Geh aus mein Herz und suche Freud, die zweite Folge. Wir mussten aus technischen
terminlichen Gründen die Aufzeichnung bei der Mitte des Liedes abbrechen und das gibt
mir jetzt die Chance nochmal mit der Zentralstrophe 8 einzusteigen, die ich auf dem Handout ja
bewusst mittig gesetzt habe. Das Lied mit seinen 15 Strophen, 7 plus 7 und diese Strophe
8 als Scharnierstrophe. Ich selbst denn kann und mag nicht ruhen, des Großen Gottes großes
Tun erweckt mir alle Sinnen. Ich singe mit, wenn alles singt und lasse, was dem Höchsten
klingt, aus meinem Herzen rinnen. Ich leg den Akzent nochmal auf zumindest zwei Dinge.
Das eine, ich singe mit, wenn alles singt. Singen bleibt nie für sich alleine. Solistisches
Singen, wo die anderen nur da sitzen und zuhören und dann vielleicht klatschen, ist sozusagen
ein Unding. Das Singen, und zwar weil das das Singen über Gottes Schöpfung, über
Gottes großes Tun ist, das reißt mit. Da kann man nicht unberührt bleiben. Es heißt
ja, er, des Großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinnen. Man ist sozusagen in allen
Phasen elektrisiert, muss mitmachen. Gerade in diesen Corona-Zeiten, wo Singen reglementiert
ist und als Unding oder als Wurst, Kais sogar erklärt wird, ist es natürlich besonders
einerseits tragisch, zum anderen auch besonders wichtig, dass man sich diese wirklich essenzielle
Bedeutung des gemeinsamen Singens deutlich macht. Es erschien in der Süddeutschen Zeitung
kürzlich mal auch ein Bericht, wo einer sehr schön dargelegt hat, was fehlt eigentlich
den Gottesdiensten, warum sind die Gottesdienste so, wie sie jetzt gefeiert werden, so uncool
und nicht attraktiv, eben weil die Leute nicht singen. Und es kam sogar natürlich
Paul Gerhard vor, ich singe dir mit Herz und Mund nicht diese Passage, ich singe mit, wenn
alles singt. Und wir selber bei der Praxis der Universitätsgottesdienste, die übrigens
über die Homepage der Neustädter Kirchengemeinde mitzuverfolgen sind, stehen im Netz. Wir praktizieren
so, wir haben zwar eine Vorsängerin, weil wir ja nicht viele Strophen singen sollen,
aber ich lasse mir jedes Mal etwas einfallen, einen kleinen Moment, wo alle mitsingen dürfen,
bei jeder Strophe, bei jedem Lied. Irgendwie habe ich das unbewusst so von Anfang an gemacht
und jetzt wurde mir deutlich, dass ich im Prinzip hier einlöse, dass wir da einlösen,
was Paul Gerhard hier formuliert mit, ich singe mit, wenn alles singt. Ohne das Mitzingen geht
es nicht. Das andere, das Stichwort, ich kann und mag nicht ruhen am Anfang. Das möchte
ich nochmal betonen, es war ja auffallend, dass bei der Naturschilderung in den ersten
sieben Strophen diese Tiere und selbst die Pflanzen, die sind ja alle geschäftigt, das
sind alles aktive Werben, also die Bächleinrauschen in dem Sand und die Wiesen liegen hart dabei,
also es steht ja nicht nur sie sind und so weiter. Also es ist ganz wichtig, dass der
Eindruck erweckt wird, Natur ist ein unglaublich geschäftiges Ding. Leben ist eben kein Stillstand,
sondern da passiert immer etwas und da drücken sich die Lebenskräfte aus in vielfältiger
Aktivität und deswegen kann auch ich nicht ruhen. Also nicht still mich hinsetzen, sozusagen
wie am Strand, Demonstratives nicht tun und nur warten, dass die Sonne die Haut bräunt,
sondern wenn ich wirklich in die Natur gehe und die Natur anschaue, dann nehme ich diese
Geschäftigkeit, diese Vitalität, diese vielfältigen Lebenskräfte wahr und muss mich quasi einklinken.
Ich weiß noch nicht, bin kein Literaturwissenschaftler, ob das nicht auch ein spezifischer Unterschied
ist zu dieser Tradition des Locus Ammonus, von der ich schon sprach, dass es ja die Literaturgattung
gibt, dass man Naturgedichte macht und die Natur als besonders lieblichen Ort beschreibt,
wo es wunderbar ist, sich aufzuhalten, sozusagen schlarer Affenland mäßig und ob die Lieblichkeit
dieses Orters nicht wesentlich damit zusammenhängt, dass es da still ist und dass eben die Unruhe,
die Geschäftigkeit der sonstigen Welt ausgeschlossen ist. Idylle sozusagen, so wie es die Romantiker
dann dezidiert sehen, die Natur als Idylle, wo alles das, was im Alltag als defizitär
wahrgenommen ist, gegenteilig positiv vorhanden ist. Nein, Natur, Gottes Natur, denn in diesem
ganzen Leben in der Natur sehen wir Gott selbst am Werk des großen Gottes, großes Tun. Mit
diesem dreimaligen Groß erweckt mir alle Sinnen. Wir sehen Gott am Werk, da ist, Gott
ist busy working, ohne Unterlass und deswegen kann auch ich nicht ruhen. Also es geht nicht
um Faulenzen, sondern um Entsprechung zu Gottes unablässigem großen Wirken darin,
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:52:13 Min
Aufnahmedatum
2020-07-01
Hochgeladen am
2020-07-02 20:46:26
Sprache
de-DE
Das Phänomen Paul-Gerhardt-Lieder II
Die Lieder von Paul Gerhardt (1607-1676) sind "Evergreens" trotz ihrer veralteten barocken Sprach- und Vorstellungswelt, trotz ihres oft schweren theologischen "Ballasts", trotz ihrer Überlänge. Die Vorlesung nimmt einzelne Lieder in Textgestaltung wie Melodiezuweisung genauer unter die Lupe, vermittelt historischen Hintergrund der Liedentstehung und gibt Einblicke in die Liedrezeption durch die Jahrhunderte in Gesangbüchern wie Kunstmusik.