Ja, also das ist ein großes Thema,
die Zukunft der Menschenrechte. Und zwar geht es mir nicht um die Frage,
wie die Zukunft aussieht. Ich habe keine Glaskugel, sondern die dramatische Frage,
ob es eine Zukunft für die Menschenrechte gibt. Also eine echte Zukunft, eine politische Zukunft,
also mit auch Gestaltungsanspruch. Das klingt dramatisch, aber es scheint,
dass eine skeptische Haltung um sich greift. Ich will nur ein einziges Beispiel dafür nennen.
Der renommierte Staatsrechtler Christoph Möllers vertrat kürzlich im Gespräch mit Omri Böhm,
jetzt mittlerweile allen bekannt, bei einer Diskussionsveranstaltung die Meinung,
die Ära der Menschenrechte sei vorüber. Also angesichts neuartiger globaler Herausforderungen
und vor allem auch angesichts tektonischer Machtverschiebungen auf globaler Ebene,
könne man auf die Kraft menschenrechtlicher Verträge wohl nicht mehr setzen. Möllers
formulierte diese Einschätzung ausdrücklich mit Bedauern. Es gibt auch die hämische Variante,
also die Häme derer, denen die Menschenrechte mit ihrer moralischen Emphase irgendwie immer
suspekt waren und die deshalb lieber auf das setzen, was sie dann Realismus nennen.
Dazu zählt aber Möllers nicht. Also wenn ein linksliberaler Humanist wie Möllers davon ausgeht,
dass das mit den Menschenrechten in Zukunft schwierig werden könnte, dann ist das ein
echtes Alarmzeichen. Politische Hoffnungen sind derzeit rar gesät und da wo es sie gibt,
beschränken sie sich oftmals so eher auf Schadensbegrenzung. Für mehr scheint im Moment
die Kraft zu fehlen. Die Gründe liegen auf der Hand. Die nicht enden wollenden Krisen der letzten
Jahre haben viele Menschen müde gemacht, ja zermürbt. Corona-Pandemie, Putins Angriffskrieg
in der Ukraine, Gewalteskalation im Nahen Osten nach dem Massaker des 7. Oktober, Vormarsch
rechtspopulistischer Parteien, jetzt auch bei den EU-Wahlen, schärfer werdende Systemrivalität
zwischen Demokratien und Autokratien, Stagnation in der Klimapolitik. Das sind keine günstigen
Rahmenbedingungen für menschenrechtliche Aufbrüche, Durchbrüche. Also der Menschenrechtspolitik
bläst der Wind ins Gesicht. Das ist allerdings nicht wirklich neu. Also mit Gegenwind haben
die Menschenrechte immer zu tun gehabt in ihrer Geschichte. Was neu ist vielleicht,
ist, dass der Rückenwind fehlt. Das scheint mir so als Metapher die derzeitige Situation
zu beschreiben. Der Rückenwind ist schwach geworden. Und eine Fortschrittsidee, eine
mittlerweile übrigens sehr nüchterne, bescheiden gewordene Fortschrittsidee, die die Entwicklung
der Menschenrechte in den letzten Jahrzehnten getragen hat, die scheint eben auch nicht
mehr Rückenwind zu geben. Fortschritt ist ein Begriff, mit dem man vorsichtig umgehen
muss. Die großen hochfliegenden politischen Fortschrittsvisionen des 19. Jahrhunderts,
Marx, Hegel, Saint-Simon und andere, die waren uns schon im Laufe des 20. Jahrhunderts
weitgehend abhandgekommen, ja geradezu suspekt geworden, aus guten Gründen suspekt geworden.
Statt auf die Wirkung des Weltgeistes oder die Gesetze der historischen Dialektik hat
man dann nach dem Zweiten Weltkrieg sich daran gemacht, Institutionen aufzubauen. Große
Institutionen, UNO, Europarat, nationale Verfassungen. Und dieser Aufbau und Ausbau
von Institutionen repräsentiert eine nüchtern gewordene, eine recht pragmatische Fortschrittsvorstellung.
Also diese großen Institutionen sollten der nationalen Politik, der europäischen Politik,
der globalen Politik zumindest einen einigermaßen verlässlichen Rahmen einziehen und die Weichenstellen
für Schritte langsam, aber kontinuierlich in Richtung Fortschritt. Die Entwicklung
der Menschenrechte in der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist in diese nüchtern pragmatische
Fortschrittsidee eingespannt gewesen vielleicht. Denn was wir derzeit erleben ist genau eine Krise
auch solcher bescheiden gewordenen Fortschrittsvorstellungen. Kriegsdrohungen, Kriege,
Kriegsverbrechen, Crimes against humanity führen uns täglich vor Augen, wie dünn die Decke der
ordnungsstiftenden Institutionen in all den Jahrzehnten geblieben ist. Wie fragil das System
auch des Menschenrechtsschutzes in all den Jahrzehnten geblieben ist. Überall zeigen sich Risse
und jede offene Missachtung des Rechts, des Völkerrechts wirkt ansteckend, zieht weitere
Missachtungen nach sich, sodass die Politik der Rechtsverachtung, die im Grunde immer auch eine
Politik der Menschenverachtung ist, dann womöglich immer weiter um sich greift. Erosionserstattung
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:57:39 Min
Aufnahmedatum
2024-06-13
Hochgeladen am
2024-06-24 13:07:47
Sprache
de-DE
00:00 - 02:55 | Musik
02:55 - 52:25 | Abschiedsvorlesung
52:25 - 54:33 | Musik
54:33 - 57:31 | Musik
Musik | Mozarts Divertimento in C-Dur
Musiker*innen | "CHREN Woodwinds"
1. Klarinette | Helga Riedl
2. Klarinette | Heiner Bielefeldt
Fagott | Markus Krajewski