Aktive Sterbehilfe - Regelungsbedarf in Deutschland? [ID:465]
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Guten Abend, lieber Herr Vollmann, herzlichen Dank für die freundliche Einführung. Ich hatte fast vergessen, dass ich Strafrechtlerin bin. Sie haben mich daran erinnert, weil es für mich ganz selbstverständlich ist und zum Glück nicht nur für mich als Juristin, dass wir Juristen uns zwangsläufig, aber auch sehr gerne mit ethischen Fragen beschäftigen, nicht zuletzt deswegen, weil das Recht ja immer als das ethische Minimum gilt.

Rechte und Ethik sind keine Bereiche, die nebeneinander stehen, sondern die ineinander greifen.

Aktive Sterbehilfe, da geht es ja um das Verbot der zielgerichteten, aktiven Herbeiführung des Todes eines unheilbar kranken Menschen.

Das ist ein Verbot, das nach dem Strafgesetzbuch, nach § 216 des Strafgesetzbuches unter Strafe gestellt ist und zwar ausnahmslos.

Auf der einen Seite scheint dieses Verbot unangefochten zu sein. Das wird jedenfalls immer wieder von den Standesvertretungen, von der Politik und von den Kirchen betont.

Heute auf der Fahrt von Gießen, wo man freiwillig sehr gut leben kann, das noch in Klammern gesagt,

habe ich in der Süddeutschen Zeitung eine kurze Meldung gelesen, dass die Evangelische Kirche Deutschlands bei einer Tagung gestern oder vorgestern in Timmendorfer Strand

wieder gesagt hat, aktive Sterbehilfe ist kein Thema, an diesem Verbot müsse festgehalten werden.

Sie sehen also die Frage, ob ein Arzt einem Patienten nicht nur beim Sterben, sondern auch zum Sterben helfen darf, ist eine Frage, die unter vielen Gesichtspunkten offenbar ein Thema ist.

Es ist eine alte Frage und sie beschäftigt die Gesellschaft, wie wir häufig in der Zeitung auch lesen können, immer wieder, die Gesellschaft als Ganzes und nicht nur Mediziner und Juristen.

Es ist ein periodisch, offenbar periodisch hochschwappendes Interesse, immer wieder an Sterbehilfe, an den Fragen der aktiven Sterbehilfe zu verzeichnen, aber es ist mehr als das.

Und ich denke, es gibt viele Gründe, sich mit diesem Thema wissenschaftlich und auch politisch zu befassen.

Und dass es mehr ist als nur so ein Medienereignis, das immer wieder einmal aufkommt, zuletzt in Deutschland sicherlich seit in Holland dieses neue Sterbehilfegesetz verabschiedet worden ist,

was ja bei uns auch für viele Diskussionen gesorgt hat, dass das aber nicht nur eben ein kurzfristiges Ereignis ist.

Das möchte ich Ihnen zunächst deutlich machen und zwar zunächst durch einen kurzen Blick auf die Rechtslage, die geprägt ist von Abgrenzungsproblemen und Wertungswidersprüchen.

Nicht bestraft, weil gerechtfertigt oder nicht tatbestandsmäßig handelnd wird der Arzt, der einem im Sterben liegenden von Schmerzen oder Unruhezuständen gequälten Patienten

hochdosiert Schmerz oder Beruhigungsmittel verabreicht und der dabei in Kauf nennt, das nennen wir juristenbedingten Vorsatz, der also in Kauf nimmt,

das als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge der Todeseintritt beschleunigt werden kann.

Das ist das, was insgesamt als indirekte Sterbehilfe bezeichnet wird.

Und nicht mit Bestrafung rechnen muss auch der Arzt, der bei einem Sterbenden, aber auch bei einem komatösen Patienten, der noch für längere Zeit am Leben gehalten werden könnte,

der bei einem solchen Patienten auf lebenserhaltende Behandlungsmaßnahmen wie zum Beispiel künstliche Beatmung, Dialyse oder die Gaber von Antibiotika oder auch sogar auf das Zuführen Vernahrung verzichtet,

um das Sterben nicht weiter hinaus zu zögern.

Jedenfalls dann ist ein solcher Arzt nicht strafbar, wenn dieses nicht weiterbehandeln dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.

Wir nennen das die passive Sterbehilfe.

In der Beurteilung dieser Fälle als nicht strafbar, drückt sich die außerordentlich schwer erkämpfte Einsicht aus,

dass erlöschendes Leben keinen absoluten Höchstwert darstellt, sondern dass das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und ein schmerzfreier, würdiger Tod höher zu bewerten sind,

als die Aussicht auf ein kurzes, qualvolles Weiterleben.

Und nicht bestraft wird schließlich der Arzt, der seinem unheilbar kranken, leidenden Patienten ein tödlich wirkendes Mittel besorgt,

der ihm erklärt, wie es eingenommen werden muss, damit er seine lebensbeendende Wirkung entfaltet,

der sich dann entfernt von seinem Patienten und den Patienten sich selbst überlässt.

In einem solchen Fall handelt es sich um bloße straflose Beihilfe um Suizid.

Das ist straflos, allerdings möchte ich auch hier schon sagen, dass das als ärztlich unethisch gilt und standesrechtlich nicht akzeptiert wird.

Bestraft wird aber im Unterschied zu diesen Konstellationen, die ich eben genannt habe, derjenige Arzt, der einem Todkranken liege er im Sterben oder nicht,

auf dessen ausdrückliches und ärztliches Verlangen gezielt eine tödliche Dosis an Schmerz- oder Beruhigungsmitteln verabreicht.

Das ist die sogenannte aktive Sterbehilfe und ebenso wird bestraft der Arzt, der einem Kranken,

auf dessen ärztliches Verlangen hin ein tödlich wirkendes Medikament trinken lässt und dann bei ihm bleibt,

also anders als ich es zuvor gesagt habe, nicht weggeht, sondern bei ihm bleibt, bis der Tod eingetreten ist.

Ob ein Arzt bestraft wird, der in welcher Weise auch immer einem Patienten beim oder zum Sterben hilft,

hängt unter Umständen also nicht zuletzt von seinem Willen und seiner Vorstellung ab oder auch davon, ob er seinem Patienten Beistand leistet, bis zuletzt oder nicht.

Kurz gesagt, die Situationen, in denen das Handeln des Arztes als ethisch und rechtlich vertretbar bzw. zulässig angesehen wird,

ist oftmals nicht klar zu trennen von der Situation, die als unzulässig gilt.

Vor allem der Grad zwischen der zulässigen indirekten und der unzulässigen direkten Sterbehilfe ist außerordentlich schmal und äußerlich nicht erkennbar.

Ganz abgesehen davon, das ist jetzt nur so ein Nebensatz, ist es für viele Ärzte und andere in der Medizin tätige kaum nachvollziehbar,

dass das Einstellen lebensbehandelnder Maßnahmen wie etwa das Abstellen des Beatmungsgerätes rechtlich nicht als verbotene, gezielte Herbeiführung des Todes gewertet wird,

sondern als zulässige sogenannte passive Sterbehilfe.

Es gibt meines Erachtens einen weiteren Grund oder nicht nur meines Erachtens, ich glaube, es ist faktisch wirklich ein Grund, warum wir uns mit aktiver Sterbehilfe auseinandersetzen müssen.

Aktive Sterbehilfe findet statt, sie ist Realität und zwar nicht nur in den Niederlanden, nicht nur in Belgien,

den Ländern also, in denen aktive Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen nicht bestraft wird,

sondern aktive Sterbehilfe wird praktiziert, auch in anderen Ländern und auch in Deutschland.

Obwohl, wie ich vorhin schon gesagt habe, sogar Beihilfe zum Suizid und nicht nur aktive Sterbehilfe als unethisch bezeichnet wird und obwohl sie strafbar ist, gemäß § 216 Strafgesetzbuch.

Presenters

Prof. Dr. Gabriele Wolfslast Prof. Dr. Gabriele Wolfslast

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:30:26 Min

Aufnahmedatum

2002-11-05

Hochgeladen am

2018-06-28 12:12:38

Sprache

de-DE

Tags

Sterbehilfe Hilfe Deutschland Collegium Alexandrinum Sterben Tod todkrank Wolfslast Regelung
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