5 - Grenzerfahrungen: Wirkungsästhetiken des Theaters [ID:658]
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Es geht auch heute Abend um das Thema Rausch, Lust, Extase.

Wenn sich Wissenschaftler solche Themen vornehmen,

wird sich manch einer schmunzelnd abwenden.

Ist es nicht irgendwie amüsant und auch bezeichnend,

dass gerade diejenigen gerne über Rauschzustände sprechen,

die von Berufswegen eher zu nüchterner Reflexion

und gänzlich unextatischer Schreibtischhockerei angehalten sind?

Man kennt das Phänomen auch aus anderen Lebensbereichen.

Leute, die ständig über Rausch, Lust, Sex oder Abenteuer schwadronieren,

hat man sofort im Verdacht, fehlende praktische Erfahrungen

auf eben diesen Gebieten kompensieren zu wollen.

Bei solchen Erfahrungsformen genießt die alte Bauernregel

zu Recht hoher Autorität, erst einmal selbst gemacht haben,

dann darüber reden.

Nun zeichnen sich gute Rauschzustände aber deutlich aus,

dass man sich hinterher kaum an sie erinnern kann.

Das macht zumindest das wissenschaftliche Reden über Rauschzustände schwierig.

So ist es vielleicht verzeihlich, als Theaterwissenschaftler heute Abend

eher über Theater als über echte Rauschzustände zu sprechen.

Soll das heißen, dass im Theater gar keine echten Rauschzustände möglich sind?

Ein wenig in diese Richtung in der Tat wird die Argumentation gehen.

Ich glaube nämlich, dass die mit dem Theater gerade im 20. Jahrhundert

zweifellos verbundenen Verheißungen von Rausch, Lust, Extase zunächst einmal

getrennt werden müssen von ästhetischen Erfahrungen,

wie sie im Theater tatsächlich gemacht werden können.

Das Rauschhafte und das Ästhetische können sich treffen im Begriff

der Grenzerfahrung oder auch der Schwellenerfahrung.

Aber dann muss man genau hinterfragen, was mit Grenzerfahrung oder mit

Schwellenerfahrung im konkreten Fall gemeint sein kann.

Darum genau soll es heute Abend gehen, um das Konzept der Grenzerfahrung

oder Schwellenerfahrung als eine Brücke zwischen ästhetischer Theorie

und Ritualtheorie sowie als eine Möglichkeit, Rausch und Ästhetik

miteinander in Beziehung zu setzen.

Das Theater erscheint als ein gutes Untersuchungsfeld für Grenzerfahrungen.

Können wir doch zurückblicken auf die lange Tradition eines Theaters

der Grenzüberschreitungen, das die Konventionen des Alltags

mal zugunsten exzessiver Vorausgabungen, mal zugunsten

provokanter Tabubrüche sprengte?

Grenzüberschreitungen, Grenzverletzungen und Transgressionen

scheinen im Theater gleich in dreifacher Hinsicht möglich.

Grenzüberschreitung kann erstens ganz banal räumlich gemeint sein.

Dann heißt es, dass die Rampe überschritten, d. h. die Trennung

zwischen Bühne und Zuschauerraum überwunden wird.

Von Grenzüberschreitung kann man aber auch sprechen, wenn ästhetische Normen

missachtet oder konterkariert werden.

Drittens ist mit Grenzüberschreitung oft die Verletzung moralischer Regeln gemeint.

Für alle diese Transgressionen räumlich, ästhetisch, moralisch

ist das Theater der Avangarden berühmt berüchtigt.

Die aktive Überschreitung räumlicher, ästhetischer und moralischer Grenzen

lässt sich an bestimmten Aktionen im Theater meist sehr gut zeigen.

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Matthias Warstat Prof. Dr. Matthias Warstat

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:37:13 Min

Aufnahmedatum

2009-12-02

Hochgeladen am

2011-04-11 13:53:27

Sprache

de-DE

Was sind "ästhetische Erfahrungen" im Theater? Längst ist es nicht mehr das Gute, Wahre und Schöne, was im Theater zu sehen ist, aber nach wie vor darf man von Theater besondere Erfahrungen erwarten, die im Alltag nicht in gleicher Weise zu haben sind. Weitreichende Wirkungen, wie man sie sonst nur Ritualen zutraut, werden dem Theater immer wieder zugeschrieben. Oft rekurrieren solche Zuschreibungen auf die Metapher der Grenze: dann ist von Grenzüberschreitungen, Schwellenerfahrungen, Transgressionen und Exzessen die Rede. Der Vortrag nimmt solche Redeweisen unter die Lupe und stellt die Frage, ob die theatertypische Erfahrung, sich auf der Schwelle zu befinden, nicht eher als ein Zaudern, ein Zögern oder Innehalten beschrieben werden müsste. Im Gegenwartstheater erleben wir Zwischenzustände, die weder wirklich noch unwirklich, weder präsent noch abwesend, weder einladend noch abstoßend erscheinen. Es könnte nahe liegen, darauf mit einem Schwanken zu reagieren.
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