6 - Gegen die "Arisierung des Gedächtnisses". Der Beitrag der jüdischen Museen [ID:53331]
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Professor Bielfeldt, herzlichen Dank für die Einladung. Ich hoffe, sie hören mich alle. Vielen

Dank für Ihr Kommen heute. Wir haben unglaubliches Wetter und auch noch Fußball. Da freue ich mich

besonders, dass Sie heute Lust hatten zu kommen. Ich erzähle ein wenig aus der Museumspraxis. Die

Arrisierung des Gedächtnisses ist ein Thema, das eine Anlass war, eine Ausstellung in Schneidach zu

öffnen im April dieses Jahres. Ich beginne mit einem Zitat von Hanna Arendt. In Süddeutschland

erzählte mir eine Frau, die Russen hätten mit einem Angriff auf Danzig den Krieg begonnen. Das

ist nur das Größte von vielen Beispielen, doch die Verwandlung von Tatsachen und Meinungen ist nicht

allein auf die Kriegsfrage beschränkt. Auf allen Gebieten gibt es unter dem Vorwand, dass jeder das

Recht auf eine eigene Meinung habe, eine Art Gentleman's Agreement, dem zufolge jeder das Recht

auf Unwissenheit besitzt. Und dahinter verbirgt sich die stillschweigende Annahme, dass es auf

Tatsachen nun wirklich nicht ankommt. Dieses Zitat stammt aus dem Essay Die Nachwirkungen des

Naziregimes Bericht aus Deutschland von Hanna Arendt. Es erschien 1949 50 in englischer Sprache im

Commentary einer US-amerikanischen Monatszeitschrift des American Jewish Committee. Arendts Beschreibung

des Zeitgeists im Jahr 1949 in Deutschland als ein Gentleman's Agreement erscheint heute,

wie auch im Übrigen eine Vielzahl anderer Thesen von Hanna Arendt, die eine Art Wiederbelebung

erfährt, erscheint aktueller denn je. Also in Zeiten der Fake News, in denen geschichtsrevisionistische

Tendenzen erstarken, Meinungen zu Fakten werden und Geschichte lieber gefühlt als historisch-kritisch

aufgearbeitet wird. Bis heute, knapp 80 Jahre nach Kriegsende, verwundert es also nicht, dass Raub,

Restitution und die Vermittlung der Geschichte von im Nationalsozialismus geraubten Kulturguts aus

jüdischen Besitz immer noch umstrittene und kontroverse Themen sind, um die sich viele Mythen

und Legenden ranken können, mit dem Wunsch mittels einer Geschichtsklitterung zu entschulden und dem

Wunsch einen Schlusspunkt zu setzen. Ganz nach dem Impetus, jetzt ist mal gut, darüber haben wir jetzt

genug gesprochen. Die unzähligen, ungeklärten Fälle enteigneten jüdischen Besitzes spiegeln das

Ausmaß, also bis heute das Ausmaß der Entrichtung, Enteignung, Verfolgung und Ermordung der europäischen

Juden im Nationalsozialismus wider. Dabei profitierten im Nationalsozialismus neben

jüdischen Kunsthändlern gerade Museen und Archive von der Enteignung der vertriebenen und ermordeten

jüdischen Bevölkerung. Über die historischen Abläufe, Zusammenhänge, Verantwortlichkeiten und die

Restitution enteigneten jüdischen Kulturguts sind wichtige kulturwissenschaftliche Publikationen und

bedeutende Ausstellungen kuratiert worden. Denn gemäß der Washingtoner Konferenz haben sich die

meisten Museen weltweit seit 1998 dazu verpflichtet enteignete Gegenstände zu identifizieren,

die Provenienz zu klären und gegebenenfalls die Rückerstattung an den rechtmäßigen Eigentümer,

Eigentümerinnen durchzuführen. Doch welche Intention Museen und Archive im Nationalsozialismus

verfolgten enteignete Gegenstände aus jüdischem Besitz nicht nur zu sammeln und zu bewahren,

sondern auch auszustellen und zu vermitteln, hat erst der Historiker Dirk Rupno 2005 mit seiner

Veröffentlichung vernichten und erinnern Spuren nationalsozialistischer Gedächtnispolitik

untersucht. Er beweist anhand von Sammlungs- und Ausstellungsvorhaben in Frankfurt, Prag, Wien,

Braunschweig und eben auch Schneidach, dass mit der totalen physischen Vernichtung der europäischen

Juden durch die Nationalsozialisten nicht zwangsläufig die sogenannte Entlösung der

Erinnerungen an jüdisches Leben einhergehen sollte, sondern die Arrisierung des Gedächtnisses an

jüdische Geschichte und Kultur. Die nationalsozialistische Deutungshoheit über

das Narrativ jüdischer Geschichte war ein wirksames Mittel, um nach der Vernichtung jüdischen Lebens das

für die nationalsozialistische Ideologie notwendige antisemitische Feindbild am Leben zu erhalten.

Dabei spielte die Musealisierung von Kulturzeugnissen aus jüdischem Eigentum eine Schlüsselrolle.

Nationalsozialismus und Holocaust würden, so Rupno, damit nicht mehr nur als Ausgangspunkt

für die Gedächtnistiskurse der Nachkriegszeit betrachtet, sondern die Funktion von Gedächtnis und

Erinnerung würde im unmittelbaren Zusammenhang mit der Beraubungs- und Vernichtungspolitik untersucht.

Anders gesagt, die Unfähigkeit diesen Zusammenhang herzustellen, zeigt auf, woran wir uns nicht

erinnern möchten. Seit April dieses Jahres präsentiert das Jüdische Museum Franken in Schneidach

die Ausstellung Gentleman's Agreement, der Umgang mit Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute.

Am Beispiel des Heimatmuseums Schneidach, das 1938-39 in die arisierte Synagoge samt Arabiner- und

Teil einer Videoserie :

Presenters

Daniela Eisenstein Daniela Eisenstein

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:40:17 Min

Aufnahmedatum

2024-06-18

Hochgeladen am

2024-06-27 12:36:04

Sprache

de-DE

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