Meine sehr verehrten Damen und Herren, Identitätsbewusstsein haben, sich mit einer Sache eins fühlen,
hier mit etwas, was wir gern Heimat nennen.
Wer besitzt das eigentlich und was heißt da mit regionaler Apostrophierung, schwäbisch
oder rheinisch oder fränkisch?
Nun, Franke kann man fernab von überholten ethnischen Vorstellungen einer gewachsenen
Stammeslandschaft, eine Vorstellung, die ich sehr an die Seite rücke, Franke sein kann
man aus drei Gründen.
Erstens mit Herzblut, weil die Familie schon seit Generationen da ansässig ist.
Oder zweitens mit reflexartiger Bissigkeit, weil man nicht München und Altbayern unterworfen
eine Prävinz sein möchte.
Oder einfach, weil man die Lebensqualität, die man hier antrifft, ausdrücklich schätzt.
Andere fühlen sich in der Gegend einfach wohl, ohne das dann besonders mit Franken den Begriff
zu verknüpfen.
Wieder andere wollen rasch weg, wollen wieder rasch weg.
Aber auch jenes Franken, das die Ersteren meinen, also die Eingeborenen gewissermaßen,
auch das ist kein sicherer Begriff.
Doch bevor ich von Identität rede, will ich zunächst einmal statistisch vorgehen.
Wie stellt sich die Bevölkerung Ober-, Mittel- und Unterfrankens zunächst statistisch dar?
Sie addiert sich derzeit auf rund 4,16 Millionen.
Das entspricht Norwegen oder Irland.
Die Hälfte davon lebt in Städten über 10.000 Einwohnern, voran natürlich mit allein einer
Million der Ballungsraum Nürnberg-Fürth-Erlangen.
Aber auch diese Zentren und ihre Speckgürtel haben im Zug des allgemeinen Geburtenrückgangs
fast zu wachsen aufgehört.
Wenn sie sich trotzdem zumindest regenerieren oder doch noch etwas zulegen, resultiert das
einerseits aus immer höheren Ausländeranteilen und andererseits aus innerdeutschen Mobilitätsgewinnen
und zwar vor allem reziprog aus der deutlichen Abwanderung aus den altindustrialisierten
Krisenrändern Nordbayerns.
Ich überschreibe das zweite Kapitel als fränkische Kultur im Prozess der Fragmentierung und Innovation.
Die klassischen Schiffren des Regionalen heißen Speis und Trank, Tracht, Dialekt, Baustil,
Raus.
Man hält all dieses hierzulande sehr hoch.
Ich erinnere an Schäufele, Radwürste, Schweinebraten mit Göß, als gründer Spiegelkarpfen, wovon
die Region pro Saison an die 3 Millionen Stück erzeugt und 1,2 Millionen selbst verzehrt.
Ich erinnere natürlich ans fränkische Bier und an den Wein aus der Boxbeutelflasche.
Aber nichts von alledem, was ich hier nenne, war je flächenhaft, einheitlich verbreitet.
Man kann sich das hier leicht vorstellen, wenn man also nun gerne Bratwürste isst und sie
in Nürnberg in 8 Zentimeter Länge kriegt, anderswo in 10 und auf Thüringen zu in Coburg
dann von 12 bis 14 Zentimeter Länge und auch der Geschmack schnell ein anderer ist.
Man muss es angesichts solcher durchaus vorhandenen Uneinheitlichkeiten also auch jetzt nicht
als Widerspruch empfinden, wenn sich Franken zugleich offen zeigt für immer neue Brechungen
und schillernde neue Verschränkungen.
Ein Großteil der Gaststätten ist heute in Ausländerhand.
Schon 1978 waren es in Nürnberg 20 Prozent.
Die Zahl ist gestiegen.
Bereits 1952 eröffnete Nicolino di Camillo in Würzburg, die anfangs vor allem von Italo-amerikanischen
GIs besuchte, älteste Pizzeria Deutschlands.
Freimütig fremd nennen sie sich Dratoria, Balkan Grill, China Restaurant oder Dönerbude
mit Namen wie Capri, Poseidon, Dalmatia, Anadolu und El Coyote.
Oft aber heißen sie noch wie früher Goldner Hirsch, Zür Linde, Graf Molke, obwohl längst
Presenters
Prof. Dr. Hartmut Heller
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:29:55 Min
Aufnahmedatum
2007-02-01
Hochgeladen am
2017-07-06 14:15:11
Sprache
de-DE
Identitätsbewußtsein haben, sich mit einer Sache eins fühlen, hier mit einem Stück Heimat: Wer besitzt das? Und was heißt da schwäbisch, rheinisch, fränkisch? Da Identität nichts direkt Meßbares ist, muß man dafür Indikatoren suchen. Der Referent wird sich der Frage annähern über Sprachverhalten, Essen und Trinken, brauchtümliche Traditionen, Werbefloskeln und andere Alltäglichkeiten mehr. Nun leben wir aber nicht mehr wie in älterer Vergangenheit in relativ geschlossenen geographischen Kleinräumen, sondern sind im 20./21. Jahrhundert vielfältigen Globalisierungseinflüssen ausgesetzt. Was kann da noch von regionsspezifischer Identität übrig bleiben?