Gute Nacht, meine Damen und Herren. Sie haben das Thema schon gehört. Wie viele slawische
Sprachen gibt es überhaupt? Diese Frage mutet auf den ersten Blick etwas seltsam an. Sollte
etwa der Fachmann auf diesem Gebiet, der Slavist, nicht wissen, mit wie vielen Sprachen er es zu
tun hat, um Ihnen wenigstens einen allgemeinen Eindruck von der Vielfalt und der Vielzahl der
Slavischen Sprachen zu vermitteln, zeige ich Ihnen zunächst den Gruß, guten Tag, das war jetzt nicht
ganz angemessen, in zwölf verschiedenen Fassungen. Ob es sich dabei um unterschiedliche Sprachen
handelt, wird uns anschließend beschäftigen. Damit Sie sehen, dass ich mich mit der Wahl des
Themas für den heutigen Vortrag nicht in den berühmt berüchtigten Elfenbeinturm zurückziehen
will, werde ich die Ausgangsfrage etwas umformulieren. Dazu greife ich auf Fragen zurück,
denen ich nicht selten im Alltag begegne und die vielleicht auch manche von Ihnen aus gegebenem
Anlass schon bewegt haben. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen in Südosteuropa werde ich
gelegentlich gefragt, Herr Kollege, wie ist das eigentlich mit den Serben und Kroaten? Sprechen
die eine oder zwei Sprachen? Manche stellen sogar noch präzisere Fragen, zum Beispiel zur
Situation in Sarajevo. Sprechen die Muslime dort anders als ihre serbischen und kroatischen Nachbarn?
In früherer Zeit fragte man mich häufiger, wie das denn mit dem Bulgarischen und Makedonischen sei,
handelt es sich dabei um eine oder zwei verschiedene Sprachen. Einige weitere präzisierten die Frage
noch, ist der Unterschied so wie zwischen Deutsch und Niederländisch? Wieder andere, die über den
Rand der Slavia hinausschauten, ohne sich dessen immer ganz genau bewusst zu sein, fragten mich
auch nach dem Verhältnis zwischen Rumänisch und Moldauisch. In diesem Fall bewegen wir uns freilich
im Bereich der Romania, allerdings dieses Beispiel ist für unser Thema sehr aufschlussreich, deshalb
erwähne ich es hier. Die oben aufgeworfene Frage beschäftigt also nicht nur die Fachleute von
Zeit zu Zeit, ja diese vielleicht sogar weniger als die breitere Öffentlichkeit und zwar in der
gerade beschriebenen, leicht abgewandelten und auf aktuelle Ereignisse gemünzten Form. An dieser
Stelle sei mir ein kurzer Exkurs pro domo erlaubt, die oben formulierte Frage dokumentiert in
anschaulicher Weise die erschreckende Unkenntnis über unsere östliche Nachbarn und ihre Sprachen,
und zwar nicht nur in der breiteren Öffentlichkeit, sondern leider auch in den sogenannten gebildeten
Kreisen. Das war nicht immer so, noch vor 100 Jahren war der Osten fester Bestandteil Europas,
was er jetzt allmählich wieder wird und worauf wir nur mangelhaft vorbereitet sind. Warschau,
Prag, Riga, St. Petersburg, Moskau und so weiter gehörten so selbstverständlich dazu wie Paris und
Berlin. Ein unfähiger Kaiser und ein noch unfähiger und verblendeter Führer haben hier verheerende
Schäden in unserem kollektiven Bewusstsein angerichtet, die uns unter anderem elementare
geografische Gegebenheiten vergessen ließen. Der Blick auf die Karte zeigt, dass uns von unseren
Nachbarn im Osten kein Ozean trennt. Wir werden uns also in Zukunft wieder verstärkt mit unseren
überwiegtsslavischen Nachbarn dort auseinandersetzen und ihre Sprachen lernen müssen. Leider hat sich
das in der jungen Generation noch nicht herumgesprochen, wie die viel zu geringen
Studentenzahlen in der Slavistik belegen. Ich hoffe, dass mein Vortrag auch einen kleinen
Beitrag leistet, um mehr Interesse für dieses Fach zu wecken. Doch zurück zur Eingangsfrage.
Sie lässt sich letztlich auf folgende einfache Formel reduzieren. Haben wir jeweils eine oder
zwei verschiedene slavische Sprachen vor uns. Nun, diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten,
denn der unvoreingenommene Beobachter stellt schnell fest, dass beide Standpunkte in sich
gegenseitig ausschließender Weise sehr vehement und durchaus von ernstnehmenden Leuten vertreten
werden. Wie ist das möglich? Lügen die einen, sprechen die anderen die Wahrheit oder umgekehrt?
Wenn man genauer hinsieht, zeigt sich ferner, dass die Kroaten, um beim ersten Beispiel zu
bleiben, einhellig die Meinung vertreten, dass sie eine andere Sprache als ihre Nachbarn,
die Serben, sprechen. Während die Serben ihr den anderen Standpunkt zuneigen bzw. bis zu vor
kurzem zuneigten, die Situation kompliziert sich sogar noch, wenn man einmal beobachtet, was
geschieht, wenn Serben und Kroaten miteinander reden. Das heißt, wenn sie es denn tun. Sie
brauchen keinen Dolmetscher und für den Außenstehenden gibt es keinerlei Indiz, dass
zwischen ihnen irgendwelche sprachlich bedingten Probleme auftreten. Trifft hingegen ein Süddeutscher
mit einem Niederländer zusammen, sieht die Situation etwas anders aus. Nicht selten sprechen sogar die
Presenters
Prof. Dr. Klaus Steinke
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:10 Min
Aufnahmedatum
2000-11-23
Hochgeladen am
2018-06-21 10:04:21
Sprache
de-DE
Die Frage nach der Anzahl der slavischen Sprachen beschäftigt weniger den Fachgelehrten, der natürlich in Regel eine klare Vorstellung vom Umfang seines Faches hat, sondern vielmehr die breitere Öffentlichkeit, die meist aufgrund aktueller politischer Auseinandersetzungen auf dieses Problem stößt. ....