11 - Botulinumtoxin: Vom gefürchteten Gift zum Heilmittel [ID:198]
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach 18 Jahren Zugehörigkeit zur Universität und meinem

kürzlichen Wechsel nach Nürnberg freue ich mich, dass ich im Kollegium Alexandrinum in

einen Vortrag halten darf zu einem Thema, das mich auch die letzten 15 Jahre beschäftigt hat,

nämlich ein Gift, ein Bakteriengift, das sogenannte Botulinumtoxin. Die Karriere eines Giftes zum

Heilmittel, vielleicht sogar zur Lifestyle-Anwendung, ein bisschen nachvollziehbar machen. Wenn Sie die

Vorgänge um den 11. September mitbekommen haben und die Angst vor Antragsmilzbrand,

war auch immer ein anderes Toxin mit im Spiel Botulinumtoxin, also das Gift bzw. die Erkrankung

Botulismus, Arsenal der Gruselkeime, Saddam Hussein, die Terrorstaaten genannt und schon ist die Angst

vor diesem Gift da. Was macht dieses Gift? Es bringt sie um, indem es sie lähmt. Und diese

Ambivalenz, ein lähmendes Gift, aber auf der anderen Seite ein Heilmittel prägt auch die

Schlagzeilen, Todesbakterien, tödliches Tiramisu, aber oben drüber auch das positive Supergift hilft

Schiefhalskranken. Wie steht es mit der Entwicklung, mit der Geschichte von diesem Gift, von diesem

Bakterium? Ich möchte versuchen, es Ihnen ein bisschen nahe zu bringen. Man wusste von Alters her,

dass es eine Krankheit, heute Botulismus genannt, gab, bei der die Muskeln gelähmt waren und auch

das vegetative Nervensystem geschädigt war. Nachdem das oft auftrat, nachdem Würste konsumiert

wurden oder Fleisch, hat man es nach dem lateinischen Botulus, die Wurst, Botulismus genannt, die Wurst,

Vergiftung. Und bereits im Altertum gibt es ganz gute Hinweise, dass die Menschen das kapiert

hatten. Es gab verschiedene Anweisungen zur Fleischzubereitung, zum Beispiel Kochen, lange

Räuchern, aus denen hervorgeht, dass man Angst hatte, dass, wenn man das nicht tut, diese Erkrankung

auftritt. Es wurden Einzelfälle beschrieben, dass nach Wurstkonsum diese Wurstvergiftung auftrat.

Und manche als Atropinvergiftung, Sie kennen Atropa belladonna, die großen Augen, beschriebene

Fälle gehen wahrscheinlich auf das Botulinumtoxin zurück, weil es auch durch Lähmung vegetativer

Nervenweitepropylen macht, aber eben auch Lähmungen. Der Durchbruch in der, wenn Sie so wollen,

wissenschaftlichen Erkenntnis kommt von einem Romantiker, einem Arzt und Schriftsteller, nämlich

Justinus Kerner. Wenn Sie gern Wein trinken, kennen Sie die sogenannte Traubensorte. Wenn Sie

mal an Weinsberg vorbeifahren, besuchen Sie sein Wirkhaus, wo er als Arzt gearbeitet hat. Er hat

wunderschöne Gedichte geschrieben, eines der Lieblingsgedichte von Franz Kafka war das Gedicht

von Justinus Kerner an der Säkmühle, also ein wahrer Romantiker. Und er hat in seiner Tätigkeit als

Arzt sogenannte Wurstgiftbücher geschrieben. Und ich will Ihnen zeigen, was Kerner fantastisches

gemacht hat. Er hat nur systematisch beobachtet. Er fand, dass an Bauernhöfen nach dem Genuss von

Würsten und Fleisch Menschen zu Tote kamen, krank wurden, gelähmt waren, Muskelähmungen hatten. Und

er hat gesagt, es muss in den verdorbenen Würsten irgendwas sein. Also ein, er nannte es Fettgift oder

Wurstgift, hatte keine Ahnung, dass Bakterien im Spiel sind, soweit waren wir damals noch nicht. Und

hat die Wirkung so beschrieben, ich zitiere Ihnen, diese Nervenausbreitungen werden durch dieses Gift

in einen Zustand gebracht, in dem Ihr Einfluss auf den chemischen Lebensprozess stillsteht,

Ihr Leitungsvermögen aufhört, wie das eines elektrischen Leiters auf den Rost einwirkt. Heute

hören Sie in einer modernen Physiologievorlesung, dass es sich um eine Störung der neuromuskulären

Übertragung handelt. Also von Kerner perfekt beschrieben, Rost im elektrischen Leiter. Und

Kerner hat auch beschrieben, dass die sogenannten vegetativen Nerven gelähmt sind. Er schrieb

1820, kein Speichel wird in den Speicheldrüsen mehr abgesondert, kein Tropfen Feuchtigkeit wird

mehr am Munde gefühlt, keine Träne mehr abgesondert. Es gibt eine außerordentliche Vertrocknung in den

Handflächen und Fußsohlen. Heute spricht man eben davon, dass die Innovation sekretorischer Drüsen

durch dieses Gift, das Protolinumtoxin, behindert wird. Und das Geniale an Kerner war, dass er aus

diesem von ihm als Fettgift bezeichnenden Stoff den Sprung zur Therapie gewagt hat. Er hat nämlich

einen Kapitel über die Fettsäure als mögliches Heilmittel geschrieben, in dem er damals schon

genialerweise sich gedacht hat, dass die Fettsäure, ich zitiere ihn, in solchen Gaben gereicht, dass

ihre Wirkung auf die Sphäre des Nervensystems beschränkt bliebe, in denen vielen Krankheiten,

die aus Aufreizung dieses Systems entstehen, von Nutzen sein möge. Also das, was als Lähmung

krank macht, könnte auch Nutzen als Therapie. Und er geht weiter und sagt das auch beim Schwitzen,

ich kürze das ein bisschen ab, dieses Gift vielleicht einzusetzen wäre. 1822, geniale Idee,

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Frank Erbguth Prof. Dr. Frank Erbguth

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:25:53 Min

Aufnahmedatum

2002-02-07

Hochgeladen am

2018-06-21 11:55:54

Sprache

de-DE

1. Das "Wurstgift" als Heilmittel 2. Einsatz bei Dystonie und Spastik 3. Hilfe für den Gastroenterologen 4. Schweißblocker und Schönheits¬mittel 5. Schmerz lass´nach 6. Impulse für die Forschung

Tags

Botulinumtoxin Gift Heilmittel Erbguth Collegium Alexandrinum
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