Die Inszenierungsform von Literatur oder die Eventisierung der Buchbranche.
Eingebettet ist der ganze Vortrag ja in eine größere Ringvorlesung,
die umschrieben ist mit dem Titel vom Fest zum Event.
Was ist eigentlich ein Event?
Oder vielleicht auch ein bisschen provokanter gefragt, was ist heutzutage kein Event mehr?
Wenn man das Ganze einfach mal googelt, das erste, was man bei Google findet,
sind Jochen Schweizers abgefahrene Eventideen.
Da kann man dann Bagger fahren oder Kamel reiten, hat man im Angebot.
Das wird also als Eventideen verkauft.
Es gibt bei RTL das sogenannte Event, den Eventfilm, also Filme mit Eventcharakter.
Aber inwiefern sind diese Filme anders als andere Fernsehproduktionen?
Wenn ein Mario-Bad und Konsorten auftreten, auch dann heißt es, das ist das Mega-Event.
Event-Shopping, Event-Kino, also Sie sehen, es ist eine große Bandbreite mit dem Begriff Event verbunden.
Neue Inszenierungsformen von Literatur.
Diese neuen Inszenierungsformen von Literatur setze ich an relativ aktuell seit den 1990er Jahren,
als in dieser Zeit ein gewandeltes Literaturverständnis sich entwickelt hat.
Ich greife hier einen Begriff auf, den Matthias Warstadt in seinem Vortrag vor zwei Wochen verwendet hat.
Das Nomadentum der Autoren.
Die Autoren, die aus der Buchhandlung heraus sich an neue Orte bewegen.
Welche Orte dies sind, werden Sie sehen.
Die Interaktion zwischen Autor und Leser, diese ursprüngliche stärkere Trennung, wird zunehmend aufgehoben.
Und was eine wichtigere Rolle spielt, ist die Selbstinszenierung der Autoren.
Das ist eine neue Inszenierungsform von Literatur, nämlich die sogenannten Lesebühnen,
die sich Anfang der 1990er Jahre etabliert haben.
Es gibt hier einen festen Autorenstamm mit regelmäßigen Treffen.
Hier werden selbst verfasste kurze Texte präsentiert.
Und wie Sie hier sehen können, das ist keine Buchhandlung.
Das ist ein schicker Club in Berlin.
Und ich lese Ihnen einen kurzen Ausschnitt aus einem Spiegelartikel vor,
der das eigentlich sehr treffend beschreibt, was hier eigentlich anders ist.
Auf der Bühne haben sich fünf Herren und eine Dame leger um einen schlichten runden Tisch versammelt.
Ein vollschlanker Herr im schwarzen Smoking und mit roter Fliege gibt den Moderator Doktor Selsam.
Auf sein Wort hin treten die Mitglieder der unheiligen Tischgesellschaft einzeln vor das Mikrofon
und tragen ihre Texte vor.
Keine Gedichte, keine Betroffenheitsposer, keine Aufrufe zum Kampf für eine bessere Welt.
Nur Geschichten aus dem Alltag.
Selbst Erlebtes, Selbst Erfahrenes, Selbst Geschriebenes.
Das aber hat es in sich.
Immer wieder braust das Gelächter der knapp 300 überwiegend jungen Menschen durch den verrauchten Saal.
Vorlesen, so viel versteht man, ist cool.
Die neuen Metropolendichter heißen Taxi Micha, Tube und Spider
und sie haben keinerlei Ähnlichkeit mit den PR-gestützten und durchgestylten Autorendarstellern,
die man sich ohne Prosecco und gesponserten Lachsbegel gar nicht vorstellen kann.
Spider und Co. gehören weder zur mit neuer Liebe gepflegten Szene der literarischen Salons
zwischen Charlottenburg und Dahlem, noch zu jener Slam Poetry Gemeinde,
bei der buchstäblich alles erlaubt ist und jeder mitmachen kann.
Sie haben, anders als die Großen der Literaturszene, von Peter Schneider bis Christoph Hain,
keine Großverlage im Rücken, die für Publizität sorgen.
Dafür haben sie aber ein Publikum, das nicht vor lauter Andacht an Mundtrockenheit leidet
und nur bezahlt, wenn es will.
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:50 Min
Aufnahmedatum
2010-11-24
Hochgeladen am
2011-04-11 13:53:30
Sprache
de-DE