Wir freuen uns, dass wir heute zusammengekommen sind zu einem Gespräch um über das neue Buch,
das Alexander Fidora mit Kathrin Bauer zusammen herausgegeben hat, über die mantischen Künste
und die Epistemologie prognostischer Wissenschaften im Mittelalter. Alexander, das ist ein Buch,
über das wir uns im IKGF sehr freuen, über die Ergebnisse einer gemeinsamen Tagung. Wo wäre denn
der Platz dieses Buches im Zusammenhang mit der Philosophiegeschichte des lateinischen Westens
überhaupt anzusiedeln? Die Frage nach dem Platz des Buches kann ich so beantworten,
dass dieses eigentlich bislang noch gar keinen Platz hatte in der Philosophiegeschichtsschreibung
des europäischen Mittelalters, weil die epistemologischen Grundlagen der mantischen
Künste, der Astrologie, aber auch anderer prognostischer Wissenschaften eigentlich noch
gar nicht behandelt wurden. Die Frage nach der erkenntnistheoretischen und wissenschaftstheoretischen
Grundlegung dieser Wissenschaften und dessen, was es bedeutet, eine zukunftswissen generierende
Wissenschaft zu sein, sind eigentlich bislang ausgeblendet worden in der Geschichte der
Philosophie und ihrer Erforschung. Das heißt, nicht nur in der Geschichte oder in anderen Fächern,
die sich mit der Entwicklung im lateinischen Westen beschäftigen, sondern eben auch in der
Philosophie ist dieses Thema bisher vernachlässigt worden, dass wir mit unserem Kollege eigentlich
auch da eine wichtige Lücke füllen. Das ist völlig richtig. Es ist vollkommen vernachlässigt
worden, wahrscheinlich auch aus einer gewissen anachronistischen Perspektive heraus, die aus
dem aufgeklärten Selbstverständnis überhaupt nicht die Frage für nötig und für interessant hält,
warum denn im Mittelalter die prognostischen Wissenschaften und gerade Mantik und Astrologiewissenschaften
waren, wo sie es heute im europäischen Selbstverständnis eben nicht mehr sind. Und
damit wird diese Frage für viele Philosophiegeschichtler uninteressant, was jedoch falsch ist, wie dieses
Buch zeigen möchte, denn es stellen sich mit der Einordnung von zukunftswissen generierenden
Wissenschaften sehr wichtige Fragen, nicht nur für diese Wissenschaften selbst, sondern für das
Verständnis von Wissenschaft und von Prognose überhaupt, die im Mittelalter angegangen werden.
Und die ja auch zentral waren. Also, wie du sagst, die Aufklärung hat uns da den Blick ein wenig
verdunkelt und hat das im Grunde zu einer Art von, was man heute sagt, rejected knowledge gemacht,
zurückgewiesen. Und ich glaube, da haben wir alle recht, dass unser Kollege im Grunde aus
dieser marginalen Position, die das sowohl in der Philosophiegeschichte als auch übrigens in der
Wissenschaftsgeschichte hatte, einen sehr zentralen Platz hier geschaffen hat. Also, man könnte ja
dem hinzufügen, dass es ja vielleicht nicht von ungefähr ist, dass so etwas wie eine Geschichte
des Aberglaubens eigentlich traditionell in der Volkskunde angesiedelt war, aber in den anderen
Disziplinen fast nie einen Platz hatten, höchstens als Kontrastfolie oder als Ergänzung. Und ich
glaube, das ist vielleicht das Entscheidende, was dieses Buch ändern will. Das ist eine der
Stoßrichtungen des Buches, sozusagen eine alternative Perspektive zu eröffnen und eine
alternative Geschichte der Philosophie im Hinblick auf diese Fragestellung zu schreiben. In der
Philosophiegeschichte selbst dominiert eigentlich, besonders was das Mittelalter anbelangt, aber auch,
was dann spätere Entwicklungen angeht, die Idee von Wissenschaft als einer auf der Grundlage von
Ursachen operierenden Prozedur. Wissenschaft hat es mit Ursachenwissen zu tun, die Ursachen
erklären Phänomene. Das greift aber eben bei den prognostischen Wissenschaften nicht, sondern wie
viele Beiträge dieses Bandes zeigen, sind prognostische Wissenschaften Wissenschaften,
die es mit Zeichen zu tun haben, mit Zeichen, die vorausweisen auf zukünftige Ereignisse und die zu
interpretieren sind. Und das stellt die Frage nach einem ganz neuen Typ von Wissenschaft,
nämlich einem nicht-kausalen, sondern auf Zeichen basierenden Wissenschaftstyp, was zugleich eine
hochmoderne Frage auch ist. Von daher lohnt sich die Betrachtung dieser mittelalterlichen Diskussion,
weil der Zeichenbegriff natürlich in der Wissenschaftstheorie der Gegenwart wiederum
eine ganz neue Dynamik entfaltet hat, die man hier zwar nicht lückenlos dann über die Jahrhunderte
konstruieren kann, aber man kann doch sehen, es gibt ein Interesse an alternativen Wissenschaftsmodellen
im Mittelalter und an einer alternativen Geschichtsschreibung der Epistemologie will
sich dieser Band in gewisser Weise versuchen. Gleichzeitig weisen ja viele Aufsätze nach,
dass zwar das Zeichen im Zentrum steht, auch der gesternige Vortrag hat es uns ja gezeigt,
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:25:36 Min
Aufnahmedatum
2014-06-01
Hochgeladen am
2016-11-30 11:22:54
Sprache
en-US
Reflections by Prof. Dr. Alexander Fidora, Prof. Dr. Michael Lackner and Prof. Dr. Herbers about the book release "Mantische Künste und die Epistemologie prognostischer Wissenschaften im Mittelalter"
The prognostic disciplines were neglected in the European history of philosophy and other sciences. Alexander Fidora reveals in his book the important relevance of the prognostic disciplines in the 12th and 13th century, where they were autonomous disciplines in contrast to their rejected role in modern science. With Klaus Herbers and Michael Lackner he speaks about causal-based sciences and the property of prognostic sciences, which refer to signs. In this aspect it is important for Michael Lackner to see similarities and varieties to Buddhism and Chinese sciences. Another topic of the discussion is the relation of prognostic disciplines and religion. In addition, Klaus Herbers in the discussed science system focuses on the subject “freedom”, which is one item of the consortium topic “Fate, Freedom and Prognostication”.