Meine Damen und Herren, den folgenden Vortrag habe ich am 20. März 2021 auf der Tagung der
Fachgruppe Tierschutz der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft gehalten.
Ich habe ihn am 18. Juli 2021 leicht modifiziert neu eingesprochen, um ihn in einer breiten
Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Forschungsergebnisse, die ich heute
vorstelle, wurden in einem interdisziplinär-sozialwissenschaftlich-tiermedizinischen
Team im Rahmen von zwei tiermedizinischen Doktorarbeiten gewonnen. Die Doktorandinnen
waren Frau Burmeister und Frau Fontaine. Mein Vortrag besteht aus fünf Teilen. Ich stelle
die relevanten Grundbegriffe und den Stand der Forschung vor. Ich präsentiere Ihnen die von uns
entwickelte Skala zur Erfassung der Beziehung von Vogelhaltern und ihren Vögeln. Ich stelle
empirische Befunde zur Relevanz dieser Beziehung im Fall der Erkrankung des Vogels vor. Ich leite
Handlungsempfehlungen für Tierärztinnen ab und beende meinen Vortrag mit einem Ausblick.
Ich will mich als erstes mit den Grundbegriffen der Verantwortung und der Mensch-Tier-Beziehung
befassen. Dabei nehme ich zunächst eine philosophische Perspektive ein und rezipiere
den fünfstelligen Verantwortungsbegriff von Loh. Loh definiert Verantwortung wie folgt.
Verantwortlich ist ein Subjekt S für ein Objekt O vor einer Instanz I gegenüber einem
Adressaten A und auf der Grundlagenormativer Kriterien N. Ein Subjekt bezeichnet dabei jemanden,
dem man Verantwortung zuschreiben kann. Ein Objekt bezeichnet ein Objekt oder einen Gegenstand,
für den jemand verantwortlich erklärt wird. Eine Instanz bezeichnet jemanden, vor dem sich das
Subjekt zu verantworten hat. Ein Adressat bezeichnet das Gegenüber des Subjektes,
der Betroffene, der Grund für das Verhandsein einer Verantwortung und normative Kriterien
bezeichnen den Maßstab und normatinen Bezugsrahmen, nachdem in einem gegebenen
Kontext darüber geurteilt wird, ob das Subjekt verantwortlich gehandelt hat. Zum Beispiel Werte,
Prinzipien, Gebote, Maximen, Gesetze, Regeln, Befehle, Aufgaben oder Anweisungen. In unserem
Fall der Verantwortung für kranke Vögel kann man diese fünf Stellen wie folgt konkretisieren.
Verantwortlich ist eine Vogelhalterin für einen Vogel vor der Vernunft, vor dem eigenen Gewissen
oder der Natur oder dem Gesetzgeber oder dem Tierarzt, gegenüber dem Vogel und auf der Grundlage
der Werte der Gesundheit und der Tierlebe oder des Gebotes jemandem zu helfen, der sich nicht
selbst helfen kann oder der Bestimmungen des Tierschutzgesetzes oder der Pflicht des Halters
im Falle einer tierärztlichen Behandlung. Wichtige Bestimmungen des Tierschutzgesetzes sind dabei
in Deutschland. Das Tier gilt seit 1986 als Mitgeschöpf. Dennoch ergibt sich aus dem Recht
eine unklare Stellung des Kieres. In Paragraph 90a des BGB ist festgehalten, Tiere sind keine
Sachen, sie werden durch besondere Gesetze geschützt, auf sie sind die für Sachen geltenden
Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Im Mai 2002
wurde der Tierschutzdauch in das Grundgesetz aufgenommen, um ihm mehr Gewicht zu verleihen.
In Österreich und der Schweiz ist zusätzlich geregelt, dass der Tierhalter verpflichtet ist,
ein Haustier bei Erkrankung unverzüglich dem Zustand des Tiers entsprechend unterzubringen,
zu pflegen und zu behandeln. Im Sinne der von Low vorgeschlagenen Subkategorien liegt
hier eine individuelle, nicht kollektive, particulare, nicht universelle, eher private
als öffentliche und vorwiegend moralische, weniger rechtliche Verantwortung vor. Ich ergänze
die philosophische mit einer soziologischen Perspektive, die auf den Rollenbegriff abhebt.
Die Philosophin Low argumentiert, dass Rollen uns die Objekte vorgeben, für die wir verantwortlich
sind. Der Soziologe Kaufmann arbeitet heraus, dass das Aufgabenspektrum, das mit dieser Rolle
verbunden ist, durch einen erheblichen Handlungsspielraum und entsprechendes selbstständige
Entscheidungszumutungen sowie hohes Folgenrisiko gekennzeichnet ist. Damit komme ich zur
Mensch-Tier-Beziehung, bei der ich drei Formen unterscheide, die unpersönliche, die persönliche
und die enge persönliche Mensch-Tier-Beziehung. Bei allen drei Formen liegt eine Serie von
Interaktionen vor. Als Beispiele dienen mir eine Tierärztin, die einen Luri behandelt,
ein Vogelhalter, der seine Finken füttert und ein Kind, das mit seinem Wellensittich spielt. Nur der
letzte Fall ist per Definition durch Gegenseitigkeit ein emotionales Band und Empathie gekennzeichnet.
Alle persönlichen Beziehungen sind durch die Wahrnehmung einer persönlichen Entität und
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:20:01 Min
Aufnahmedatum
2021-07-18
Hochgeladen am
2021-07-20 11:06:06
Sprache
de-DE
Welche Relevanz hat die Beziehung des Besitzers zu seinem Tier für die Wahrnehmung von Verantwortung in der privaten Tierhaltung? Der Vortrag stellt zwei interdisziplinäre, empirische, sozialwissenschaftlich-tiermedizinische Studien vor, die diese Frage für Ziervögel beantworten.