Der Auftraggeber Friedrich Spitta wünschte ein mit den einfachsten Mitteln ausführbares Werk,
das prinzipiell für jeden Kirchenchor machbar sein müsste, um gerade so das Niveau der kirchenmusikalischen
Basisarbeit in der Breite zu heben. Herr Zogenberg hatte in der hohen Kunst seiner
E-Moll-Messe den vollen symphonischen Apparat aufgeboten, bis hin zu Kontrafagott und
Bastuba. Jetzt sollte er für einfache Verhältnisse schreiben, mit dem Harmonium als Grundinstrument,
schlicht und einfach deshalb, weil es damals als transportables Begleitinstrument überall zu
haben war. Ich denke, dass ich Ihnen im Folgenden den Nachweis führen kann, dass sich Herr Zogenberg
gerade in solcher Beschränkung als Meister zeigt. Wir wenden uns dem Anfang des ersten Chorstücks
zu. Der erste der drei Teile des Oratoriums ist der Adventsthematik gewidmet. Warten auf das
Kommen des Heilandes, warten darauf, dass die Verheißungen Gottes durch die Propheten endlich
in Erfüllung gehen. Diese gespannte Atmosphäre des Wartens ist in der Musik eingefangen. Ein
dynamisch ganz verhaltener Beginn, Sie sehen die Vorschrift Pianissimo, aus der Tiefe im Po
steigend, wie das sich Aufrichten eines Menschen. Dynamisch aufblühend dann später bei dem
gewissheit ausstrahlenden Wort Hoffnung. Beachten Sie die vielen gleichen Noten des Soprans, hier
immer fiss, Fixierung auf einen Ton als Ausdruck des beharrlichen Wartens. Das Wort harren mit einer
langen Vierschlagnote. Es gibt im Folgenden längere und heikel zu singende A-Capella-Passagen des Chores.
Die Choristen sind sozusagen allein gelassen. Sie müssen warten auf den nächsten Einsatz der
Instrumente und hoffen, dass sie dann noch auf der richtigen Tonhöhe sind. Eine gekonnte Darstellung
adventlichen Wartens. Sie dürfen jetzt wieder Musik hören.
Am Ende steht ganz bewusst eine hohle Quinte, Quinte, H, Fiss vom Chor als Formate gehalten. Auf die
Erfüllung des Akkordes mit der entscheidenden Terz muss man noch warten. Das Tonbeispiel stammt,
wie auch alle Folgenden von unserer Nürtinger Aufführung des Werks 1994, also genau 100 Jahre
nach der Uraufführung. Es entspricht der Grundidee des Werkes, die authentische Atmosphäre einer
Aufführung mit Leihenkräften in Chor und Orchester einzufangen, anstelle der irrealen Konstellation
bei einer CD-Produktion. Es gibt eine einzige CD-Einspielung dieses Werks aus Berlin, die mit
Herzogenberg außer den korrekten Noten nicht viel zu tun hat. Ich darf Ihre Aufmerksamkeit noch auf
das Anfangsmotiv in den Instrumenten lenken. Hier unten im Violoncello. Es ist ein ganz schlichtes
Motiv, das den Quintraum als elementarsten musikalischen Spannungsraum durchschreitet und
so eine Grundspannung aufbaut. Sie können an dieser Stelle keinen motivischen Zusammenhang mit
den Chorstimmen erkennen. Als motivischer Gegenpol folgt hier in Tag 7 in umgekehrter Richtung von
den hohen Instrumenten nach unten führend sozusagen der Abgesang. Und hier diese Stimmen imitieren das
nach in der tieferen Oktave. Bei der Hoffnung, und ich hoffe auf sein Wort, bringen die Instrumente die
wörtliche Umkehrung dieses Abgesangs. Vorher hieß es nur nur nur nur, jetzt heißt es nur nur nur nur.
Umkehrung in inhaltlicher Bedeutung, Hoffnung nehme ich als Umkehr nach oben. Dynamisch noch
hervorgehoben durch dieses crescendo und sogar ein forzato Akzent. Als nächstes Klangbeispiel hören
Sie jetzt einen Chorsatz ein paar Seiten weiter, der Ihnen die Herkunft dieser Motivik verrät.
Fünfte Strophe des Liedes O Heiland reißt die Himmel auf, die Melodie liegt im Alt der Chorstimmen.
Dieses Lied ist Leitfaden im ersten Teil des Oratoriums und darum als Motivlieferant gewählt.
Sie haben hier nur nur nur nur und hier nur nur nur nur nur nur nur nur nur ist vorher die Fortsetzung.
Inhaltlich geschieht hier folgendes, nacheinander treten im ersten Teil des Oratoriums vier männliche
Solisten als alttestamentliche Propheten auf, die die Weissagungen Gottes formulieren. Der Chor
respondiert darauf jeweils mit einer Strophe dieses Adventsliedes. Spitter hat bei der Auswahl der
Strophen auf direkte textliche Referenzen geachtet und verfährt in der Reihenfolge frei. Zunächst
kommt die sechste Strophe, hier leiden wir die größte Not, dann diese fünfte Strophe mit dem
Licht als Antwort auf die Verheißung vom aufgehenden Stern über Jakob, schließlich Strophe 3,
o Erdschlag aus Schlag aus o Erd. Herzogenberg lässt in der musikalischen Umsetzung die Melodie
von Satz zu Satz wandern, in der ersten Strophe liegt sie im Sopran, dann hier im Alt, schließlich
im Tenor. Der noch fehlende Bass Cantus Firmus findet sich dann beim nächsten Chorsatz zu einem
anderen Lied. Sicher hat Herzogenberg bei Bach gelernt, dass die Lage eines Cantus Firmus symbolische
Bedeutung hat. In diesem Absteigen der Hauptstimme vom Sopran zum Bass spiegelt sich das Zurwäldkommen
Presenters
Prof. Dr. Konrad Klek
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:21 Min
Aufnahmedatum
2000-01-27
Hochgeladen am
2018-06-20 12:36:23
Sprache
de-DE