Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Prof. Heiner Bienefeld hat seit 6 Jahren den Interdisziplinären Lehrstuhl für Menschenrechte und
Menschenrechtspolitik an der FA-U inne. Seit 5 Jahren fungiert er außerdem ehrenamtlich als UN-Sonderberichterstatter
Thema Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Herr Professor Bielefeld, bitte.
Es geht schon gut mit einer sportlichen Leistung los.
Sie sind, bitte? Es gab ja Vorbilder. Ja, allerdings. Sie sind weltweiter UN-Sonderberichterstatter
für Religionsfreiheit und gleichzeitig auch Wissenschaftler. Wie gehen denn diese beiden
Aufgaben zusammen? Keine Ahnung. Das ist die wahre Antwort. Ich stelle mir so vor, dass
so ähnlich muss es Leuten gehen, die plötzlich erfahren, sie kriegen Drillinge. Und es geht
nicht. Und die einzige Möglichkeit, dass es doch geht, ist, was man weiß, man hat gar
keine Chance. Irgendwie klappt es dann. Ihr Festvortrag heute lautet, die UN-Debatte über
traditionelle Werte. Anschlag auf den Geltungsanspruch der Menschenrechte mit einem Fragezeichen
dahinter. Okay. Bitte sehr.
Ja, ab und zu gibt es richtige Grundsatzdebatten auch in den Gremien der UNO. Und solch eine
Grundsatzdebatte fand statt im September 2012, als eine Resolution im Menschenrechtsrat
auf den Tisch kam mit dem Titel Promoting Human Rights and Fundamental Freedoms through
a Better Understanding of Traditional Values of Humankind. Ich sage es nochmal auf Deutsch.
Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch ein besseres Verständnis von traditionellen
Werten der Menschheit. Ein sehr, sehr weites Thema von sehr prinzipieller Bedeutung, in
dem man sich verlieren kann. Die Beratung über diese Resolution war keine Sternstunde
des Menschenrechtsrats, sondern man erlebte eher verwirrende Debatten. Verwirrende Debatten,
die dann mündeten in ein gespaltenes Votum. Eine knappe Mehrheit kam zustande für diese
Resolution zu Traditional Values, knappe Mehrheit dafür, eine starke Minderheit dagegen, zum
Teil erbittert dagegen, darunter auch die EU-Staaten. Die EU-Staaten waren geschlossen
dagegen. Ähnliche Debatten fanden gleichzeitig statt auf der Ebene der Zivilgesellschaft.
Die UNO ist ja nicht nur ein Club der Staaten, sondern sie ist genauso der Ort der Zivilgesellschaft.
Und hier bei diesem Thema eine ähnliche scharfe Polarisierung. Das mag liegen an der Schwierigkeit
des Themas, ein ungewohntes Thema für die UNO, aber sicher ist es noch verschärft worden,
auch durch einen ganz und gar unklar gehaltenen Resolutionstext. Der Zentralbegriff Traditional
Values, traditionelle Werte, blieb in diesem Resolutionstext völlig undefiniert, völlig
verschwommen. Keine Definition, sodass man sich hier alles Mögliche und alles Unmögliche
vorstellen konnte. Dies erweckte Misstrauen. Nun war die Herkunft des Resolutionstextes
nicht unbedingt geeignet, Vertrauen zu erwecken, denn die treibende Kraft war und ist bei dieser
Debatte Russland. Russland, also ein Staat mit zunehmend autoritären Tendenzen, ein
Staat, der Druck ausübt auf kritische Journalisten, in dem zivilgesellschaftliche Organisationen
systematisch als ausländische Agenten diskreditiert werden, in dem Versammlungsfreiheit immer
mehr stranguliert ist, ein Staat, der auch eine aggressive Rhetorik fährt gegen sexuelle
Minderheiten, das ist bekannt, aber übrigens auch gegen religiöse Minderheiten, das ist
weniger bekannt. Die Zeugen Jehovas werden regelrecht an die Wand gespielt im Moment.
Und jetzt liegt der Verdacht nahe, dass über diesen undefinierten, völlig verschwiegelten
Begriff von Traditional Values Grauzonen eröffnet werden sollen. Grauzonen für staatliche
Ermessen. Das heißt, anders gesagt, dass darum gehen könnte, inmitten der Menschenrechtsdebatte
Relativismus zu implantieren. Und zwar ausgerechnet im Herzgremium der internationalen Menschenrechtspolitik
im Human Rights Council in Genf. Wenn man den Text liest, merkt man außerdem, abgesehen
davon, dass er verschwiemelt ist, zwischen den Zeilen einen doppelten Vorwurf, nämlich
einmal den Vorwurf, Menschenrechte seien traditionslos. Deshalb brauchen sie eine neue Erdung. Menschenrechte
traditionslos, ein Konstrukt liberaler Eliten, Ausdruck moderner Aufklärung, etwas höchst
künstliches, etwas höchst abstraktes, fern von der Bevölkerung und ihren lebensweltlichen
ethischen Traditionen. Menschenrechte, vielleicht sogar ein Element der Zerstörung. Und der
zweite Vorwurf, Menschenrechte eigentlich ohne Wertgrundlage, Ausdruck eines positivistischen
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:21:55 Min
Aufnahmedatum
2015-11-04
Hochgeladen am
2015-11-04 20:20:54
Sprache
de-DE