Schicksalfreiheit und Prognose sind für das Mittelalter und die mittelalterliche Geschichte
sicherlich nicht die Fragen, die lange Zeit im Zentrum standen. Im Verlauf des Mittelalters hat
sich auch der Umgang damit immer wieder verschoben und neu justiert, weil wir davon ausgehen müssen,
dass innerhalb von 1000 Jahren große Entwicklungsschübe auch geistesgeschichtliche Umwälzungen
bedingt haben. Das trifft beispielsweise zu in Bezug auf die Rezeption arabischen Wissens,
das trifft aber auch zu in Bezug auf die Entstehung der Universitäten, wo Fragen diskutiert wurden,
die früher in den Kloster-Schulen und den Kathedralschulen nicht in dieser Form diskutiert worden sind.
Insofern hat man sich um das Schicksal immer wieder gekümmert, musste aber im Zusammenhang
mit dem christlichen Glauben immer wieder neue Austarierungen und neue Präzisierungen treffen.
Der christliche Glaube und der Ratschluss des einen Gottes ist sicherlich etwas, was lange
Zeit im lateinischen Westen einer zu stark ausgeprägten Schicksalsvorstellung entgegen stand.
Insofern gab es Schicksalsvorstellungen innerhalb des Volkes. Man kann das sehen an Synodalbeschlüssen,
an Verboten in Rechtssammlungen, aber im Grunde die Rezeption des Wissens aus dem arabischen
Bereich, des alten antiken Wissens aus dem arabischen Bereich in Italien und Spanien,
vor allen Dingen im 12. Jahrhundert, hat einen ganz großen Schub ausgelöst, um sich wieder
verstärkt mit diesen Fragen zu beschäftigen. Dazu trat eben auch die Kontaktzone Rom und
Bizanz. Hier ist es sicherlich auch zu großen Austauschprozessen gekommen, denn das, was
man an Prophetie aus der Antike kannte, zum Beispiel die tibortinische Sibylle, die Sibylla
Eritrea und andere sibylinische Weißsagen, wie man sie ja dann im Mittelalter genannt
haben, sind Traditionen, die in Bizanz gepflegt wurden und dann im kurialen Milieu, aber auch
im Milieu verschiedener Orden in Italien ganz groß im 12. und 13. Jahrhundert zum Tragen
gekommen sind. Die Begegnung von Geschichte und Synologie ist meiner Meinung nach fruchtbar,
aber dieser Vergleich zwischen einer Gesellschaft, die nicht einem Eingott Glauben anhängt und
der mittelalterlichen Welt, der muss erst noch erarbeitet werden. Wir sind dort auf einem
guten Wege. Offensichtlich ging man mit Schicksal und Vorherbestimmung in der chinesischen
Gesellschaft auch in verschiedenen Epochen viel leichter um oder war diesen Konzepten
gegenüber viel stärker aufgeschlossen. Und es wird unsere Aufgabe sein, zu ergründen,
ob dies nur eben an den religiösen Voraussetzungen lag oder wie eben dann doch einzelne Entwicklungen
im Lauf der Geschichte Präzisierung ermöglichen. Und wir haben eben auch durch die Fellows
schon einige Themen sehr grundlegend bearbeitet. Beispielsweise kennt man ja gerne Thomas
von Aquin als jemand, der die mittelalterliche Theologie philosophisch mustergültig aufgearbeitet
hat. Aber die Fragen zum Schicksal, die sind bisher kaum in den Blick gerückt worden.
Ein Workshop von einem unserer Fellows hat das gemacht. Diese Ergebnisse sind inzwischen
publiziert. Wir haben uns in anderen Workshops mit großen Texten der Vorhersage und der
mantischen Künste im Mittelalter und in der frühen Neuzeit beschäftigt. Es gab einen Workshop
zur Astrologie oder es gab eben auch einen Workshop zu den politischen Prophetien, gerade
in jüngster Zeit. Und wir werden diese Fragen auch weiter beachten. Wir werden sicherlich
noch stärker zur Astrologie an den jeweiligen Höfen und die politische Bedeutung dieser
Beisagungen bearbeiten. Wir werden zum Zweiten sicherlich auch darüber uns Gedanken machen,
wie sehr eben Fragen von Mirakel und Magie für einen Vergleich mit der sinologischen
Perspektive fruchtbar werden. Und wir werden uns sicherlich auch in großem Maße noch einmal
mit apokalyptischen Vorstellungen beschäftigen über das hinaus, was wir bisher gemacht haben,
um auch die Frage zu stellen, inwieweit das moderne wissenschaftliche Weltbild im Westen
durch diese apokalyptischen Vorstellungen geprägt worden ist. Eine These, die ja beispielsweise
Johannes Fried für das Mittelalter vertreten hat. Diese These wird sicherlich im Vergleich
noch manche Ergebnisse weiterzeitigen.
Presenters
Prof. Dr. Klaus Herbers
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:05:31 Min
Aufnahmedatum
2012-06-01
Hochgeladen am
2016-11-30 11:32:35
Sprache
de-DE
At the IKGF, Sinology and Medieval History meet both bringing in the history and tradition of their respective subjects. As different as these sciences are, they are dealing with the topic of the Consortium, “Fate, Freedom and Prognostication”, from their own perspectives. Klaus Herbers, director of the Medieval History Department at the FAU, reviews the academic research of the Consortium to date, also stating the forthcoming aims and anticipated results of the cooperation between Sinology and History.