Science Slam: Vulgärlatein [ID:39672]
50 von 67 angezeigt

Ja, vielen Dank. Ich freue mich hier zu sein und meine Forschung ein bisschen vorstellen zu dürfen.

Sie sehen, ich habe meinen kompletten Habilitationstitel mitgebracht, aber da das

doch etwas barock ist, erspare ich das uns allen und komme eigentlich gleich zu den sehr

einfachen Fragestellungen, die sich damit verbunden haben, nämlich wie entwickelt sich

in der frühen Neuzeit, also zur Zeit der Renaissance, eine Vorstellung von der gesprochenen Sprache der

römischen Antike. Und das ist nicht ganz trivial, wie wir gleich noch sehen werden.

Und was damit verbunden ist, auch die Frage, wie entwickelt sich dadurch ein Verständnis dafür,

dass das Italienisch und andere romanische Sprachen, wie das Französisch oder Spanische,

sich aus dem gesprochenen und nicht aus dem geschriebenen Latein durch Sprachwandel

entstanden sind. Weil Ursprung des modernen linguistischen Begriffes Vulgärlatein ist

hiermit gesetzt in der Renaissance, bevor jemand was falsches vermutet. Vulgärlatein ist nicht

unanständig, das meint Sprache des Volkes von Vulgus. Die Geschichte, die ich untersucht habe,

beginnt auch ganz einfach und sehr konkret im Jahre 1435 im Vorzimmer des Papstes Eugen

des Vierten. Da gab es eine Reihe von apostolischen Sekretärinnen, die sich

gelangweilt haben, weil sie auf eine Audienz des Papstes gewartet haben. Und wenn es einem so

fad ist und es ist gerade Renaissance, nämlich die Zeitalter der Wiedergeburt der Antike,

kann man sich natürlich mal fragen, was haben die Römer eigentlich gesprochen. Außerdem gab es zu

dieser Zeit auch noch die sogenannte questione della lingua, nämlich die sogenannte Sprachenfrage

in Italien. Und die handelt davon, soll man eigentlich weiterhin Latein schreiben, wie man

das das ganze Mittelalter hindurch gemacht hat oder wäre es nicht mal Zeit auf Italienisch zu

wechseln, dann könnten alle das verstehen. Auf solche Ideen ist auch jemand schon vorher gekommen,

nämlich Dante, den kennt man, das ist der, der eine Midlife-Crisis hat und dann ins Inferno

hinabgestiegen ist und heute siebenhundertsten Geburtstag hat. Und dem ist schon mal aufgefallen,

dass so Wörter wie Erde, Himmel, Liebe, also Terram oder Calum ganz irgendwie verwandt sind

mit den romanischen Wörter, also mit Italienisch terra oder Französisch tier. Aber er hat nicht so

recht gewusst, warum. Deswegen kommen die apostolischen Sekretäre aus der Renaissance

jetzt auf die Idee, das mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Leonardo Bruni hatte eine gute

Idee. Er sagte, das muss so sein, in der Antike gab es zwei komplett verschiedene Sprachen. Warum?

Es konnte nicht sein, dass eine Marktfrau, ein Metzger oder ein Bäcker auf der Straße,

dass die das gleiche Latein gesprochen haben wie Cicero, Virgil, Livius. Das war undenkbar. In der

Renaissance ein Affront, eine Plasphemie. Deswegen, ganz logisch, die mussten was komplett anderes

gesprochen haben als Cicero. Ging ja nicht. Und das hat er auch entsprechend vertreten. Wie sich das

dann weiterentwickelt hat, deswegen das Fragezeichen hier, keine Ahnung, das hat er einfach ausgelassen,

sicherheitshalber. Sein Kontrahent, Flavio Biondo, ebenfalls ein Humanist, der hat eine bessere Idee

gehabt. Die sogenannte Korruptionsthese. Das heißt nicht, dass er korrupt war oder vielleicht auch,

aber das spielt hier keine Rolle. Es gab auch, er nimmt auch zwei Sprachen an, also die Sprache der

Gebildeten im alten Rom, das sind die Sprache Ciceros und Virgils, aber auch die Sprache der

Ungebildeten, die aber irgendwie zusammenhängen mussten. Und aus dieser ungebildeten Sprache des

Volkes musste sich irgendwie das Italienische entwickelt haben, also die Volkssprache. So einfach

ging das nicht, weil das konnte ja nicht sein, dass auch in Florenz irgendwie der Metzger,

Becker, Entschuldigung für die Diffamierung der Berufszweige, aber das sind die Beispiele dort,

irgendwie die gleiche Sprache gesprochen haben wie Cicero oder so. Also Idee, das waren die Barbaren,

die sind schuld. Die haben das Latein so verunstaltet, die Goten, Langobaden und Vandalen,

dass da eine ganz furchtbare Volkssprache rausgekommen ist. Diese Idee hat man dann aufgegriffen und man

hat furchtbar diskutiert, über 150 Jahre lang und es gab noch andere Ideen. Vielleicht waren es nicht

die Goten, Vandalen, Langobaden, sondern die Gallier oder die Etrusker noch schlimmer. Man

hatte eine Menge Ideen und hat also eine Menge Völker aus dem Hut gezaubert, um diesen Verfall,

wie man das damals nannte, also diese Korruption zu erklären. Wie konnte aus dem Latein Cicero denn

das Italienische entstehen? Undenkbar. Und das war zumindest eine ganz gute Lösung und wie man hier

noch mal sieht an der Chronologie, man hat sehr lange diskutiert und weil ja die Zeit der

Presenters

Dr. Roger Schöntag Dr. Roger Schöntag

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:06:55 Min

Aufnahmedatum

2021-10-25

Hochgeladen am

2021-12-22 15:58:49

Sprache

de-DE

Einbetten
Wordpress FAU Plugin
iFrame
Teilen