wir leben, geschrieben von Ernst Toller.
Zur Eröffnung des Experimentiertheaters 1970, also vor genau 50 Jahren in Erlangen, wurde
ebenfalls ein Stück mit diesem Titel gespielt. Für die nun folgende Nese-Performance wurden die
Texte aber von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gänzlich neu verfasst und an die heutige Zeit und
die heutigen Umstände angepasst. Vielleicht sogar durch den Medientransfer ganz im Sinne der Peskator-Bühne.
Für die szenische Umsetzung wäre ein Gerüst vorgesehen, auf dem die Charaktere sich bewegen
und die Ebenen wechseln können. Nicht alle Figuren aus Ernst Toller Stück wurden übernommen,
weshalb es sinnvoll scheint, die wichtigsten Figuren kurz vorzustellen. Eva Berg, eine junge
Aktivistin mit dem Ziel, die Welt zu verändern, Wilma Kielmann, eine etablierte Politikerin,
die in ihrem hohen Amt viel Verantwortung trägt, Nicolande, eine Autorin und Publizistin mit
kontroversen Ideen und Pickel.
Pickel sitzt im Verhörraum und wird vernommen. Warum haben sie es getan? Warum haben sie Kielmann
ermordet? Pickel antwortet nicht, lächelt, zuckt mit den Schultern. Sie hatten keine persönliche
Beziehung zu Kielmann. War es politisch motiviert? Alle sind heutzutage so politisch. Große Menschen,
große Themen. Halten sie sich für einen Revoluzzer? Was sehen sie denn sie nicht an?
Ich habe geträumt, da wäre eine Maschine drin. Jeder schreibt,
dass sie eine Maschine ist. Die Maschine sollte mir dienen, aber irgendwie ist sie mir über den
Kopf gewachsen. Und ehe ich mich versah, kam ich mir selbst vor wie ein kleines Zahnrad. Die Hebel
waren zu groß und zu schwer, die Knöpfe zu bunt und zu zahlreich und 100 Hände mischten sich ein.
Jedes Mal, wenn ich einen Befehl eingab, ging er auf Reisen und verlor in einem ewigem Schaltkreis
des Ungetübten die Informationen durch seinen Körper. Ich hätte genauso gut im Dunkeln stehen
können, allein und im leeren Raum im Regen ruhen. Sieh mich an!
Eva kommt auf die Bühne, stellt sich vor das Gerüst. Pickel stellt sich neben sie. Pickel
und Eva stehen am Rand einer Demo. Eva steht mit dem Handy da und macht Bilder. Krass, oder? So viele
von denen. Warum machst du nicht mit? Nee, nee, lass mal, das ist nicht so meins. Hast du nicht den Mumm zu demonstrieren? Klar hab ich Mumm. Bist du öfters hier?
Ob du öfter hier bist? Kann man so sagen. Kennst du Amins Inbis? Nein, sagt mir nichts. Gleich da hinten beim Supermarkt haben
richtig geile Schnitze. Ich bin nicht so ein Fan von Schnitze. Ich bin Pickel, ich weiß Scheißname. Er ist ungewöhnlich, aber ich finde nicht, dass man sich dafür schämen sollte, wie man heißt. Pickel klingt auch süß, ich bin Eva.
Hallo Eva, hast du auch so Durst? Wenn du willst, lade ich dich auf der Cola ein. Danke, das ist nett, aber ich brauch gerade nichts. Wofür sind denn die Fotos? Machst du Bilder auf Instagram? Ja, auch. Cool, cool.
Hab ich auch. Wie heißt denn dein Profil? Naja, das müsste ich nachschauen. Was hast du gesagt? Hier kann man ja nicht mal richtig reden, die sind rumscheuern. Ja, so ist es halt bei einer Demo. Ja, richtig nervig, oder?
Haben wir nichts besseres zu tun? Zumindest nichts wichtigeres. Ja, oder? Warum können wir nicht einfach mal in Ruhe gehen, wenn man Leute liebt? Weil die Art, wie diese Leute leben, ihre gemeinsame Zukunft bedroht?
Bist du auch so ein? Und wenn ich's seh? Schon okay. Du bist hübsch. Oh, danke. Und ich meine, du bist ja nicht so eine, die da mitschreit und Dinge verbüten will und rumtredigt.
Bevor wir loslaufen, klatscht alle mal ganz doll für die Organisatorin, die gleich noch ein paar Worte sagen wird. Eva Berg. Das ist mein Stichwort. Tschüss, dicke. Und kleine Empfehlung. Schau erstmal über deinen Tellerrand, bevor dein Mädchenlum anquatscht.
Eva geht zum Gerüst, steigt hinauf und nimmt die Redeposition ein. Eva geht auf eine höher gestellte Redeposition auf dem Gerüst. Kilmann ist währenddessen auf einem TV-Bildschirm zu sehen. Eva Berg hält eine Rede auf der Demo. Parallel dazu gibt Kilmann ein Fernsehinterview.
Ich, Eva Berg, bin Mitorganisatorin der heutigen Veranstaltung. Denn mir ist die Politik und dieses Land nicht egal. Ich kann nicht länger nur da sitzen und in den Nachrichten sehen, was alles falsch läuft. Die Welt braucht uns.
Ju, stell dich immer vor, man säß in Club-Sesseln und rauchen, dicke Zigarren. Doch lassen Sie mich sagen, dass wir uns unserer Verantwortung durchaus bewusst sind und dementsprechend auch handeln. Aber vergessen Sie bitte nicht, dass wer hier oben arbeitet, auch dafür sorgen muss, dass die komplizierte Maschine nicht durch Plumpbehindungen stocken gerettet.
Ich habe Eva Berg bereits getroffen. Ihre Worte waren sicher aufrottend, doch ihrem Engagement in aller Ehre. Wir lehnen den radikalen Weg ab.
Durch jene, die Veränderungen von sich aus unmöglich machen, wird eine radikale Revolution unausweichlich.
Wir wollen doch alle nicht, dass die finstere Reaktion regiert, sondern die Demokratie. Wir wollen mit zittlichen, geistigen Waffen siegen. Diese heißen Innovation und Technologie, welche nicht eine große Bedeutung beimessen.
Aber trotzdem werden mir lediglich kritisiert und es wird auf uns herabgeschaut. Darf ich keine Freude mehr am Leben haben, nur weil ich Veränderung haben will? Die Meinung, dass ein Aktivist auf die Freude des Lebens zu verzichten habe, ist doch absurd. Alle sollen teilnehmen, das wollen wir doch. Wir haben keine Zeit mehr. Wenn es so weitergeht, gibt es bald keine Zukunft mehr. Wir müssen handeln.
Veränderung ist ein langsamer und greifender Prozess, das vergisst Frau Berg. Zudem fehlt ihr und ihren Anhängern wirkliches praktisches Wissen, welches zu einer Veränderung verhelfen kann.
Es gehört Mut dazu, an manchen Punkten gegen das eigene Volk zu regieren. Mehr Mut als auf die Barrikaden zu gehen, große Kreuzungen in unserem Land zu besetzen und drin Worte zu machen. Die Zeit der großen Aufstände ist vorbei. Die Zeiten haben sich geändert.
Und was bleibt, wenn etwas schief geht? Wir bleiben. Mit unserer Wille zur Ehrlichkeit. Mit unserer Kraft zu neuen Taten.
Das habe ich auch im Laufe des Erwachsenwerdens verinnerlicht. Ich erinnere mich nicht gerne an damals, was wir Kinder wir waren. Aber wir halten uns an die Gegenwart. Nun habe ich Voratmen zu sorgen. Selbstverständlich diene ich als Politikerin im Volk. Doch es darf nicht geduldet werden, dass der Mechanismus des Staates gestört wird.
Politiker denken an die nächste Wahl. Wir an die nächste Generation. Wie könnt ihr es wagen meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?
Presenters
Dr. Hans-Friedrich Bormann
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:57:20 Min
Aufnahmedatum
2020-10-31
Hochgeladen am
2021-01-06 14:39:26
Sprache
de-DE
1927 war Ernst Tollers Stück »Hoppla wir leben« auf der Piscator-Bühne am Berliner Nollendorfplatz ein kritischer Spiegel der Weimarer Republik vor dem Hintergrund uneingelöster revolutionärer Versprechungen. Als in Erlangen 1970 das Experimentiertheater eröffnet wurde, wählte die Studiobühne unter der Leitung von Claus Just eben dieses Stück. Anlass genug, um es zum 50-jährigen Jubiläum im Rahmen eines Projektseminars am Institut für Theater- und Medienwissenschaft der FAU wiederaufzugreifen. Statt der ursprünglich geplanten szenischen Umsetzung wurde die Form einer Leseperformance gewählt und in Form eines moderierten ZOOM-Meetings umgesetzt.