Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Ja, ich werde mich jetzt nicht nur mit dem Maret beschäftigen, sondern Sie haben es ja erwähnt,
das aus der Perspektive meines eigentlichen Fachgebiets hier machen, nämlich der internationalen Beziehungen.
Und ich denke, es tut sich eine ganze Menge in der Welt. Ich wundere mich auch, ja ich bin schon auch, da hat Herr Schumann nicht ganz unrecht, ein wenig ein politischer Mensch.
Ich wundere mich, mit welcher Gelassenheit der Westen, jetzt mal ganz groß geschrieben, von den USA bis Europa, das mit Anschaut zur Kenntnis nimmt, zum Teil unterstützt,
was im Nahen Osten, eben auch im Maghreb derzeit passiert. Ich will hier in vier Schritten einige Thesen vortragen, nämlich erstens, was war das eigentlich mit dem Aufbruch in neue und friedliche Zukunftsperspektiven.
Ich will einen Aufenthalt machen beim Krieg in Libyen, der vielleicht signifikant eine Wende sowohl in der Art der Aufstände darstellte, wie auch in der Art, wie das internationale System damit umgegangen ist.
Einen dritten Passus will ich dann Syrien widmen, wo denke ich eine ganze Menge mehr auf dem Spiel steht, als nur das Regime von Assad.
Und ich will dann als viertes kurz sagen, warum ich glaube, dass die Staaten des Kooperationsrats, angeführt von Saudi-Arabien und Qatar, offensichtlich zu einem neuen Akteur im Nahen Osten werden.
Ok, das Ganze steht unter der Überschrift, Kontra-Revolution in Nahe Ost, vom arabischen Frühling zum islamistischen Winter, so ungefähr könnte man das also einschätzen.
Ich fange mal an mit dem Aufbruch und denke, dass eigentlich das große Erstaunen war, mit welchem Jubel der Westen die Revolten in Tunesien, in Ägypten begrüßt hat.
Nicht nur, dass sich also diese Revolten wie ein Lauffeuer über die gesamte arabische Welt ausbreiteten, der Westen ließ seine so verlässlichen und seit Jahrzehnten unterstützten diktatorischen Stadthalter wie heiße Kartoffeln fallen.
Und schon am 31. Januar, also als das gerade in Ägypten begonnen hatte, als in Tunesien Ben Ali schon 14 Tage geflohen war, erklärte der Sprecher von Barack Obama, Robert Gibb,
dass den legitimen Forderungen des ägyptischen Volkes nach Versammlungs- und Redefreiheit stattgegeben werden müsse, und der Sprecher von US-Außenministerin Hillary Clinton sagte bei einem Besuch in Algier am 18. Februar,
der Wandel ist notwendig. Wir haben nicht gezögert, die universellen Rechte des algerischen Volkes zu betonen. Wir haben dasselbe in Tunesien getan. Wir sind dabei, dasselbe in der ganzen Region zu tun.
Wir ermutigen diesen Wechsel. Wir wollen einen friedlichen Wandel. Auf einem Sommerflur standen nur Frankreichs Außenministerin Michelle Aliomarie, die noch drei Tage vor der Flucht Ben Ali,
dem tunesischen Diktator, ihre Spezialkräfte zur Aufstandsbekämpfung angeboten hatte. Die westlichen Medien stimmten in den revolutionären Jubel ein und merkten offensichtlich gar nicht,
dass sie damit zugleich das rassistische Paradigma vom Kampf der Kulturen, Samuel P. Huntington, zu Grabe trugen, der ja den Muslimen Demokratieunfähigkeit bescheinigt
und entscheidend zum Aufbau des Feindbilds Islam beigetragen hatte. Dieses aber taugt in der neuen Konstellation nicht mehr.
Ich denke, es ist bemerkenswert, dass der Direktor des EU-eigenen strategischen Thinktanks, das Institute for Security Studies in Paris, gerade ein Büchlein publiziert hat,
in dem er für einen rationalen und kooperativen Umgang mit den in allen Ländern der Region als stärkste politische Kraft erscheinenden Islamisten eintritt.
Stellt sich also die Frage, ob dieser Wandel in der Position des Westens einen radikalen Politikwechsel darstellt oder ob er nicht in subtiler Weise eine Kontinuität der US-amerikanischen und westlichen Außenpolitik ausdruckt
und daher allenfalls als Strategiewechsel zu verstehen ist. Und ich denke, wir sollten uns erinnern, schon George W. Bush hatte erklärt, er wolle den Mittleren Osten demokratisieren,
democratising the Middle East. Und offiziell galten die Kriege in Irak und auch in Afghanistan diesem Ziel, auch wenn natürlich die wahren Gründe die Kontrolle des Öl- und Gasrechnungs der Region sind.
Diese Kriege sind verloren, ihr Ergebnis sind zwei zerfallene Staaten und zugleich signalisieren sie die demütigende Niederlage der einzigen nach dem Ende des Kalten Krieges noch verbliebenen Supermacht.
Und in diesem Kontext muss man dann daran denken, dass etwa 1991, also im Augenblick des realen Zusammenbruchs des Sozialismus, der konservative Kolumnist der Washington Post, Charles Krauthammer,
einen international sehr bemerkten und sehr aufmerksam zur Kenntnis genommenen Artikel geschrieben hat, mit der schönen Überschrift The Unipolar Moment, der einpolare Augenblick.
Und dort fordert er, ich zitiere, unsere beste Hoffnung auf Sicherheit ist Amerikas Stärke und die Willenskraft eine unipolare Welt zu führen und ohne Scham, so habe ich das Wort an-shamed übersetzt,
und ohne Scham die Regeln der Weltordnung festzulegen und sie auch durchzusetzen. Endes Zitat.
Dieser Augenblick scheint endgültig Vergangenheit zu sein. Zwei Kriege haben die USA verloren, die anti-amerikanischen Ressentiments in der Region waren noch nie so groß.
Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat auch die militärischen Kapazitäten und der Führungsmacht zu erodieren begonnen.
Die USA mussten aufgrund von Finanzierungsproblemen aus dem weltweit geplanten Anti-Raketen-Programm austreten.
Erstmal seit zehn Jahrzehnten wächst der US-Militär-Etat nicht mehr, sondern muss, wenn auch geringe, Kürzungen hinnehmen.
Ich denke, wer gestern oder heute, je nachdem, wie man es in der Zeitverschiebung nennt, mit Romney gewählt worden, die weiteren Einschnitte wären auch mit ihm gekommen und sie werden kommen.
Die USA verlagern ihren Schwerpunkt in den Pazifik. Sie können nicht mehr weltweit tätig werden und wer ein sehr, sehr eindrucksvolles Buch lesen will,
der greife zu Zbigniew Brzezinski's Strategic Vision, American Anthocrisis of Global Power,
eine Analyse des Niedergangs all dessen, was hinter Macht steht in den USA, ein wirklich bemerkenswertes Buch, das vor zwei Monaten erschienen ist.
Brzezinski war Sicherheitsberaterspräsident Jimmikata.
Jenseits ihrer Rhetorik waren die USA diskret auf die Schaffung von Kontinuität bedacht.
Der öffentliche Applaus für die Revolten wurde begleitet von engen Kontakten zwischen den USA und der jeweiligen Militärführung in Tunesien und Ägypten.
Der Oberkommandierende der tunesischen Armee, Rashid Ammar, besuchte mehrfach die US-Botschaft in Tunis, bevor er seinem Präsidenten den Schießbefehl verweigerte.
Und sein ägyptischer Kollege Sami Annan walte auf dem Höhepunkt der Krise in seinem eigenen Land mehrere Tage in Washington.
Das Militär beider Länder wurde so zum Garanten der Kontinuität, während die verhassten Symbole der Macht, Ben Ali und Mubarak, vom Volk verjagt werden durften.
Und nicht zu unterschätzen sind, denke ich, in diesem Wandlungsprozess auch Autortonikkräfte.
Das Militär, gerade in Ägypten, ist ein gewaltiger Machtfaktor und es ist ein Wirtschaftsfaktor.
40 Prozent der Ökonomie wird vom Militär kontrolliert.
Jährlich erhält Ägypten eine Militärhilfe von 1,3 Milliarden US-Dollar.
Das ist etwas mehr als die Hälfte dessen, was Israel erhält.
Und Ziel dieses Wandels war es also, durch ein Mehr an politischem Pluralismus und Pressefreiheit ein Ventil zu öffnen, aber nicht einen Systemwandel zu bewirken.
Und gerade Ägypten ist, denke ich, eine geostrategisch zentrale Größe, denn Ägypten besitzt den Suess-Kanal, Ägypten hat eine gemeinsame Grenze mit Israel.
Presenters
Prof. Dr. Werner Ruf
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:21:16 Min
Aufnahmedatum
2012-11-07
Hochgeladen am
2012-11-12 10:58:39
Sprache
de-DE
Mindestens so unerwartet wie die arabischen Revolten selbst war die zustimmende Begeisterung, die sie im Westen auslösten, der seine alten Freunde, die Diktatoren Ben Ali und Mubarak wie heiße Kartoffeln fallen ließ. Spätestens der Krieg in Libyen ließ Zweifel aufkommen an den allenthalben verkündeten Absichten des Westens, die Demokratie in den arabischen Ländern unterstützen zu wollen. Erstmalig seit ihrem Bestehen trat die Arabische Liga unter Führung Saudi-Arabiens und Qatars als wichtiger Akteur in Erscheinung. Vieles deutet darauf hin, dass die USA Saudi-Arabien und die Golfstaaten zu einer neuen – stellvertretenden - Hegemonialmacht und zum Gegengewicht gegen den Iran aufbauen. Die massive Förderung salafistischer Kräfte in der ganzen Region wie auch die Unterstützung radikaler Gruppen in Syrien wie im Sahel sind Teil dieser Strategie: Die Etablierung eines salafistisch-wahabitischen Islams und die Bekämpfung säkularer wie bürgerlich- demokratischer Systeme dient zugleich der innenpolitischen Absicherung der Despotien der Arabischen Halbinsel. Um den Preis der Etablierung islamistischer Regime von Marokko bis Syrien. Der Westen scheint sich mit dieser Entwicklung arrangieren zu können, bekennen sich doch die Islamisten, die flugs das Etikett „gemäßigt“ erhalten, konsequent zur Marktwirtschaft.