Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Ja, ich begrüße Sie, meine Damen und Herren.
Es geht heute um die ethischen Probleme der modernen Humangenetik.
Wie Sie aus den letzten Vorträgen zum Thema Humangenetik erfahren haben,
liegt die große und aktuelle Bedeutung der Humangenetik für uns Menschen im Allgemeinen
und für die Medizin im Besonderen in ihrem diagnostischen Potential.
Das mag sich in Zukunft ändern, irgendwann wird die Humangenetik auch therapeutische Bedeutung bekommen,
aber darüber wollen wir dann sprechen, wenn dieser Fall absehbar ist.
Dieses diagnostische Potential ergibt sich aus der besonderen Art des Wissens,
das die Humangenetik vermittelt.
Wissenschaftstheoretisch gesehen handelt es sich hierbei um ein Dispositionswissen.
Aus dem Vorliegen bestimmter aktueller genetischer Merkmale wird eine Erwartung abgeleitet,
dass der Träger dieser Merkmale bestimmte andere nicht genetische Eigenschaften aufweist,
beziehungsweise in Zukunft aufweisen wird.
Der letzte Fall ist natürlich besonders interessant und wird unter dem Titel
Prädikative Humangenetik verhandelt.
Ist solches Dispositionswissen personenbezogen, wird damit der empfindliche Kern unserer personalen Identität berührt,
weshalb wir alle an einem sorgfältigen Umgang mit diesem Wissen interessiert sind.
Dadurch ist jedenfalls der Gesetzgeber gefordert, Fragen nach der Gewinnung dieses Wissens,
nach dem Verfügungrecht und nach den Maßnahmen, die mit solchen Wissen begründet werden können,
so zu regeln, dass die Mehrheit der Menschen damit leben kann.
Und dieses Wissen hat auch einige interessante ethische Aspekte und um diesen näher nachgehen zu können,
müssen wir uns noch ein wenig Klarheit über die besondere Art dieses Wissens verschaffen.
Wie werden die Erwartungen im Falle der prädikativen Humangenetik gerechtfertigt?
Dazu wird der Träger des Merkmals in Beziehung gebracht zu einem Kollektiv von Menschen,
die erstens auch alle dieses genetische Merkmal aufweisen und zweitens bei denen sich im Laufe des Lebens
positiv korreliert andere besondere Eigenschaften gezeigt haben,
die dann in der Regel als pathologisch eingestuft werden.
In einer ganzen Reihe von Fällen kann man diesen Zusammenhang nicht nur statistisch herstellen,
sondern auch biologisch begründen. Das heißt, man weiß dann zum Beispiel,
dass eine bestimmte Genmutation die Bildung einer Eiweißverbindung verhindert,
welche für die Entwicklung des Menschen oder für seinen Stoffwechsel von existenzieller Bedeutung ist.
In vielen anderen Fällen ist ein solcher ein eindeutiger und strikter Zusammenhang allerdings nicht gegeben.
Dort, wo ein Krankheitsbild nicht über das Vorliegen bzw. Nicht Vorliegen eines einzigen Parameters bestimmt werden kann
oder wo auf der anderen Seite mehrere Gendefekte zusammenkommen müssen, um einen organischen Defekt zu erzeugen, wird es schwierig.
Das gleiche gilt, wenn mit der Genmutation nur eine schwache Penetrance verbunden ist.
Das heißt, wenn nur in wenigen Fällen, in denen die genetische Disposition vorliegt, sich diese dann auch manifestiert.
Standardbeispiel für niedrige Penetrance ist die sogenannte Hämokromatose, eine erbliche Eisenspeicherkrankheit,
die nur bei 1 bis 2 Prozent derjenigen Personen, bei denen die Disposition für die Krankheit diagnostiziert wurde,
auch wirklich zum Ausbruch kommt. Das heißt, aus der diagnostischen Feststellung lässt sich im Einzelfall nur eine höchst schwache Prognose ableiten.
Und diese prognostische Problematik verschärft sich noch einmal, wenn man bedenkt, dass Organe ihre Funktionen nicht in einem Ja-Nein-Schema erfüllen,
sondern in einer gewissen Bandbreite auf die Anforderungen des eigenen Körpers und der Umwelt reagieren können und müssen.
Dieses Reaktionspotenzial ist sicher genetisch bestimmt. In welcher Weise es aber abgerufen wird, hängt von den Lebensbedingungen und dem Lebensstil des Trägers ab.
Und so kann jemand mit einer genetisch bedingten Verdauungsschwäche froh und gesund leben,
weil seine spezifische Ernährungsweise seinen Körper nicht besonders fordert, während ein anderer mit der gleichen Disposition schwer krank wird,
obwohl er sich nach den Normen seines sozialen Umfelds normal ernährt.
Der Informationswert des dispositiven Wissens. Sie sehen also, die Handlungsrelevanz dieses Wissens ist von Fall zu Fall sehr verschieden
und sie hat auch für die Menschen, die im Besitz solchen Wissen sind, höchst unterschiedliche Bedeutung.
Was weiß denn ein Mensch, nennen wir ihn den Herrn Hinz, wenn ihm mitgeteilt wird, dass 70% der Menschen,
die seine genetische Disposition haben im Verlauf des Lebens die Krankheit X bekommen.
Presenters
Dr. Rudolf Kötter
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:59:35 Min
Aufnahmedatum
2011-11-10
Hochgeladen am
2011-11-15 12:31:20
Sprache
de-DE
Die Humangenetik wirft eine Reihe von tiefreichenden normativen Fragen auf, wie z. B.: Auf welche Weise darf man sich genetische Informationen verschaffen? Wem steht die Verfügung über diese Informationen zu? An wen dürfen... oder sollen solche Informationen weitergegeben werden? Welche Entscheidungen können und dürfen mit Berufung auf diese Informationen begründet werden? Die Behandlung dieser Fragen ist Gegenstand eines intensiven politischen und juristischen Diskurses.
Im Vortrag wollen wir uns allerdings strikt auf die ethische Dimension des Fragenkomplexes beschränken und dabei unter den einschlägigen Kategorien "Autonomie" und "Verantwortung" ethische Konsequenzen der prädikativen Humangenetik im Allgemeinen und der Präimplantationsdiagnostik im Besonderen behandeln.