3 - Ambiguität und Toleranz. Von der Anerkennung der Differenz [ID:3451]
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Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man an den Begriff Ambiguität im Sinne von widersprüchlicher Mehrheitsdeutung

und noch besser an den Begriff Ambiguitätstoleranz im Sinne von Toleranzgrenze gegenüber anderen Ansichten und Deutungen denkt,

kann man sich leicht eine Verbindung zwischen diesen Begriffen und dem Begriff Toleranz vorstellen.

Der Islamwissenschaftler Thomas Bauer sieht allerdings in seinem 2011 erschienenen und vielfach beachteten Buch

die Kultur der Ambiguität keinen Zusammenhang zwischen Ambiguität und Ambiguitätstoleranz auf der einen Seite und Toleranz auf der anderen Seite.

Er schreibt, Zitat, Ambiguitätstoleranz ist nicht zu verwechseln mit Toleranz im ethisch-socialen Sinn.

Mit Bezug auf einen Wikipediaeintrag definiert Bauer den Begriff Toleranz als die Fähigkeit, generell jegliche Form des Andersseins oder Andershandelns,

andere Ansichten, Herkunft, Sexualität, Moral, Religion etc. unangetastet bestehen zu lassen.

Er stellt daraufhin fest, dass Toleranz immer schon eine klare Unterscheidung zwischen dem eigenen und dem anderen voraussetzt,

also eine Situation der Einigkeit, Eindeutigkeit und nicht der Ambiguität.

Können tatsächlich die Begriffe Ambiguität, Ambiguitätstoleranz und Toleranz so eindeutig definiert sein, dass man zwischen diesen Begriffen keine Verbindung herstellen kann?

Gerade aus den Ausführungen Bauers zur Ambiguität lassen sich, so denke ich, unverkennbare Zusammenhänge zwischen diesen Themen herleiten.

Ist mit der Ambiguität sprachliche Ambiguität gemeint, und das ist ein Aspekt der Diskussion über den Begriff Ambiguität,

ist mit der Ambiguität sprachliche Ambiguität gemeint, so spricht man, wie Bauer feststellt, über sprachliche Ausdrucke,

die in zwei oder mehr unterschiedliche Bedeutungen zugeordnet werden können.

Diese Definition trifft auch auf den Begriff Toleranz zu.

Ihm liegen unterschiedliche und in ethisch-sozialer Hinsicht zumindest zwei Bedeutungen zugrunde, zum einen dulden und zum anderen anerkennen.

Ist mit der Ambiguität kulturelle Ambiguität gemeint, und auf dieser Bedeutungsebene fokussiert Bauer seiner Analyse,

so wird nach der Art und Weise des Umgangs mit den unterschiedlichen kulturellen Phänomenen gefragt.

Je nachdem wie und auf welche Skala die kulturelle Ambiguität toleriert wird, spricht man von hoher oder niedriger Ambiguitätstoleranz.

Soweit Thomas Bauer.

Auch dieser kulturwissenschaftliche Aspekt ist bei der Bestimmung von Toleranzbedeutung wesentlich.

Toleranz wird erst dann ein Thema, wenn es A. gleichzeitige und im selben Ort diverse und miteinander konkurrierende soziale und kulturelle Phänomene gibt.

Und wenn es B. nach dem individuellen, sozialen und politischen Umgang mit diesen Phänomenen gefragt wird.

Je nach der Umgangsart mit diesem Ambiguenzustand wird entweder von respektiver oder eben toleranter Haltung gesprochen.

Und im zweiten Fall wird Toleranz entweder im Sinne von dulden oder anerkennen verstanden.

Insofern hat Toleranz mit Ambiguitätstoleranz zu tun, denn je nach der Skala der Ambiguitätstoleranz erhält Toleranz,

wie wir es später genauer sehen werden, eine andere Bedeutung.

Meine Damen und Herren, die These, die ich hier im Rahmen dieses Vortrags entwickeln möchte, besteht aus drei Annahmen.

Zum einen gehe ich davon aus, dass der Begriff Toleranz Ambig ist.

Das heißt, er hat verschiedene Bedeutungen bzw. Bedeutungsebenen.

Zum anderen behaupte ich, dass Toleranz heute nur dann als ein moralischer und sozialer Grundwert überzeugen kann, wenn sie im Sinne von Anerkennung verstanden wird.

Also als ein Grundwert, nachdem jeder Mensch unter der Bedingung der Gleichheit Anspruch auf Rechte hat, die ihm den Raum für Denken und Tun in Freiheit ermöglicht.

Zum Weiteren möchte ich zeigen, dass allen Begründungsversuchen für Toleranz die Erkenntnis über das Ambige zugrunde liegt.

Über das Ambige des religiösen Verständnisses, über das Ambige der sozialen Phänomene und schließlich und grundlegend über das Ambige der menschlichen Erkenntnisse.

Jetzt möchte ich ganz kurz die verschiedenen Bedeutungsebenen der Toleranz vorstellen.

Und zwar, diese Bedeutungsebenen sind historisch gewachsen, jedoch auch gleichzeitig und an einem Ort auftreten können.

Der Begriff Toleranz kann zum einen im Sinne von Dulden verstanden werden.

Diese Bedeutung bezeichne ich als traditionell.

Das heißt aber nicht, dass sie in den vergangenen Zeiten zu rechnen ist. Auch in der heutigen Zeit verstehen viele Toleranz als Duldung.

So liegt sie auch, wie gesagt, dem heutigen Verständnis des Begriffs Toleranz bei einigen zugrunde.

Darauf habe ich auch ein Zitat von Bauer gehabt.

Toleranz wird aber auch im Sinne von Anerkennung verstanden.

Eine moderne, den Herausforderungen heutiger, globalisierte und kulturell geprägte, transkulturell geprägte Welt angemessener Bedeutung.

Das Wort Tolerieren geht auf das lateinische Tolerere im Sinne von Erdulden zurück und bedeutete in der Antike das geduldige Ertragen von Schmerzen, Folter, Schicksalsschlägen oder militärischen Niederlagen.

Und in der Schulastik die Duldung sündigen Verhaltens um grosseres Übel zu vermeiden.

Erst ab dem 16. Jahrhundert im Zuge der ausgebrochenen religiösen Konflikte im Christentum fand der Begriff Toleranz langsam in die europäische, politische, philosophische, ethische Diskussionen Eingang.

Und bedeutete im Allgemeinen Duldung anderer religiösen Bekenntnisse und fremder Weltanschauungen.

Damit erhielt Toleranz eine ethisch-soziale Dimension, die über das geduldige, körperliche und physische Verhalten gegenüber unangenehmen und schmerzbereitenden Umständen weit hinausgeht.

Presenters

Dr. Abbas Poya Dr. Abbas Poya

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:38:23 Min

Aufnahmedatum

2013-11-27

Hochgeladen am

2013-12-09 11:31:38

Sprache

de-DE

Der Vortrag diskutiert die Zusammenhänge zwischen „Ambiguität“ und „Toleranz“ und plädiert für eine Toleranz im Sinne von „Anerkennung“. Zentrale Thesen des Vortrags sind folgende Punkte: Toleranz stellt einen „ambigen“ Begriff dar. Ihr liegen unterschiedliche und in ethisch-sozialer Hinsicht zumindest zwei Bedeutungen zugrunde: „Dulden“ und „Anerkennen“. Je nach der Skala der „Ambiguitätstoleranz“ erhält Toleranz eine andere Bedeutung. Man kann für Toleranz unterschiedlich argumentieren: religiös, pragmatisch und erkenntnistheoretisch. Diese Argumentationsmöglichkeiten stehen in Korrespondenz zueinander und rühren alle von der Erfahrung über die Ambiguität des Religiösen, des Sozialen und schließlich der menschlichen Erkenntnisse her – eine Einsicht, die einen bescheidenen Umgang mit dem eigenen Wissen und der eigenen Haltung begünstigt.

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