Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Das Thema, das ich ausgesucht habe, ist ein Versuch, ein Anliegen des Eminöter Gedenkens
zu verbinden mit dem, was ich selber in meiner Wissenschaft, nämlich der englischen Literaturwissenschaft,
mache, von daher, also Shakespeare's Hamlet und die Frauen.
Man kann, man muss natürlich nicht, aber es ist möglich, die Rezeptionsgeschichte von
Shakespeare's Hamlet als Geschichte der Frauen-Emanzipation sehen.
Hamlet lässt sich nicht nur aber auch erzählen als Teil dieser Geschichte im Sinne einer
progressiven Ermächtigung der Frauen dadurch, dass sie eine besondere Nähe zu Shakespeare's
Helden geltend gemacht haben.
Ansonsten stehen sich der Gegenstand und der Anlass meiner Vorlesung offensichtlich fremd gegenüber.
Shakespeare und Eminöter gehören zwei verschiedenen Kulturen an, die den Kontakt zueinander weitgehend
verloren haben.
Die Humanities und mit ihnen die Literatur auf der einen Seite, die Naturwissenschaften und die Mathematik
und die theoretische Physik auf der anderen.
Und doch gibt es ein Buch, ein neueres Buch über Eminöter, dessen Kapitel jeweils mit Aussagen
aus Shakespeare's Dramen, zumeist aus Hamlet, überschrieben sind.
Und zwar ist es die Abhandlung eines serbischen Physikers namens Vladimir Ristic mit dem
Titel Nöther's Theorem von 2008.
Der Autor macht mit seiner Kombination von Shakespeare's Zitat und Nöther Referat aufmerksam,
auf Parallelen zwischen Nöthers Begabung, formale Beziehungen und auf allgemeine Formeln
hin zu abstrahieren und Hamlet's Art Sachverhalte in zugespitzte, verallgemeinernde Aussagen zu fassen.
Von Nöther selbst allerdings ist kein einziges Zeugnis des Interesses für Literatur,
geschweige denn für Shakespeare oder gar Hamlet, überliefert, obgleich sie ihre berufliche
Karriere wie die Rednerin des heutigen Abends begonnen hat mit einem staatlichen bayerischen
Examen für den Unterricht des Englischen und Französischen.
Sie hätte jedoch, um ein weiteres Wort aus dem Drama Hamlet, in diesem Fall das Schlusswort
für den toten Helden auf sie zu übertragen, sie hätte, wäre es zum Test gekommen, sich
höchst königlich bewährt.
Mit ihr wäre vermutlich die strenge strukturalistische Dramaanalyse Jahrzehnte früher in die Literaturwissenschaft
eingeführt worden, als dies mit der strukturalen Semantik von Greymard in den 1960er Jahren
tatsächlich geschehen ist.
Nöthers holländischer Mathematikkollege Bartel van der Verden formuliert den Grundsatz
ihrer Arbeiten so, alle Beziehungen zwischen Zahlen, Funktionen und Operatoren werden erst
dann durchsichtig verallgemeinerungsfähig und wirklich fruchtbar, wenn sie von ihren besonderen
Objekten losgelöst und auf allgemeine begriffliche Zusammenhänge zurückgeführt sind.
Dieses Prinzip hätte Nöther auf Shakespeare bezogen dazu gebracht, vom individuellen,
einmaligen und kontingenten in den Drama abzusehen und die Gesamtheit der Relation,
welche die dramatischen Elemente zu einem System verknüpfen, integrativ zu beschreiben.
Symmetrien in den Handlungssträngen, Entsprechungen zwischen Haupt- und Nebenhandlung und den diese
spiegelnden Theateraufführungen auf der Bühne, Parallelen zwischen Figurenkonstellationen
und Analogien zwischen den Situationen, wie sie besonders augenfällig in Hamlet, aber
auch in Midsummer Night's Dream oder wieder in King Lear zu beobachten sind, hätte sie
in klare, simple Formeln gefasst und so die reiche schexspirische Welt geordnet.
Als Mathematikerin hat sie, wie Albert Einstein in seinem schönen Nachrufsag der Zitat
Poesie der strengen Logik gehuldigt.
Als Literaturwissenschaftlerin würde sie, so kann vermutet werden, eine strenge Logik
in der Poesie gefunden haben.
Doch dies sollte nicht sein.
Und so wird mein Vortrag zu Ehren von Emy Nöther, die große Mathematikerin des frühen 20. Jahrhunderts,
auf andere, weniger direkte Weise mit Shakespeare in Verbindung bringen, insofern nämlich,
Presenters
Prof. Dr. Ina Schabert
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:43:50 Min
Aufnahmedatum
2014-06-25
Hochgeladen am
2014-06-27 10:29:17
Sprache
de-DE
Schon bevor im 18. Jahrhundert die akademische Literaturkritik den Dramatiker wieder zu schätzen lernte, waren Shakespeares Stücke bei den Frauen beliebt. Neben energischen Heldinnen wie Lady Macbeth und Cleopatra wurde Hamlet zu einer ihrer Lieblingsfiguren. Aufgrund seiner kulturell weiblichen Charakterzüge wie Sensibilität, Nachdenklichkeit und Passivität konnten sie sich mit ihm verwandt fühlen. Die Identifikation mit ihm ermöglichte es ihnen, sich anstatt als das Sonderwesen ‚Frau‘ als Mensch zu denken. Der Assimilationsprozess steigerte sich bis zur Verkörperung der Hamlet-Rolle durch englische, deutsche und französische Starschauspielerinnen. Dies geschah vor allem um 1900, zur Zeit der ersten Frauenbewegung, die zugleich Emmy Noether den Mut machte, sich den als männlich geltenden Beruf des Mathematikers anzueignen.