Was ist denn das überhaupt, diese Knochendistraktion und wozu dient sie überhaupt? Sie dient dazu,
einen zu kurzen Knochen zu verlängern und dabei auf aufwendige Knochentransplantation,
also Knochenverpflanzung zu verzichten. Zunächst wird eine Ostiotämie durchgeführt, das heißt,
dass der Knochen, der zu verlängern, der verlängert werden soll, in seiner Kontinuität durchtrennt wird,
wie bei einer Fraktur, die artificiell oder beim Fußballspielen zum Beispiel dann auftritt.
Wir warten dann ungefähr eine Woche ab, die sogenannte Latenzperiode. In dieser Zeit füllt sich
der Frakturspalt oder der Ostiotämiespalt mit Blut. Dieses Hematom wird von Gefäßen erschlossen
und Bindegewebszellen, die Knochenvorläuferzellen darstellen, proliferieren. Anschließend wird dann
mit einem Distraktor dieser Art zum Beispiel die Knochendehnung durchgeführt. Das ist hier ein
Distraktor mit einer Spindelmechanik, der uns erlaubt dann, 1 mm am Tag im Schnitt ungefähr den
Knochen zu verlängern. Wenn wir dann das Endergebnis erreicht haben von sagen wir mal 1, 2 oder auch 3
Zentimeter im Kiefergesichtsbereich, warten wir ab. Diese Konsolidierungsperiode dauert ungefähr 6
bis 8 Wochen. Anschließend wird der Distraktor entfernt und der Knochenumbau mit einer Wiederherstellung,
auch der Struktur des Knochens findet statt, wobei das ein bis zwei Jahre dauert, der Patient davon
aber nichts merkt. Ist diese Distraktion neu? Nein, neu ist sie nicht. Bereits 1905 hat der italienische
Chirurg Kodivia dieses Verfahren beschrieben und Sie sehen rechts aus der Originalpublikation eine
entsprechende Abbildung, die natürlich heute archaisch anmutet. Wir haben natürlich heute ganz
andere Techniken mit denen wir vorgehen, aber das Prinzip, das Kodivia 1905 beschrieb, gilt auch
heute noch. Elisarov gebührt das Verdienst diese Technik der Distraktion wiederentdeckt zu haben und
auf wissenschaftliche Füße gestellt zu haben. Während im Mundkiefer- und Gesichtstheorischen
Bereich der New Yorker MacCarthy Vorreiter war und dieses Verfahren in unserem Bereich etablieren
konnte und im deutschsprachigen Bereich verschiedene Arbeitsgruppen, unter anderem auch Klein und
Hovold, das Verfahren in Deutschland hoffähig machten. Sie sehen rechts Elisarov, der sich für seine
Verbannung nach Kurgan in Sibirien eigentlich dadurch rechte, dass heute ihn jeder kennt durch seine
Arbeit zur Distraktion im traumatologischen und orthopädischen Bereich, während diejenigen, die ihn
damals verbannt haben, natürlich nicht mehr bekannt sind. Dieser Ringfixateur, den er schon in den
50er Jahren beschrieb und natürlich dann weiter modifiziert, aber es gelang ihm an mehreren hunderten
von Patienten die Distraktion, also die Knochenverlängerung, ohne Transplantation von
Knochen durchzuführen. Nun werden Sie fragen, wann hat dieses Verfahren in der Mundkiefer- und
Gesichtstheorologie Sinn, wann sollen wir dieses Verfahren anwenden? Wir haben das hier in drei
Altersstufen aufgeteilt, in das Säuglingsalter, das Wachstumsalter und das Erwachsenenalter.
Im Säuglingsalter distrahieren wir dann den Unterkiefer insbesondere, wenn eine akute
Atemwegsobstruktion vorliegt. Sie wissen, dass die Zunge einen komplizierten Aufhängungsmechanismus
aufweist, der an der Innenseite des Unterkiefers endet. Und wenn der Unterkiefer zu weit zurück
liegt, liegt natürlich auch die Zunge zu weit zurück und das führt dazu, dass es ein Kollaps
der Zunge in den Rachenraum, zu einem Kollaps in den Rachenraum führen kann. Und das führt
natürlich dann zu einem Verschluss der Atemwege. Ein ähnliches Mechanismus wie auch bei der Schlafabknühe.
Das ist eine Indikation zur Distraktion, auch in diesem frühen Alter, um einen Luftröhrenschnitt,
eine sogenannte Tracheotomie vermeiden zu können, in bestimmten Fällen. Eine Hauptindikation zur
Distraktion sehen wir im Wachstumsalter heute bei Kindern, die eine Unterentwicklung des
Unterkiefers und des Mittelgesichtes aufweisen und natürlich auch eine Indikation im Erwachsenenalter,
wenn Teil- oder auch komplette Unterentwicklungen des Ober- oder des Unterkiefers vorliegen, sei es
nun anlagebedingt, traumabedingt oder auch tumorbedingt. Wir sehen hier jetzt einen Säugling,
unten kurz nach der Geburt, Sie sehen noch die Nabelschnur, die hier abgeklemmt wurde und was
auffällt ist dieser Schlauch, der durch die Nase führt und kein Ernährungsschlauch darstellt, sondern
ein sogenanntes Tubus ist. Hiermit wird das Kind beatmet. Es war also unmittelbar nach der Geburt
nicht in der Lage selbst Luft zu holen. Woran lag es? Sie sehen hier rechts die Computersimulation
eines Computertomogramms des Kindes in einer 3D-Simulation und es fällt auf, dass der Oberkiefer,
den Sie hier sehen, richtig steht, aber der Unterkiefer deutlich zu klein und unterentwickelt ist.
Das Kiefergelenk hier ist angelegt, aber der Unterkiefer ist sehr sehr kurz. Sie sehen es hier,
Presenters
Prof. Dr. Jörg Wiltfang
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:27:46 Min
Aufnahmedatum
2000-07-13
Hochgeladen am
2018-06-20 12:20:00
Sprache
de-DE