Okay, jetzt sagt er mir noch, diese Sitzung wird aufgenommen und jetzt spricht mehr von niemanden mehr dazwischen,
es sei denn Sie haben eine Frage, dann können Sie sich jederzeit auch melden.
Also die Vorlesung heute beschäftigt sich mit dem Forschungszeug der Thematologie und die Thematologie
ist ein Gebiet, das ich persönlich sehr, sehr spannend finde. Sie beschäftigt sich nämlich
mit dem Faszinosum, dass es bestimmte literarische Stoffe und Motive gibt, das wissen Sie, die über
die Zeiten hinweg und auch über die Grenzen der Literaturen hinweg immer wieder aufgegriffen und
neu bearbeitet werden. Das ist wirklich ein Faszinosum. Also denken wir an den Antikonästoff,
der irgendwann in der Antike Relevanz hatte und dann eben in verschiedenen Epochen zu verschiedenen
Zeiten in verschiedenen Literaturen wieder aufgegriffen und aktualisiert und neu problematisiert
wurde. Und das finde ich ein sehr interessanter Aspekt der Literaturgeschichte, dass es solche
Traditionslinien gibt. Und die Thematologie ist daher in erster Linie ein diakroner Ansatz,
der fragt, warum und wie werden Stoffe in der Literaturgeschichte überliefert und was sind
die jeweiligen zugrundeliegenden Problemstellungen, was ändert sich, wenn ein Stoff in einer neuen
Zeit in einer anderen Kultur wieder neu bearbeitet wird. Die Thematologie ist zugleich auch ein
komparatistischer Ansatz, denn sie fragt auch, welche Varianten in verschiedenen Nationalliteraturen
ausgeprägt werden und in welchen jeweiligen historischen Kontexten das passiert. Also man
versucht es immer auch historisch zu verankern, aber eben auch komparatistisch zu betrachten. Und
das heißt letztlich auch, dass nicht nur die Einzeltexte untersucht werden, sondern eben auch
die Verbindungslinien, die Traditionslinien zwischen ihnen, die wechselseitigen Bezüge.
Die Thematologie untersucht also dynamische Prozesse der Tradierung von Themen, Stoffen und
Motiven. Und dabei kommt übrigens noch ein interessanter Aspekt hinzu, der uns heute auch
beschäftigen wird, nämlich die Forschungsgeschichte. Es ist ja nicht nur so, dass literarische Themen
sich durch die Literaturgeschichte hindurchziehen wie ein roter Faden, sondern dass es auch eine
Forschungsgeschichte gibt, dass es die Literaturwissenschaft gibt, die sich jeweils für diese
Varianten interessiert und die wiederum aus ihrer jeweiligen Perspektive mit ihren jeweiligen
Fokussierungen die einzelnen Texte betrachtet. Und damit ist es auch so, dass die Frage, welche
Problemkonstellation sich hinter einem Text verbindet, ebenfalls variabel ist. Die
Forschungsperspektiven ändern sich ebenso wie die literarischen Bearbeitungen selbst.
Damit komme ich zu der heutigen Gliederung, die Sie sich vielleicht jetzt gleich mal anschauen
können. Ich möchte nämlich das, was ich gerade gesagt habe, dass auch in der Forschungsgeschichte
sich die Perspektiven ändern, zunächst noch unter Punkt eins einführendes verdeutlichen,
und zwar natürlich am Thema des Fauststoffes, das dann in der zweiten Hälfte der Vorlesung
im Zentrum steht. Die Gliederung ist aber die, dass ich eben nach den ersten Veranschaulichungen,
die in Punkt eins noch vorkommen, erst mal einen Überblick über den Forschungszeug der
Thematologie gebe. Das ist ja das Thema dieser Ringvorlesung, dass man praktisch die systematischen
Aspekte der Literaturwissenschaft hier betrachtet. Und dabei werde ich einerseits die Wissenschaftsgeschichte
kurzstreifen und zweitens aber dann auch Begriffsklärungen vornehmen, die man sich vor Augen führen
muss, wenn man sich überhaupt mit Thematologie beschäftigt. Und die wichtigsten Begriffe,
die hier vorkommen, sind Stoff, Motiv und Thema. Und drittens geht es dann in einem rasanten
Durchritt durch die Geschichte des Faustthemas. Ich möchte mit einer problemorientierten
Perspektivierung zeigen, wie spannend es sein kann, wenn man die Entwicklungen und Stationen
der Stoffgeschichte von De Historia, also einem frühneuzeitlichen Text, bis zu Thomas
Manns Dr. Faustes, einen modernen Text betrachtet. Wer ist Faust? Wofür steht die Faustfigur?
Damit möchte ich meinen ersten Punkt beginnen, nämlich die Vielfalt an Perspektivierungen
und Schwerpunktsetzungen im Rahmen der komplexen Geschichte des Fauststoffes darstellen und
damit auch die Dynamik des Überlieferungs- und Deutungsprozesses, der sich sehr schön
zeigen lässt, übrigens an einem Satz von Paul Valéry. Paul Valéry hat 1943 auch eine
Faustbearbeitung verfasst und da sagt sein Protagonist der Faust, der nämlich auch ein
Schriftsteller ist und auch einer, der praktisch seine eigene Geschichte aufzeichnen möchte,
also praktisch ein Thematologe par excellence, aber das Thema ist er selber, der sagt,
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:29:18 Min
Aufnahmedatum
2021-08-04
Hochgeladen am
2021-08-04 09:16:04
Sprache
de-DE