6 - Was ist automatische Rechtsepistemologie? – Interview mit Herrn Christoph Merdes [ID:28884]
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Heute begrüße ich Herrn Christoph Merdes von Zivis, dem Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion

und Schlüsselqualifikation. Herr Merdes, Sie sind Informatiker, haben aber in der Philosophie

promoviert und haben über Wissenschaftstheorie promoviert. Sie haben heute ein Thema, nämlich

digitale Rechtsepistemologie, eine wissenschaftstheoretische Perspektive. Was heißt Epistemologie?

Epistemologie ist erst mal die Lehre von allem, was Wissen betrifft. Also die Frage, was bedeutet

der Begriff Wissen und insbesondere dann, was sollten wir quasi befolgen, wenn wir gerechtfertigter

Weise behaupten wollen, Wissen zu besitzen. Das ist dann auch die Frage, welche Prozesse sollten wir

verwenden, um Wissens erwerben, Dinge zu lernen, welchen Maßstäben folgen, folgen Begriffe unseres

Wissens, unserer Überzeugung etc. Unsere ganze Serie geht ja über die Frage, ist ein Richterautomat

irgendwann möglich? Stichwort Legal Tech, Digitalisierung des Rechts. Sie haben eine

wissenschaftstheoretische Perspektive darauf geworfen. Wie funktioniert das? Genau, meine

Herangehensweise, meine Analysekategorie, sage ich mal, ist, ich suche die epistemischen Normen auf,

die mir üblicherweise im Recht verwendet werden scheinen. Das wären jetzt Transparenz, Konsistent

und sachliche Richtigkeit, also die korrekte Beurteilung der Sachverhalte in der Welt. Und

dann sehe ich mir Optionen an, die quasi verfügbar sind mit aktueller Technologie, wie man rechtliche

Prozesse schließen, insbesondere rechtliches Urteilen automatisieren könnte und beurteile

die dann anhand von diesen Normen. Also meine grundsätzliche Unterscheidung wäre jetzt quasi

so in zwei Prozesse. Das eine wäre mal die Tatsachenfeststellung, Sachverhaltsfeststellung

und in einem zweiten Schritt kann die Sachverhalte stehen in den richtigen theoretischen Begriffen,

die in meinen Rechtsnormen vorkommen. Dann kann ich dazu übergehen, tatsächlich zu schließen auf

zum Beispiel schuldig oder nicht schuldig oder was auch immer eben die entsprechende Schlussfolgerung

ist in der Rechtsnorm. Das ist interessant. Sie unterscheiden also zunächst mal wie sozusagen

die alten juristischen Methodenlehre, die Tatfrage und die Rechtsnorm. Früher hat man sich das so

vorgestellt, auch heute wird es noch vertreten, dass dann im Rahmen eines juristischen Syllogismus in

einem logischen Schlussverfahren die sozusagen Schlussfolgerung gezogen wird. Wenn sozusagen

die Begriffe im Sachverhalt den Begriffen in der Norm entsprechen, ja dann ist die Konklusion fast

schon trivial. Stellen Sie sich das so vor, dass wir mit Computern sozusagen diesen juristischen

Syllogismus abbilden? Ich meine das wäre prinzipiell ein Teil einer Option davon,

was wir machen könnten. Also ich gehe mal ganz kurz zurück zu dem ersten Prozess. Also eine

Schwierigkeit, die ich sehen würde an dieser Perspektive ist, dass die Schwierigkeiten,

die versteckt sind in dem Prozess der Tatsachenfeststellung, die epistemischen

Probleme, davon gewissermaßen ausgeklammert werden. Also ich gehe irgendwie davon aus,

ich habe bereits eine Tatsachenfeststellung in den korrekten theoretischen Begriffen,

die ich benötige für die Rechtsnormanwendung. Und da würde ich sagen, man könnte zum Beispiel sagen,

ich habe eine sehr heterogene Menge von Daten, Zeugenaussagen, Dokumente, Materialewidenzen,

irgendwie ein Excel-Sheet voller Zahlen, das irgendwie eine Bilanz ist, solche Sachen. Und

im Prinzip muss ich von da erst mal dahin kommen, dass ich sage, das hier ist eigentlich der Fall.

Und da gibt es jetzt verschiedene Optionen. Ich sage mal, man könnte irgendwie so klassisch

statistisch vorgehen, dann hat man ein sehr transparentes Modell, wo man alles schön

explizieren muss. Dafür muss man alles vorher eben schön explizieren. Oder man benutzt Machine

Learning Techniken, dann hat man nicht das Problem, dass man alles vorher explizieren muss. Dafür sind

diese Algorithmen zumindest gegenwärtig noch sehr intransparent. Wenn man das gemacht hat,

auf die eine oder andere Weise, dann hätte man erstmal quasi die Tatsachenfeststellung

geleistet. Und dann wäre eine Möglichkeit, dass man auf diese klassische Weise weitergeht,

dass man das Ganze jetzt sich logisch versteht und die Rechtsnorm irgendwie logisch formalisiert

und dann die festgestellten Sachverhalte benutzt, um diese formalisierte Rechtsnorm anzuwenden,

als Schlussfolger, was eben dabei herauskommt. Das hat verschiedene Probleme, die wir auch eingehen

können prinzipiell. Aber jetzt würde man sagen, okay, das hat Probleme einfach mal. Und deswegen

könnte man jetzt sagen, auch dafür verwenden wir wieder Machine Learning. Also wir nehmen

Sachverhaltsfeststellungen aus anderen Fällen plus die Urteile, die Richter in dem Fall gefällt

Teil einer Videoserie :

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:11:38 Min

Aufnahmedatum

2021-01-26

Hochgeladen am

2021-01-27 00:48:57

Sprache

de-DE

Was ist Rechtsepistemologie? Ist unter diesen wissenschaftlichen Maßstäben ein Richterautomat möglich? Welche Anforderungen wären an diesen im Hinblick auf Konsistenz, sachliche Korrektheit und Transparenz zu stellen? Können durch maschinelles Lernen und neuronale Netze die Prozesse der Sachverhaltsverarbeitung und Subsumption automatisiert und formalisiert werden? Videointerview von Christoph Merdes durch Notar und Lehrbeauftragten Prof. Dr. Axel Adrian.

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