Heute begrüße ich Herrn Christoph Merdes von Zivis, dem Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion
und Schlüsselqualifikation. Herr Merdes, Sie sind Informatiker, haben aber in der Philosophie
promoviert und haben über Wissenschaftstheorie promoviert. Sie haben heute ein Thema, nämlich
digitale Rechtsepistemologie, eine wissenschaftstheoretische Perspektive. Was heißt Epistemologie?
Epistemologie ist erst mal die Lehre von allem, was Wissen betrifft. Also die Frage, was bedeutet
der Begriff Wissen und insbesondere dann, was sollten wir quasi befolgen, wenn wir gerechtfertigter
Weise behaupten wollen, Wissen zu besitzen. Das ist dann auch die Frage, welche Prozesse sollten wir
verwenden, um Wissens erwerben, Dinge zu lernen, welchen Maßstäben folgen, folgen Begriffe unseres
Wissens, unserer Überzeugung etc. Unsere ganze Serie geht ja über die Frage, ist ein Richterautomat
irgendwann möglich? Stichwort Legal Tech, Digitalisierung des Rechts. Sie haben eine
wissenschaftstheoretische Perspektive darauf geworfen. Wie funktioniert das? Genau, meine
Herangehensweise, meine Analysekategorie, sage ich mal, ist, ich suche die epistemischen Normen auf,
die mir üblicherweise im Recht verwendet werden scheinen. Das wären jetzt Transparenz, Konsistent
und sachliche Richtigkeit, also die korrekte Beurteilung der Sachverhalte in der Welt. Und
dann sehe ich mir Optionen an, die quasi verfügbar sind mit aktueller Technologie, wie man rechtliche
Prozesse schließen, insbesondere rechtliches Urteilen automatisieren könnte und beurteile
die dann anhand von diesen Normen. Also meine grundsätzliche Unterscheidung wäre jetzt quasi
so in zwei Prozesse. Das eine wäre mal die Tatsachenfeststellung, Sachverhaltsfeststellung
und in einem zweiten Schritt kann die Sachverhalte stehen in den richtigen theoretischen Begriffen,
die in meinen Rechtsnormen vorkommen. Dann kann ich dazu übergehen, tatsächlich zu schließen auf
zum Beispiel schuldig oder nicht schuldig oder was auch immer eben die entsprechende Schlussfolgerung
ist in der Rechtsnorm. Das ist interessant. Sie unterscheiden also zunächst mal wie sozusagen
die alten juristischen Methodenlehre, die Tatfrage und die Rechtsnorm. Früher hat man sich das so
vorgestellt, auch heute wird es noch vertreten, dass dann im Rahmen eines juristischen Syllogismus in
einem logischen Schlussverfahren die sozusagen Schlussfolgerung gezogen wird. Wenn sozusagen
die Begriffe im Sachverhalt den Begriffen in der Norm entsprechen, ja dann ist die Konklusion fast
schon trivial. Stellen Sie sich das so vor, dass wir mit Computern sozusagen diesen juristischen
Syllogismus abbilden? Ich meine das wäre prinzipiell ein Teil einer Option davon,
was wir machen könnten. Also ich gehe mal ganz kurz zurück zu dem ersten Prozess. Also eine
Schwierigkeit, die ich sehen würde an dieser Perspektive ist, dass die Schwierigkeiten,
die versteckt sind in dem Prozess der Tatsachenfeststellung, die epistemischen
Probleme, davon gewissermaßen ausgeklammert werden. Also ich gehe irgendwie davon aus,
ich habe bereits eine Tatsachenfeststellung in den korrekten theoretischen Begriffen,
die ich benötige für die Rechtsnormanwendung. Und da würde ich sagen, man könnte zum Beispiel sagen,
ich habe eine sehr heterogene Menge von Daten, Zeugenaussagen, Dokumente, Materialewidenzen,
irgendwie ein Excel-Sheet voller Zahlen, das irgendwie eine Bilanz ist, solche Sachen. Und
im Prinzip muss ich von da erst mal dahin kommen, dass ich sage, das hier ist eigentlich der Fall.
Und da gibt es jetzt verschiedene Optionen. Ich sage mal, man könnte irgendwie so klassisch
statistisch vorgehen, dann hat man ein sehr transparentes Modell, wo man alles schön
explizieren muss. Dafür muss man alles vorher eben schön explizieren. Oder man benutzt Machine
Learning Techniken, dann hat man nicht das Problem, dass man alles vorher explizieren muss. Dafür sind
diese Algorithmen zumindest gegenwärtig noch sehr intransparent. Wenn man das gemacht hat,
auf die eine oder andere Weise, dann hätte man erstmal quasi die Tatsachenfeststellung
geleistet. Und dann wäre eine Möglichkeit, dass man auf diese klassische Weise weitergeht,
dass man das Ganze jetzt sich logisch versteht und die Rechtsnorm irgendwie logisch formalisiert
und dann die festgestellten Sachverhalte benutzt, um diese formalisierte Rechtsnorm anzuwenden,
als Schlussfolger, was eben dabei herauskommt. Das hat verschiedene Probleme, die wir auch eingehen
können prinzipiell. Aber jetzt würde man sagen, okay, das hat Probleme einfach mal. Und deswegen
könnte man jetzt sagen, auch dafür verwenden wir wieder Machine Learning. Also wir nehmen
Sachverhaltsfeststellungen aus anderen Fällen plus die Urteile, die Richter in dem Fall gefällt
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:11:38 Min
Aufnahmedatum
2021-01-26
Hochgeladen am
2021-01-27 00:48:57
Sprache
de-DE
Was ist Rechtsepistemologie? Ist unter diesen wissenschaftlichen Maßstäben ein Richterautomat möglich? Welche Anforderungen wären an diesen im Hinblick auf Konsistenz, sachliche Korrektheit und Transparenz zu stellen? Können durch maschinelles Lernen und neuronale Netze die Prozesse der Sachverhaltsverarbeitung und Subsumption automatisiert und formalisiert werden? Videointerview von Christoph Merdes durch Notar und Lehrbeauftragten Prof. Dr. Axel Adrian.