Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach 18 Jahren Zugehörigkeit zur Universität und meinem
kürzlichen Wechsel nach Nürnberg freue ich mich, dass ich im Kollegium Alexandrinum in
einen Vortrag halten darf zu einem Thema, das mich auch die letzten 15 Jahre beschäftigt hat,
nämlich ein Gift, ein Bakteriengift, das sogenannte Botulinumtoxin. Die Karriere eines Giftes zum
Heilmittel, vielleicht sogar zur Lifestyle-Anwendung, ein bisschen nachvollziehbar machen. Wenn Sie die
Vorgänge um den 11. September mitbekommen haben und die Angst vor Antragsmilzbrand,
war auch immer ein anderes Toxin mit im Spiel Botulinumtoxin, also das Gift bzw. die Erkrankung
Botulismus, Arsenal der Gruselkeime, Saddam Hussein, die Terrorstaaten genannt und schon ist die Angst
vor diesem Gift da. Was macht dieses Gift? Es bringt sie um, indem es sie lähmt. Und diese
Ambivalenz, ein lähmendes Gift, aber auf der anderen Seite ein Heilmittel prägt auch die
Schlagzeilen, Todesbakterien, tödliches Tiramisu, aber oben drüber auch das positive Supergift hilft
Schiefhalskranken. Wie steht es mit der Entwicklung, mit der Geschichte von diesem Gift, von diesem
Bakterium? Ich möchte versuchen, es Ihnen ein bisschen nahe zu bringen. Man wusste von Alters her,
dass es eine Krankheit, heute Botulismus genannt, gab, bei der die Muskeln gelähmt waren und auch
das vegetative Nervensystem geschädigt war. Nachdem das oft auftrat, nachdem Würste konsumiert
wurden oder Fleisch, hat man es nach dem lateinischen Botulus, die Wurst, Botulismus genannt, die Wurst,
Vergiftung. Und bereits im Altertum gibt es ganz gute Hinweise, dass die Menschen das kapiert
hatten. Es gab verschiedene Anweisungen zur Fleischzubereitung, zum Beispiel Kochen, lange
Räuchern, aus denen hervorgeht, dass man Angst hatte, dass, wenn man das nicht tut, diese Erkrankung
auftritt. Es wurden Einzelfälle beschrieben, dass nach Wurstkonsum diese Wurstvergiftung auftrat.
Und manche als Atropinvergiftung, Sie kennen Atropa belladonna, die großen Augen, beschriebene
Fälle gehen wahrscheinlich auf das Botulinumtoxin zurück, weil es auch durch Lähmung vegetativer
Nervenweitepropylen macht, aber eben auch Lähmungen. Der Durchbruch in der, wenn Sie so wollen,
wissenschaftlichen Erkenntnis kommt von einem Romantiker, einem Arzt und Schriftsteller, nämlich
Justinus Kerner. Wenn Sie gern Wein trinken, kennen Sie die sogenannte Traubensorte. Wenn Sie
mal an Weinsberg vorbeifahren, besuchen Sie sein Wirkhaus, wo er als Arzt gearbeitet hat. Er hat
wunderschöne Gedichte geschrieben, eines der Lieblingsgedichte von Franz Kafka war das Gedicht
von Justinus Kerner an der Säkmühle, also ein wahrer Romantiker. Und er hat in seiner Tätigkeit als
Arzt sogenannte Wurstgiftbücher geschrieben. Und ich will Ihnen zeigen, was Kerner fantastisches
gemacht hat. Er hat nur systematisch beobachtet. Er fand, dass an Bauernhöfen nach dem Genuss von
Würsten und Fleisch Menschen zu Tote kamen, krank wurden, gelähmt waren, Muskelähmungen hatten. Und
er hat gesagt, es muss in den verdorbenen Würsten irgendwas sein. Also ein, er nannte es Fettgift oder
Wurstgift, hatte keine Ahnung, dass Bakterien im Spiel sind, soweit waren wir damals noch nicht. Und
hat die Wirkung so beschrieben, ich zitiere Ihnen, diese Nervenausbreitungen werden durch dieses Gift
in einen Zustand gebracht, in dem Ihr Einfluss auf den chemischen Lebensprozess stillsteht,
Ihr Leitungsvermögen aufhört, wie das eines elektrischen Leiters auf den Rost einwirkt. Heute
hören Sie in einer modernen Physiologievorlesung, dass es sich um eine Störung der neuromuskulären
Übertragung handelt. Also von Kerner perfekt beschrieben, Rost im elektrischen Leiter. Und
Kerner hat auch beschrieben, dass die sogenannten vegetativen Nerven gelähmt sind. Er schrieb
1820, kein Speichel wird in den Speicheldrüsen mehr abgesondert, kein Tropfen Feuchtigkeit wird
mehr am Munde gefühlt, keine Träne mehr abgesondert. Es gibt eine außerordentliche Vertrocknung in den
Handflächen und Fußsohlen. Heute spricht man eben davon, dass die Innovation sekretorischer Drüsen
durch dieses Gift, das Protolinumtoxin, behindert wird. Und das Geniale an Kerner war, dass er aus
diesem von ihm als Fettgift bezeichnenden Stoff den Sprung zur Therapie gewagt hat. Er hat nämlich
einen Kapitel über die Fettsäure als mögliches Heilmittel geschrieben, in dem er damals schon
genialerweise sich gedacht hat, dass die Fettsäure, ich zitiere ihn, in solchen Gaben gereicht, dass
ihre Wirkung auf die Sphäre des Nervensystems beschränkt bliebe, in denen vielen Krankheiten,
die aus Aufreizung dieses Systems entstehen, von Nutzen sein möge. Also das, was als Lähmung
krank macht, könnte auch Nutzen als Therapie. Und er geht weiter und sagt das auch beim Schwitzen,
ich kürze das ein bisschen ab, dieses Gift vielleicht einzusetzen wäre. 1822, geniale Idee,
Presenters
Prof. Dr. Frank Erbguth
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:25:53 Min
Aufnahmedatum
2002-02-07
Hochgeladen am
2018-06-21 11:55:54
Sprache
de-DE
1. Das "Wurstgift" als Heilmittel 2. Einsatz bei Dystonie und Spastik 3. Hilfe für den Gastroenterologen 4. Schweißblocker und Schönheits¬mittel 5. Schmerz lass´nach 6. Impulse für die Forschung