Danke liebe Eva für die einführenden Worte und auch danke an das Publikum,
eben die alternative Biergarten oder Vorlesung dann doch zugunsten der Vorlesung ausgefallen ist.
Ich glaube ich muss vorab ein Wort zu diesem Ahasfer-Mythos sagen, der vielleicht nicht bei
allen so präsent ist. Das ist ein mythischer Stoff, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufkommt,
in Gestalt einer Flugschrift, die sich sehr rasch verbreitet und dort ist davon die Rede,
dass der Schuhmacher-Meister Ahasfer auf dem Kreuzweg nach Golgatha Jesus die Rast verboten
hat. Er wollte an seinem Schuhmacher-Geschäft sein Kreuz abstellen und kurz innehalten und das hat
dann Ahasfer untersagt und darauf hat ihn, so geht der Mythos, Christus verflucht zu ewiger Wanderschaft
bis zum Tag des jüngsten Gerichtes. Und es gibt da ältere, mittelalterliche Quellen, aus denen das
zum Teil hervorgegangen ist, aber wirklich Verbreitung findet es erst 1602 durch diese
Flugschrift, die dann immer wieder nachgedruckt wurde, neue Auflagen erlebt hat und dann auch
sehr rasch in fast alle europäischen Sprachen übersetzt wurde und das ist ein weltliterarischer
Stoff geworden. Im Kern ist diese Erzählung anti-judaistisch, das wird dann denke ich auch
noch deutlicher werden und es gibt aber dann auch schon bald Versuche, das identifikatorisch
anzueignen, auch von jüdischer Seite und so eine Form von selbstidentifikation. Ja, wir sind
tatsächlich wie Ahasfer, im Zionismus dann wird von jüdischer Seite gesagt, ja Ahasfer muss
erlöst werden von dieser ewigen Wanderschaft, das geht eben nur durch Wiedergewinnung eines
Territoriums. Also man sieht, das ist ein Stoff, da kann man eigentlich das deutsch-jüdische
Verhältnis, Missverhältnis geradezu bilanzieren, wenn man sich damit beschäftigt. Bin ich gut zu
verstehen? Ich sehe nur Niken, also ich gehe davon aus, dem ist so. Ja, ich muss noch eine
Triggerwarnung vorausschicken, das Material, das ich präsentiere, ist natürlich abscheulich,
es ist NS-Ideologie in ihrer derbsten und rüdesten Form und bitte nicht davon irritieren,
das dabei es geht nicht anders, wenn man über das Thema spricht, muss man durch Ross und Reiter
nennen und auch die Dinge zeigen und zwar in Text und Bild. Wir haben ja hier schon dieses
scheußliche Filmplakat vor uns. Beginnen möchte ich mit Victor Klemperer, Belege aus dem Wörterbuch
der LTI. In seiner scharfsinnigen Analyse der LTI, der Linguaterzii Imperii, wie es bewusst
verfremdend heißt, hat Victor Klemperer die antisemitische Rede als den wichtigsten Teil
im Sprachinventar des Nationalsozialismus bezeichnet, dass sie geeignet sei, ein dichotomes
Weltbild von ebenso simpler wie wirksamer Art zu etablieren. Der jetzt lauter Zitate,
finstere Jude, bringe erst die Lichtgestalt des nordischen Germanen hervor und kohrente
Adjektivkompositor wie jüdisch-bolschivistisch, jüdisch-kapitalistisch oder jüdisch-amerikanisch
betrieben systematisch die Reduktion von Komplexität. Zitat, so führt von 1933 an,
buchstäblich jede Gegnerschaft, woher sie auch komme, immer wieder auf ein und denselben
Feind, auf die verborgene hitlerische Made zu, auf den Juden, den man in gesteigerten Momenten auch
Juda nennt und in ganz pathetischen Augenblicken All-Juda. Klemperer hätte seine Rede auch, seine
Reihe auch mit der Hasver und dem ewigen Juden fortsetzen können, denn im Wortschatz der LTI
sind diese Begriffe ebenso präsent wie die genannten und von ganz Ähnlichem das Feindbild
stabilisierender und überhöhender Funktion. Gänzlich neu ist dieser Sprachgebrauch allerdings
nicht. Erste Ansätze finden sich schon in den Diskursen des frühen 19. Jahrhunderts bei den
Gegnern der Judenemanzipation, die ein jüdisches Wesen konstruieren, das in seiner moralischen
Verderbtheit unverbesserlich oder eben ewig sei, wie es etwa im Judenspiegel des Würzberger
Hasspredigers Hund Tradosky von 1819 heißt. Die Gleichsetzung des Jüdischen mit dem ewigen Juden
ist damit bereits gegeben und es dauert nicht mehr lange, bis sie explizit vollzogen wird.
Dann gibt es auch die Äußerung von Heine und von Börne, die auch sich selbst als ewige Juden
bezeichnen, in dem Sinne, wir können verhalten, wie wir uns wollen als Juden. Anpassung ja oder
nein, wir werden immer als Juden identifiziert werden. Der eine Aufsatz von Börne heißt auch
der ewige Jude. Das Aufkommen des rassistischen Antisemitismus bringt aber eine nochmals andere
Qualität ins Spiel. Das Ahasphärische verfestigt sich, es wird zu einem pseudowissenschaftlich
begründeten Merkmal der jüdischen Rasse und das auch bei scheinbar so seriösen Autoren wie dem
Soziologen Werner Somm-Bart, der in seinem Buch Die Juden und das Wirtschaftsleben 1911 mit direkten
Presenters
Prof. Dr. Gunnar Och
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:34:08 Min
Aufnahmedatum
2024-07-09
Hochgeladen am
2024-07-11 17:56:05
Sprache
de-DE