Es geht auch heute Abend um das Thema Rausch, Lust, Extase.
Wenn sich Wissenschaftler solche Themen vornehmen,
wird sich manch einer schmunzelnd abwenden.
Ist es nicht irgendwie amüsant und auch bezeichnend,
dass gerade diejenigen gerne über Rauschzustände sprechen,
die von Berufswegen eher zu nüchterner Reflexion
und gänzlich unextatischer Schreibtischhockerei angehalten sind?
Man kennt das Phänomen auch aus anderen Lebensbereichen.
Leute, die ständig über Rausch, Lust, Sex oder Abenteuer schwadronieren,
hat man sofort im Verdacht, fehlende praktische Erfahrungen
auf eben diesen Gebieten kompensieren zu wollen.
Bei solchen Erfahrungsformen genießt die alte Bauernregel
zu Recht hoher Autorität, erst einmal selbst gemacht haben,
dann darüber reden.
Nun zeichnen sich gute Rauschzustände aber deutlich aus,
dass man sich hinterher kaum an sie erinnern kann.
Das macht zumindest das wissenschaftliche Reden über Rauschzustände schwierig.
So ist es vielleicht verzeihlich, als Theaterwissenschaftler heute Abend
eher über Theater als über echte Rauschzustände zu sprechen.
Soll das heißen, dass im Theater gar keine echten Rauschzustände möglich sind?
Ein wenig in diese Richtung in der Tat wird die Argumentation gehen.
Ich glaube nämlich, dass die mit dem Theater gerade im 20. Jahrhundert
zweifellos verbundenen Verheißungen von Rausch, Lust, Extase zunächst einmal
getrennt werden müssen von ästhetischen Erfahrungen,
wie sie im Theater tatsächlich gemacht werden können.
Das Rauschhafte und das Ästhetische können sich treffen im Begriff
der Grenzerfahrung oder auch der Schwellenerfahrung.
Aber dann muss man genau hinterfragen, was mit Grenzerfahrung oder mit
Schwellenerfahrung im konkreten Fall gemeint sein kann.
Darum genau soll es heute Abend gehen, um das Konzept der Grenzerfahrung
oder Schwellenerfahrung als eine Brücke zwischen ästhetischer Theorie
und Ritualtheorie sowie als eine Möglichkeit, Rausch und Ästhetik
miteinander in Beziehung zu setzen.
Das Theater erscheint als ein gutes Untersuchungsfeld für Grenzerfahrungen.
Können wir doch zurückblicken auf die lange Tradition eines Theaters
der Grenzüberschreitungen, das die Konventionen des Alltags
mal zugunsten exzessiver Vorausgabungen, mal zugunsten
provokanter Tabubrüche sprengte?
Grenzüberschreitungen, Grenzverletzungen und Transgressionen
scheinen im Theater gleich in dreifacher Hinsicht möglich.
Grenzüberschreitung kann erstens ganz banal räumlich gemeint sein.
Dann heißt es, dass die Rampe überschritten, d. h. die Trennung
zwischen Bühne und Zuschauerraum überwunden wird.
Von Grenzüberschreitung kann man aber auch sprechen, wenn ästhetische Normen
missachtet oder konterkariert werden.
Drittens ist mit Grenzüberschreitung oft die Verletzung moralischer Regeln gemeint.
Für alle diese Transgressionen räumlich, ästhetisch, moralisch
ist das Theater der Avangarden berühmt berüchtigt.
Die aktive Überschreitung räumlicher, ästhetischer und moralischer Grenzen
lässt sich an bestimmten Aktionen im Theater meist sehr gut zeigen.
Presenters
Prof. Dr. Matthias Warstat
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:37:13 Min
Aufnahmedatum
2009-12-02
Hochgeladen am
2011-04-11 13:53:27
Sprache
de-DE