2 - Moses Mendelssohn und die Wandelbarkeit der Judenfeindschaft [ID:52876]
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Vielen Dank Ihnen allen für Ihr Interesse an dem Thema,

dessen ich unter den Titel stelle, Moses Mendelssohn und die Wandelbarkeit der Judenfeindschaft.

Nach Berlin ins Zentrum des Königreichs Preußen kommt Moses Mendelssohn als 14-jähriger. Wie

muss das für ihn gewesen sein? Der junge Moses aus Dessau, Moshe Midessau, geboren 1729,

passiert damals das Rosenthaler Tor. Die Wache notiert dazu in ihren Journalen,

heute passierten das Rosenthaler Tor sechs Ochsen, sieben Schweine, ein Jude. Mendelssohn

darf sich zunächst dank seines Talmud-Lehrers David Frenkel und später durch eine Bürgschaft

des Seidenwarenfabrikanten Isaak Bernhardt, bei dem er beschäftigt ist, in Berlin aufhalten.

Er wird ein Leben lang nur ein geduldeter Bürger im Königreich Preußen sein. Er erhält den

Status des ordentlichen Schutzjuden, doch dieser Status behältet kein Recht, dass er sich mit

seiner Familie dauerhaft im Königreich ansiedeln darf. Er teilt somit das kollektive Schicksal

seiner Mitgläubigen, er begreift sich selber als Teil eines unterdrückten Volkes und trotz

seines Aufstiegs in die höchsten Zirkel der Aufklärung bleibt er Gervh de Barna. Besonders

greifbar wird das in folgender Szene, unter den Linden, das ist jetzt ein Bild aus dem 19.

Jahrhundert, wir sind etwas früher, wir schreiben das Jahr 1780. Moses Mendelssohn ist 50 Jahre alt,

er ist gefeierter Philosoph, man nennt ihn Deutscher Sokrates, er ist in den Berliner

Aufklärungszyklen bestens vernetzt und da begibt es sich, dass er mit seiner Ehefrau Fromet und seinen

Kindern auf der Berliner Prachtallee flaniert und es kommt zu einer hässlichen Szene. Jungen

beschimpfen die Familie und bewerfen sie mit Steinen. Mendelssohn schildert in einem Brief an einen

Freund die Situation wie folgt, ich zitiere, ich ergehe mich zuweilen des Abends mit meiner

Frau und meinen Kindern. Papa fragt die Unschuld, was ruft uns jener Bursche dort nach? Warum werfen

sie mit Steinen hinter uns her? Was haben wir ihnen getan? Ja, lieber Papa, spricht ein anderes,

sie verfolgen uns immer in den Straßen und schimpfen Juden, Juden, ist denn dieses so ein

Schimpf bei den Leuten ein Jude zu sein? Ach, ich schlage die Augen unter und seufze mit mir.

Menschen, Menschen, wohin habt ihr es endlich kommen lassen? Es ist einer der wenigen Szenen,

in denen Mendelssohn seine persönliche Diskriminierungserfahrung so benennt. Für

die preußischen Juden sind die Diskriminierungserfahrungen bittere alltägliche Realität.

Mendelssohn will sich in dieses Schicksal natürlich nicht fügen, er schreibt dagegen an und tritt eine

hitzige Debatte um die Juden-Emanzipation los, in deren Verlauf er immer wieder auch persönlich

angegriffen wird. Der größte Paukenschlag ist seine Schrift Jerusalem, 1783 bei Friedrich Maurer in

Berlin erschienen. In ihr legt Mendelssohn eine starke Verteidigung der Religionsfreiheit vor,

er legt eine philosophische Theorie des Judentums vor. Darüber hinaus befragt er die Aufklärung

auf ihre eigenen Standards hin. Er unterzieht die Aufklärung einer Selbstreflexion, in dem er

zeigt wie erschreckend erfolgreich sich die Judenfeindschaft in die Sprache und die Philosophie

der Aufklärung hinüberrettet, klärt er die Aufklärung ein Stück weit über sich selber auf.

Damit sind wir nicht nur beim innovativen Kern der Mendelssohnischen Theorie, sondern auch bei

meinem wichtigsten Punkt dieses Vortrags, nämlich Judenfeindschaft ist so wandlungsfähig und

anpassungsfähig, dass sie selbst im liberalen, progressiven, aufklärerischen Lager zu finden ist.

Also dort, wo man eigentlich den größten Widerstand gegen Judenfeindlichkeit, zumindest

aber die intellektuelle Kompetenz vermutet, diesen zu durchschauen und eben nicht zu erliegen.

Das Gegenteil ist der Fall. Es wurde ja zum Auftakt der Ringvorlesung auch von dir, Heiner,

bereits Peter Langerich zitiert, der den Antisemitismus mit einem Chamäleon vergleicht.

Dass sich seine Umgebung immer wieder flexibel anpasst. In dem heutigen Vortrag möchte ich

Moses Mendelssohn, möchte ich mit Moses Mendelssohn die Wandelbarkeit der Judenfeindschaft

im 18. Jahrhundert in der Aufklärungsphilosophie nachvollziehen und neben der historischen

Darstellung möchte ich auch systematische Punkte davon ableiten und zumindest andeuten,

in welcher Weise uns Moses Mendelssohn hilft, mit Judenfeindschaft heute umzugehen.

Eine kurze begriffliche Anmerkung, Sie haben es schon gemerkt, ich spreche mehr von Judenfeindschaft

und nicht so sehr von Antisemitismus, das ist historischen Gründen geschuldet. Der Begriff

Antisemitismus kommt ja erst im späten 19. Jahrhundert auf, aber es meint dem Inhalt nach dasselbe.

Teil einer Videoserie :

Presenters

Marco Schendel Marco Schendel

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:50:14 Min

Aufnahmedatum

2024-05-14

Hochgeladen am

2024-05-16 18:26:04

Sprache

de-DE

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