Die Zukunft der Menschenrechte - worauf können wir hoffen? | Abschiedsvorlesung [ID:53389]
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Ja, also das ist ein großes Thema,

die Zukunft der Menschenrechte. Und zwar geht es mir nicht um die Frage,

wie die Zukunft aussieht. Ich habe keine Glaskugel, sondern die dramatische Frage,

ob es eine Zukunft für die Menschenrechte gibt. Also eine echte Zukunft, eine politische Zukunft,

also mit auch Gestaltungsanspruch. Das klingt dramatisch, aber es scheint,

dass eine skeptische Haltung um sich greift. Ich will nur ein einziges Beispiel dafür nennen.

Der renommierte Staatsrechtler Christoph Möllers vertrat kürzlich im Gespräch mit Omri Böhm,

jetzt mittlerweile allen bekannt, bei einer Diskussionsveranstaltung die Meinung,

die Ära der Menschenrechte sei vorüber. Also angesichts neuartiger globaler Herausforderungen

und vor allem auch angesichts tektonischer Machtverschiebungen auf globaler Ebene,

könne man auf die Kraft menschenrechtlicher Verträge wohl nicht mehr setzen. Möllers

formulierte diese Einschätzung ausdrücklich mit Bedauern. Es gibt auch die hämische Variante,

also die Häme derer, denen die Menschenrechte mit ihrer moralischen Emphase irgendwie immer

suspekt waren und die deshalb lieber auf das setzen, was sie dann Realismus nennen.

Dazu zählt aber Möllers nicht. Also wenn ein linksliberaler Humanist wie Möllers davon ausgeht,

dass das mit den Menschenrechten in Zukunft schwierig werden könnte, dann ist das ein

echtes Alarmzeichen. Politische Hoffnungen sind derzeit rar gesät und da wo es sie gibt,

beschränken sie sich oftmals so eher auf Schadensbegrenzung. Für mehr scheint im Moment

die Kraft zu fehlen. Die Gründe liegen auf der Hand. Die nicht enden wollenden Krisen der letzten

Jahre haben viele Menschen müde gemacht, ja zermürbt. Corona-Pandemie, Putins Angriffskrieg

in der Ukraine, Gewalteskalation im Nahen Osten nach dem Massaker des 7. Oktober, Vormarsch

rechtspopulistischer Parteien, jetzt auch bei den EU-Wahlen, schärfer werdende Systemrivalität

zwischen Demokratien und Autokratien, Stagnation in der Klimapolitik. Das sind keine günstigen

Rahmenbedingungen für menschenrechtliche Aufbrüche, Durchbrüche. Also der Menschenrechtspolitik

bläst der Wind ins Gesicht. Das ist allerdings nicht wirklich neu. Also mit Gegenwind haben

die Menschenrechte immer zu tun gehabt in ihrer Geschichte. Was neu ist vielleicht,

ist, dass der Rückenwind fehlt. Das scheint mir so als Metapher die derzeitige Situation

zu beschreiben. Der Rückenwind ist schwach geworden. Und eine Fortschrittsidee, eine

mittlerweile übrigens sehr nüchterne, bescheiden gewordene Fortschrittsidee, die die Entwicklung

der Menschenrechte in den letzten Jahrzehnten getragen hat, die scheint eben auch nicht

mehr Rückenwind zu geben. Fortschritt ist ein Begriff, mit dem man vorsichtig umgehen

muss. Die großen hochfliegenden politischen Fortschrittsvisionen des 19. Jahrhunderts,

Marx, Hegel, Saint-Simon und andere, die waren uns schon im Laufe des 20. Jahrhunderts

weitgehend abhandgekommen, ja geradezu suspekt geworden, aus guten Gründen suspekt geworden.

Statt auf die Wirkung des Weltgeistes oder die Gesetze der historischen Dialektik hat

man dann nach dem Zweiten Weltkrieg sich daran gemacht, Institutionen aufzubauen. Große

Institutionen, UNO, Europarat, nationale Verfassungen. Und dieser Aufbau und Ausbau

von Institutionen repräsentiert eine nüchtern gewordene, eine recht pragmatische Fortschrittsvorstellung.

Also diese großen Institutionen sollten der nationalen Politik, der europäischen Politik,

der globalen Politik zumindest einen einigermaßen verlässlichen Rahmen einziehen und die Weichenstellen

für Schritte langsam, aber kontinuierlich in Richtung Fortschritt. Die Entwicklung

der Menschenrechte in der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist in diese nüchtern pragmatische

Fortschrittsidee eingespannt gewesen vielleicht. Denn was wir derzeit erleben ist genau eine Krise

auch solcher bescheiden gewordenen Fortschrittsvorstellungen. Kriegsdrohungen, Kriege,

Kriegsverbrechen, Crimes against humanity führen uns täglich vor Augen, wie dünn die Decke der

ordnungsstiftenden Institutionen in all den Jahrzehnten geblieben ist. Wie fragil das System

auch des Menschenrechtsschutzes in all den Jahrzehnten geblieben ist. Überall zeigen sich Risse

und jede offene Missachtung des Rechts, des Völkerrechts wirkt ansteckend, zieht weitere

Missachtungen nach sich, sodass die Politik der Rechtsverachtung, die im Grunde immer auch eine

Politik der Menschenverachtung ist, dann womöglich immer weiter um sich greift. Erosionserstattung

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:57:39 Min

Aufnahmedatum

2024-06-13

Hochgeladen am

2024-06-24 13:07:47

Sprache

de-DE

00:00 - 02:55 | Musik

02:55 - 52:25 | Abschiedsvorlesung

52:25 - 54:33 | Musik

54:33 - 57:31 | Musik

Musik | Mozarts Divertimento in C-Dur

Musiker*innen | "CHREN Woodwinds"

1. Klarinette | Helga Riedl

2. Klarinette | Heiner Bielefeldt

Fagott | Markus Krajewski

 

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