8 - "Der ewige Jude": Zur Semantik eines zentralen NS-Motivs [ID:53333]
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Danke liebe Eva für die einführenden Worte und auch danke an das Publikum,

eben die alternative Biergarten oder Vorlesung dann doch zugunsten der Vorlesung ausgefallen ist.

Ich glaube ich muss vorab ein Wort zu diesem Ahasfer-Mythos sagen, der vielleicht nicht bei

allen so präsent ist. Das ist ein mythischer Stoff, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufkommt,

in Gestalt einer Flugschrift, die sich sehr rasch verbreitet und dort ist davon die Rede,

dass der Schuhmacher-Meister Ahasfer auf dem Kreuzweg nach Golgatha Jesus die Rast verboten

hat. Er wollte an seinem Schuhmacher-Geschäft sein Kreuz abstellen und kurz innehalten und das hat

dann Ahasfer untersagt und darauf hat ihn, so geht der Mythos, Christus verflucht zu ewiger Wanderschaft

bis zum Tag des jüngsten Gerichtes. Und es gibt da ältere, mittelalterliche Quellen, aus denen das

zum Teil hervorgegangen ist, aber wirklich Verbreitung findet es erst 1602 durch diese

Flugschrift, die dann immer wieder nachgedruckt wurde, neue Auflagen erlebt hat und dann auch

sehr rasch in fast alle europäischen Sprachen übersetzt wurde und das ist ein weltliterarischer

Stoff geworden. Im Kern ist diese Erzählung anti-judaistisch, das wird dann denke ich auch

noch deutlicher werden und es gibt aber dann auch schon bald Versuche, das identifikatorisch

anzueignen, auch von jüdischer Seite und so eine Form von selbstidentifikation. Ja, wir sind

tatsächlich wie Ahasfer, im Zionismus dann wird von jüdischer Seite gesagt, ja Ahasfer muss

erlöst werden von dieser ewigen Wanderschaft, das geht eben nur durch Wiedergewinnung eines

Territoriums. Also man sieht, das ist ein Stoff, da kann man eigentlich das deutsch-jüdische

Verhältnis, Missverhältnis geradezu bilanzieren, wenn man sich damit beschäftigt. Bin ich gut zu

verstehen? Ich sehe nur Niken, also ich gehe davon aus, dem ist so. Ja, ich muss noch eine

Triggerwarnung vorausschicken, das Material, das ich präsentiere, ist natürlich abscheulich,

es ist NS-Ideologie in ihrer derbsten und rüdesten Form und bitte nicht davon irritieren,

das dabei es geht nicht anders, wenn man über das Thema spricht, muss man durch Ross und Reiter

nennen und auch die Dinge zeigen und zwar in Text und Bild. Wir haben ja hier schon dieses

scheußliche Filmplakat vor uns. Beginnen möchte ich mit Victor Klemperer, Belege aus dem Wörterbuch

der LTI. In seiner scharfsinnigen Analyse der LTI, der Linguaterzii Imperii, wie es bewusst

verfremdend heißt, hat Victor Klemperer die antisemitische Rede als den wichtigsten Teil

im Sprachinventar des Nationalsozialismus bezeichnet, dass sie geeignet sei, ein dichotomes

Weltbild von ebenso simpler wie wirksamer Art zu etablieren. Der jetzt lauter Zitate,

finstere Jude, bringe erst die Lichtgestalt des nordischen Germanen hervor und kohrente

Adjektivkompositor wie jüdisch-bolschivistisch, jüdisch-kapitalistisch oder jüdisch-amerikanisch

betrieben systematisch die Reduktion von Komplexität. Zitat, so führt von 1933 an,

buchstäblich jede Gegnerschaft, woher sie auch komme, immer wieder auf ein und denselben

Feind, auf die verborgene hitlerische Made zu, auf den Juden, den man in gesteigerten Momenten auch

Juda nennt und in ganz pathetischen Augenblicken All-Juda. Klemperer hätte seine Rede auch, seine

Reihe auch mit der Hasver und dem ewigen Juden fortsetzen können, denn im Wortschatz der LTI

sind diese Begriffe ebenso präsent wie die genannten und von ganz Ähnlichem das Feindbild

stabilisierender und überhöhender Funktion. Gänzlich neu ist dieser Sprachgebrauch allerdings

nicht. Erste Ansätze finden sich schon in den Diskursen des frühen 19. Jahrhunderts bei den

Gegnern der Judenemanzipation, die ein jüdisches Wesen konstruieren, das in seiner moralischen

Verderbtheit unverbesserlich oder eben ewig sei, wie es etwa im Judenspiegel des Würzberger

Hasspredigers Hund Tradosky von 1819 heißt. Die Gleichsetzung des Jüdischen mit dem ewigen Juden

ist damit bereits gegeben und es dauert nicht mehr lange, bis sie explizit vollzogen wird.

Dann gibt es auch die Äußerung von Heine und von Börne, die auch sich selbst als ewige Juden

bezeichnen, in dem Sinne, wir können verhalten, wie wir uns wollen als Juden. Anpassung ja oder

nein, wir werden immer als Juden identifiziert werden. Der eine Aufsatz von Börne heißt auch

der ewige Jude. Das Aufkommen des rassistischen Antisemitismus bringt aber eine nochmals andere

Qualität ins Spiel. Das Ahasphärische verfestigt sich, es wird zu einem pseudowissenschaftlich

begründeten Merkmal der jüdischen Rasse und das auch bei scheinbar so seriösen Autoren wie dem

Soziologen Werner Somm-Bart, der in seinem Buch Die Juden und das Wirtschaftsleben 1911 mit direkten

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Gunnar Och Prof. Dr. Gunnar Och

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:34:08 Min

Aufnahmedatum

2024-07-09

Hochgeladen am

2024-07-11 17:56:05

Sprache

de-DE

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