1 - Geht die europäische Gewalt vom Volke aus? Grundfragen der Demokratie in der Europäischen Union [ID:699]
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Nach Art. 20 Grundgesetz ist die Bundesrepublik Deutschland

ein demokratischer Staat, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht.

Stimmt das noch?

Werden wir noch demokratisch regiert?

Oder gilt das Demokratiegebot des Grundgesetzes heute nur noch für

einen kleineren und immer kleiner werdenden Teil hoheitlicher Entscheidungsfindung?

Geht die Hoheitsgewalt in Wahrheit nicht ganz überwiegend von Brüssel aus?

Und fehlt es der von dort regierenden Europäischen Union nicht an demokratischer Legitimation?

Ich will diesen derzeit vor allem im Umfeld der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

diskutierten Fragen in fünf Schritten nachgehen.

Diese fünf Schritte habe ich Ihnen hier aufgezeichnet.

Ich werde mich zunächst mit der Bedeutung der von der Europäischen Union ausgeübten

Regelungsmacht beschäftigen.

Dann beschreibe und würdige ich die Herrschaftsstrukturen der Europäischen Union mit besonderem Blick

auf deren demokratische Qualität.

Vor diesem Hintergrund wende ich mich dann den demokratischen Schwächen des europäischen

Herrschaftssystems zu.

Gegen Ende entwickle ich Ihnen ein paar Reformvorschläge, wie sich diese Schwächen nach Möglichkeit

überwinden lassen könnten.

Eine vorläufige demokratische Bilanz bildet dann den Abschluss meiner Ausführungen.

Über die Bedeutung der europäischen Hoheitsgewalt, meinem ersten Punkt, herrscht in der Öffentlichkeit

immer noch weitgehend Unklarheit.

Wenn man sich als Europarechtler zu erkennen gibt, dann erntet man regelmäßig den anerkennend

gemeinten Satz, dass das ein Rechtsgebiet sei, was auch immer wichtiger werde.

Mit dieser Bemerkung verbindet sich die Beobachtung möglicher künftiger Relevanz mit aktueller

Irrelevanz.

Das wird wichtiger werden, impliziert auch, das ist noch nicht wichtig oder jedenfalls

nicht so wichtig.

Dem entspricht es, wenn auch in Kreisen, die mit EU-Prozessen mehr oder weniger gründlich

vertraut sind, doch, also in einer gesellschaftlichen Elite kann man sagen, wenn dort relativ ungenaue

Vorstellungen darüber herrschen, wie die Entscheidungsprozesse in Brüssel eigentlich aussehen und welche

quantitativen und qualitativen Bedeutung diesen Entscheidungsprozessen eigentlich zukommt.

Tatsächlich sind heute etwa 80 % des neu entstehenden Rechts, das in der Bundesrepublik Deutschland

Geltung beansprucht, mehr oder weniger, eher mehr als weniger, vollständig vom EG-Recht

beeinflusst.

Diese 80 %-Zahl geht zurück auf ein Wort von Jacques Delors, einem ehemaligen Kommissionspräsidenten,

der die entsprechende Vermutung schon in den Neunzigerjahren geäußert hatte, das damals

aber noch beschränkte auf den Bereich des Wirtschaftsrechts.

Im Umfeld der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat jetzt der Wissenschaftliche Dienst des

Bundestages einmal versucht zu ermitteln, wie hoch der Prozentsatz denn tatsächlich ist

und der Wissenschaftliche Dienst unterstützt die These von Jacques Delors und unterstreicht

sie noch, und zwar ganz dick unterstreicht er sie, indem er zu dem Ergebnis kommt, dass

heute tatsächlich 80 % des in der Bundesrepublik Deutschland neu entstehenden Rechts auf Europarecht

zurückgehen und zwar nicht nur des Wirtschaftsrechts im engeren Sinne, sondern des gesamten Rechts,

das überhaupt neu in Deutschland entsteht.

Vier Fünftel des neu entstehenden Rechts werden demnach in Brüssel und nicht etwa in Berlin

oder in München gemacht.

Selbst wenn man die Zahl 80 %, die mir persönlich etwas zu hoch gegriffen erscheint, aber ich

habe auch keine besseren Informationen als der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages,

selbst wenn man diese Zahl also noch relativieren könnte, bleibt es doch dabei, die überwiegende

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Bernhard Wegener Prof. Dr. Bernhard Wegener

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:37:08 Min

Aufnahmedatum

2009-10-29

Hochgeladen am

2018-05-06 12:07:39

Sprache

de-DE

Nach Art. 20 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer Staat, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Stimmt das noch? Werden wir noch demokratisch regiert? Oder gilt das Demokratiegebot des GG heute nur noch für einen kleineren und immer kleiner werdenden Teil hoheitlicher Entscheidungsfindung? Geht die Hoheitsgewalt in Wahrheit nicht ganz überwiegend von Brüssel aus und fehlt es der von dort regierenden Europäischen Union nicht an demokratischer Legitimation? Der Vortrag geht diesen derzeit vor allem im Umfeld der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum EU-Reformvertrag von Lissabon diskutierten Fragen nach. Er unterstreicht die Bedeutung der von der EU ausgeübten Regelungsmacht, analysiert die Herrschaftsstrukturen der Union mit besonderem Blick auf deren demokratische Qualität und setzt sich mit den demokratischen Schwächen der Union auseinander. Reformvorschläge und eine vorläufige demokratische Bilanz runden das Bild ab.

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