Beginnen möchte ich mit einem Plädoyer für einen Begriff, der mittlerweile fast schon etwas diskreditiert ist, nämlich den Begriff des Fortschritts.
Ich möchte den Fortschrittsbegriff wieder gewinnen, allerdings in einer kritischen Gestalt.
Es ist ja nicht zu verkennen, dass dieser Begriff aus der Mode gekommen ist, auf sehr viel Skepsis stößt, ja man kann sagen, weitgehend auch als diskreditiert gilt.
Und hinter diesem Gefühl, hinter dieser Erfahrung steht ja vielleicht auch eine Skepsis, ob sich mit dem Fortschrittsbegriff nicht aggressive Zivilisationsmission verbindet, nicht vielleicht auch naiver Utopismus, nicht vielleicht auch Überlegenheitsdünkel, einerseits gegenüber der Vergangenheit, andererseits gegenüber anderen Kulturen.
Kurz, der Fortschrittsbegriff ist ja nicht in die Kritik gekommen, sondern eigentlich gilt er als durch, nämlich in dem Sinne, dass man ihn so heute gar nicht mehr verwenden kann.
Ich glaube, dass die skeptischen Anfragen zwar berechtigt sind, aber dass es ganz falsch wäre, diesen Begriff zu eskommutieren, ihn sozusagen loszuwerden.
Es ist zwar unmöglich, Fortschritt heute noch so zu denken, wie man das mit Hegel lange Zeit getan hat, also ein monumentales Fortschrittsbewusstsein zu pflegen, wo der Fortschritt ja also mit umfassenden Sinnpostulaten einhergeht, das können wir heute nicht mehr leisten.
Da gab es doch zu viele Brüche in jüngster Zeit und auch die Erfahrung, dass ein solches Fortschrittsdenken geradezu despotische Züge annehmen kann. Also das ist glaube ich durchaus zu Recht auch diskreditiert.
Ich möchte mich in meinem Versuch den Fortschrittsbegriff in einer kritischen Variante doch einmal wieder zur Geltung zu bringen, vor allem an Kant's Geschichtsphilosophie orientieren.
Die hat nämlich den Vorteil, dass sie sehr viel Skepsis schon in sich aufgenommen hat. Also Kant's Geschichtsphilosophie ist alles andere als monumental, alles andere als utopisch.
Sie ist sehr bescheiden. Sie ist nämlich geprägt von der Rezeption des, könnte man fest sagen, ersten großen Fortschrittskritikers. Und das war Rousseau.
Also der ganz fundamental aufgeräumt hat mit diesem Fortschrittsdünkel. Kant ist von Rousseau geprägt und hat nun ein Fortschrittsdenken eigener Art entwickelt, das sozusagen die skeptischen Anfragen schon in sich aufgenommen hat.
Ein Fortschrittsdenken, das wie ich finde sehr plausibel ist und zwar deshalb plausibel ist, weil es auch bescheiden bleibt. Zunächst ein paar negative Bestimmungen.
Nach Kant haben wir kein wirkliches Wissen vom Geschichtsverlauf. Es gibt keine objektiven Gesetze der Geschichte, die wir irgendwie erkennen könnten und die wir unserem Handeln zur Grunde legen könnten.
Weil es kein eigentliches Wissen über die Zukunft gibt, können wir auch nicht von einer Garantie des Fortschritts ausgehen. Also weder wäre es möglich, sozusagen einfach abzuwarten, wie der historische Fortschritt sich so sukzessive durchsetzt,
noch kann man sich gar anmaßen, als Geburtshelfer der Geschichte zu fungieren, wie es ja manche avantgardistischen Bewegungen versucht haben, die dann auch sehr schnell ins despotische abgerutscht sind.
Also kein Wissen über Fortschritt, keine Garantie des Fortschritts. Die Skepsis geht noch weiter. Nach Kant gibt es wohl auch keine erwachbare Endstufe der historischen Entwicklung, also keinen denkbaren Zustand wirklicher Vollendung.
Das ist wohl mit der Conditio Humana so nicht zu machen. Das ist nicht mehr theoretisch denkbar. Also der kantische Fortschritt ist in allen Fällen ein relativer Fortschritt.
Oder als dieser relative Fortschritt ist er nicht einmal ein moralischer Fortschritt. Er ist nicht als sozusagen ein moralisches Besserwerden der Menschheit beschreibbar, sondern auch da bleibt Kant noch vorsichtig und zurückhaltend.
Jetzt stellt sich die Frage, was bleibt denn dann überhaupt noch übrig, also nach all diesen negativen Bemerkungen, was bleibt denn? Wie kann man diese skeptische, kritische, realistische Fortschrittsphilosophie denn dann positiv beschreiben?
Für Kant ist der Fortschritt bezogen auf den Aufbau und Ausbau von Rechtsinstitutionen. Also es geht um Legalität, nicht oder jedenfalls nicht so ganz ungebrochen um die Vorstellung eines moralischen Besserwerdens der Menschheit.
Es geht um den Aufbau von Institutionen, die die Gewalt eindämmen und genau dieser Prozess ist für Kant sinnvoll und er ist sogar unverzichtbar.
Obwohl oder man könnte auch gerade sagen, weil diese Fortschritt selber nicht das Ziel hat die Menschheit besser zu machen, sondern sich bescheiden auf Rechtsinstitutionen konzentriert, ist dies moralisch geboten. Das ist selbst ein moralisches Gebot um der Menschenwürde aller Willen dafür zu sorgen, dass sich nicht die Herrschaft des Stärkeren durchsetzt.
Und überall wo Menschen ohne den Schutz von Rechtsinstitutionen aufeinander prallen, also wo sie faktisch interagieren, wird sich das als eine allgemeine Erfahrung dann immer der Stärkere durchsetzen.
Da entstehen Abhängigkeiten, einseitige Abhängigkeiten, potenzielle Ausbeutungsverhältnisse, das ist mit der Würde des Menschen nicht vereinbar.
Und dagegen sollen helfen Rechtsinstitutionen, die letzten Endes Maß nehmen an der Idee der Würde, der Verantwortungssubjektivität des Menschen, der Mensch als moralischem Subjekt, das steht im Mittelpunkt.
Aber die Moralität wird selber nicht zum Gegenstand eines Fortschritts, nicht zum Gegenstand von Politik. Der Rechtszwang, den es zu entwickeln gilt, darf nie werden zu einem Tugenzwang, also der Anmaß um tatsächlich die Menschen besser zu machen.
Also gerade in dieser Selbstbescheidung des Rechts bleibt der Ausbau von entsprechenden Institutionen auch moralisch geboten.
Weil das ein Prozess ist, der nur vorangetrieben werden kann durch gemeinschaftliches Handeln und zugleich durch ein sehr langfristiges Handeln, durch eine sehr, auch die Generationen übergreifende Perspektive, können Menschen nicht darauf verzichten, auch an Fortschritt zu glauben oder auf Fortschritt zu setzen.
Also politisches Handeln mit dieser Perspektive des Aufbaus von Rechtsinstitutionen überall da, wo Menschen aufeinandertreffen, und das ist mittlerweile eben auf Weltebene der Fall, ein solches Arbeiten verlangt nach einer Sinnperspektive, die man eben auch mit dem Begriff Fortschritt bezeichnen kann, ja ich finde auch sinnvollerweise bezeichnen sollte.
Andernfalls bliebe Politik eben doch ein muddling through, bliebe beschränkt auf Feuerwehrübungen oder auf den heroischen Gestus eines Sisyphus, den man vielleicht bewundern kann, den man aber nicht wirklich politisch empfehlen kann.
Also mit dem Sisyphus-Mythos kann man nicht politisch erfolgreich mobilisieren oder für gemeinsames Handeln auch werben.
Damit komme ich jetzt zu meinem dritten und letzten Abschnitt, da wird es ein bisschen praktischer. Ich will nur exemplarisch einige Großbaustellen ansprechen, drei Großbaustellen ganz aktueller Art im internationalen Menschenrechtsschutz, an denen sich eben entscheidet, gehen wir weiter oder treten wir auf der Stelle, schlagen möglicherweise sogar zurück.
Frage, was kann man nun tun, was kann man tun angesichts der Realität solcher Blockbildungen, was können europäische Staaten tun, was kann auch Deutschland tun in der Menschenrechtsaußenpolitik, also in den entsprechenden UN-Gringen.
Ich will jetzt ein negatives und ein positives Beispiel bringen, also zunächst ein negatives Beispiel, wo es mal ganz schief gelaufen ist. Letztes Jahr, der Boykott der einer Evaluationskonferenz zur Welt-Rassismus-Konferenz aus dem Jahr 2002.
Also 2002 gab es eine in Dürben Südafrika durchgeführte Konferenz zum Thema Rassismus weltweit, war zum Teil sehr sehr umstritten. Letztes Jahr in Genf im April eine Evaluierungskonferenz, genau zu dieser Dürbener Welt-Rassismus-Konferenz.
Mehrere europäische Staaten, auch Deutschland, haben diese Konferenz boykottiert. Im Vorfeld hat man Anstoß genommen an etlichen Passagen in dem Entwurf des Abschlussdokumentes, zum Beispiel an Passagen, die sehr nach Anti-Israel-Politik klingen, klangen, müsste man sagen.
Es gab mehrere steines Anstoßes, aber das interessante ist, alle diese steines Anstoßes waren abgeräumt worden. Da hat sich nämlich die Obama-Administration nach langer Zeit der Brache in der Menschheitspolitik auf einmal mit Werf hineingebracht.
Da entstand ein richtiger Enthusiasmus, alle Hindernisse, alles was die Europäer vorher angemahnt haben, was anders werden muss, ist tatsächlich, all diese Hindernisse sind tatsächlich abgeräumt worden, alle.
Und nachdem man diesen Erfolg erreicht hatte, wie gesagt auch dank einer Dynamik von Amerika, dank einer sehr klugen Verhandlungsführung eines russischen Diplomaten, entscheiden sich plötzlich, wirklich out of the blue, ohne jede Vorwarnung, mehrere europäische Staaten, boykott.
Kaum nachvollziehbar, zum Teil aus innenpolitischen Gründen, auch Deutschland, ganz kurzfristig, boykott dieser Konferenz und als Argument wurde jetzt genannt, ja, auf dieser Weltrassismus-Evaluierungskonferenz spricht als erster der iranische Präsident Ahmadinejad.
Und vor dem ist in der Tat zu erwarten, wenn er spricht antisemitische Hetze. Dass der iranische Staatspräsident Ahmadinejad die Bühne hatte, ist allerdings allein der Tatsache zu versanken, dass alle Europäer ihm die Bühne gegeben haben.
Er war überhaupt der einzige Staatspräsident, der da aufgetreten ist. Und als Staatspräsident hat er dann als erster das Rederecht, also zum Auftakt der Veranstaltung. Kein einziges Land hat ansonsten einen Präsidenten geschickt.
Kein europäisches Land außer Norwegen, außer der EU, hat überhaupt nur einen Außenminister geschickt, überhaupt einen Minister geschickt.
Und überlässt Ahmadinejad die Bühne, weil man selber nicht hinkommt und nimmt das zum Anlass, nicht etwa Ahmadinejad zu boykottieren. Dafür gibt es ja Gründe. Antisemitische Hetzreden muss man sich nicht anhören.
Nein, man boykottiert die UNO. Also völlig abstrus und das hat die Antirassismusarbeit der UNO wirklich massiv zurückgeworfen, hat die regionale Blockbildung unglücklich befördert, weil jetzt den Länder des Südens signalisiert worden war. Naja, das Thema Rassismus, das Thema Kolonialismus, transatlantischer Sklaven, das waren so Themen.
Ist für die Europäer letzten Endes doch nicht so furchtbar wichtig. Also ein ganz, ganz schlechtes Signal. Also man hat genau das befördert, was man eben abbauen sollte, Misstrauen zwischen sich immer wieder neu formierenden Blöcken.
Ein positives Beispiel, auch im Jahr 2009. Im Frühjahr, im Februar genauer gesagt, 2009 war Deutschland erstmals dran bei einem neuen Verfahren im UN-Menschenrechtsrat.
Dieses Verfahren nennt sich Universal Periodic Review. Universal, das klingt so, alle Staaten müssen da durch und zwar periodic, immer mal wieder, alle paar Jahre, alle Staaten müssen sie einem menschenrechtlichen Screening unterziehen.
Und Deutschland war zum ersten Mal Februar 2009 dran. Das ist ein ganz neues Verfahren. Und da muss man sagen, hat Deutschland bei der mündlichen Performance, als die beiden Staatssekretäre Altmaier und Erler die Menschenrechtslage in Deutschland darstellen mussten, sehr gute selbstkritische Töne angeschlagen.
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:09 Min
Aufnahmedatum
2010-06-16
Hochgeladen am
2020-03-20 09:43:46
Sprache
de-DE
Der internationale Menschenrechtsschutz hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Vereinten Nationen inhaltlich und institutionell enorm weiterentwickelt, leidet nach wie vor zugleich aber unter strukturellen Schwächen: Regionale Blockbildung (beschreibbar teils nach kultureller Differenz, teils anhand des Armutsgefälles zwischen Nord und Süd) erschwert die politische Konsensbildung im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen; die bestehenden Implementierungs-mechanismen der internationalen Menschenrechtskonventionen gelten als zu schwach und zugleich zu bürokratisch; Vorwürfe selektiver menschenrechts-politischer Aufmerksamkeit beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit des Menschenrechtsschutzsystems im Ganzen. Gleichwohl ist allgemein anerkannt, dass sich die Menschenrechte als internationales normatives Referenzsystem weitgehend durchgesetzt haben. Der Vortrag stellt konkrete Perspektiven für eine Stärkung des Menschenrechtsschutzes zur Diskussion.