6 - Schmerz und Narkose. Neue Einsichten - Neue Aussichten [ID:203]
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Den Schmerz während der Operation zu vermeiden, ist eine Chimäre, die zu verfolgen heute nicht

mehr erlaubt ist.

Schneidende Instrumente und Schmerz sind zwei Worte, welche sich niemals das eine ohne

das andere dem Geist des Kranken zeigen. So lautet die Übersetzung des Zitats des

großen französischen Chirurgen Valpeau, dass er wie ein ehrenes Dogma im Jahre 1839

in den Raum setzte. Und damit begrüße ich Sie, meine Damen und Herren, von meiner Seite.

Und füge hinzu, sage niemals nie, denn nur sieben Jahre später war es der medizinischen

Wissenschaft gelungen, Valpeau zu widerlegen. Der amerikanische Arzt William T.G. Moten

führte die erste öffentliche Demonstration einer Äthernarkose im später so genannten

Isordogen an, der Harvard-Universität zu Boston durch. Dies war der Big Bang, die Geburtsstunde

der Anästhesiologie. So wurde nämlich die Lehre und Wissenschaft von der Narkose später

genannt. Was war denn das Sensationelle an dieser Sensation? Nun, zum ersten Mal wurde

das Dogma von Valpeau widerlegt und eine chirurgische Operation ohne Schmerz durchgeführt. Ist das

tatsächlich so? Was die Augenzeugen der damaligen Ereignisse kolportierten, war, dass sie keine

manifesten Schmerzäußerungen, wie zum Beispiel Abwehrbewegungen oder Weinen oder Schreien,

verzeichnen konnten. Bedeutet aber das Fehlen von Schmerzäußerungen auch das Fehlen von

Schmerz selbst? Oder ist diese Frage vielleicht lediglich die Haarspalterei einer wissenschaftlichen

Krämer-Säle? Der vermeintlich gesunde Menschenverstand sagt, was aussieht wie ein Hund, bellt wie

ein Hund, wird wohl auch ein Hund sein. Können wir davon ausgehen, dass wenn ein Patient

nicht über Schmerzen klagt, er sich nicht wehrt und schreit während einer Operation,

der Patient auch keine Schmerzen hat? Was ist eigentlich Schmerz? Und wie versucht die

Anästhesiologie, ihn zu bekämpfen? Nun, die internationale scientific community, genauer

gesagt die International Association for the Study of Pain, hat Schmerz definiert als eine

unangenehme sensorische und emotionale Empfindung in Verbindung mit einer aktuellen oder potenziellen

Gewebsläsion oder beschrieben im Zusammenhang mit einer solchen Läsion. Oder etwas verkürzt,

vereinfacht ausgedrückt, Schmerz ist die bewusste Wahrnehmung eines schmerzhaften Reizes. Schmerz

wird hier in der Definition gleichgesetzt mit Schmerzempfindung. Schmerz setzt Bewusstsein

voraus. Ja, es ist so, dass wir nicht Schmerzen im Bein oder im Fuß haben, sondern schon, wie der

französische Philosoph und Mathematiker Descartes erkannt hatte, vom Ort der Entstehung, hier der

Fuß, wird der Schmerzreiz über das dichte Nervenzellgeflecht des Rückenmarks zum Gehirn

geleitet. Und was wir heute wissen, im Gehirn entsteht aus dem Schmerzreiz der Schmerz. Schmerz ist eine

höchst komplexe, integrative, funktionelle Leistung des Gehirns. Wir haben nicht Schmerz im Fuß, sondern

im Fuß entsteht der Schmerzreiz und unser Gehirn projiziert dann den Schmerz wieder zurück in den

Fuß, sodass wir meinen, ihn dort wahrzunehmen. Vom Schmerz, dem bewussten Empfinden eines

Schmerzreizes zu unterscheiden, sind die nicht an das Bewusstsein gekoppelten verschiedensten Reaktionen

des Körpers auf den Schmerzreiz, die man in ihrer Gesamtheit Nozizeption nennt, beziehungsweise ihre

Unterdrückung, Anti-Nozizeption. Nozizeption ist also der vom expliziten Bewusstsein unabhängige

Teil des Schmerzgeschehens. Während in vielen Bereichen der Medizin man versucht, den Schmerz

dadurch zu verhindern, zu bekämpfen, zu lindern, indem man den schmerzreizauslösenden Prozess,

zum Beispiel die Entzündung heilt, ist diese Möglichkeit bei der Narkose natürlich nicht

gegeben, weil der Chirurg eben schneidet. Nicht notwendigerweise der Schmerz selbst,

aber eben der Schmerzreiz, das Schneiden, inherent zum Heilprozess gehört. Wenn die

Anästhesiologie zwar nicht den Schmerzreiz verhindern kann, welche Möglichkeiten hat sie denn

den Schmerz zu verhindern oder ihn zumindest zu dämpfen? Im Wesentlichen gibt es zwei Möglichkeiten.

Wir können die Schmerzreizweiterleitung an verschiedenen Stellen des Körpers unterbrechen,

sodass der Schmerzreiz erst gar nicht zum Ort der Schmerzentstehung kommt, zum Beispiel durch

sogenannte Lokalanästhetika oder auch durch Opiate. Oder aber wir verhindern die Schmerzentstehung,

das heißt das Entstehen der Schmerzempfindung, zum Beispiel durch die Erzeugung von Bewusstlosigkeit,

durch Schlafmittel, sogenannte Hypnotika, wie zum Beispiel Barbithorate oder Benzodiazepine.

Damit bin ich bei den beiden entscheidenden Fragen, die den Rest meines Vortrags bestimmen,

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Helmut Schwilden Prof. Dr. Helmut Schwilden

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:30:04 Min

Aufnahmedatum

2002-11-28

Hochgeladen am

2017-07-04 15:13:42

Sprache

de-DE

Tags

Schmerz Aussichten Collegium Alexandrinum Narkose Einsichten Schwilden
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