10 - Das Theater des Öbszönen [ID:3989]
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Ja, ich kann mich vorstellen, ich bin Lia Shinji Shunsakur, das ist Bettina Brand-Risi, meine

zweite Gutachterin von der Dissertation und ich bin sehr froh, dass sie mich heute begleitet

und nachher auch noch ein paar Aspekte erwähnen wird bezüglich meines Dissertationsprojektes.

Genau, wir arbeiten am Institut für Theater und Medienwissenschaft, das glaube ich jetzt noch nicht genannt worden ist.

Ich beginne einfach.

Porno im Theater. Hier dürfen sogar Zuschauer mitspielen.

Lautet der Titel eines Artikels, der am 17. September 2011 in der Boulevard-Zeitung Bild erscheint, um im Text darunter vorzufahren.

Nackte Frauen und Männer auf der Bühne. Echter Sex vor ausverkauftem Haus.

Für Theaterkenner alles nicht neu. Was in Berlin gestern Abend auf dem Programm stand, ging jedoch weiter.

Ein Zuschauer erkaufte sich die Teilnahme an einer Sexszene.

In dem Artikel wird im sensationslüsternden Boulevard-Stil über die Performance

This Unfortunate Thing Between Us des Künstlers Phil Collins berichtet.

In der Performance konnte man via Teleshopping-Kanal drei Erlebnisse erstehen.

Entweder ein menschenverachtendes Stasi-Verhör, das Beschimpfen der heuchlerischen Verwandtschaft am eigenen Sterbebett oder das Mitwirken in einem viktorianischen Porno.

Der ganze Abend wurde live über ZDF Kultur übertragen.

Das Stück spielte an mehreren Abenden. Das heißt, man konnte an einem Abend das Erlebnis erstehen und war am nächsten Abend Teil des Theaterstücks.

Welche sexuellen Handlungen jedoch tatsächlich vor Publikum vollzogen wurden, verraten weder die Kritiken, noch der ZDF-Mitschnitt, der die Szene von der Hüfte aus aufwärts filmte.

Das abgehärtete Berliner Theaterpublikum sei mit Pornografie auf der Bühne zumindest teilweise noch zu beeindrucken.

Heißt es lediglich in dem Kunstmagazin Arti Berlin.

Aber nicht nur die Bildzeitung attestiert dem Theater, dass der Sexualakt auf der Bühne völlig normal sei und zum regulären Theaterbetrieb gehöre.

Sittenwidrigkeit, Unzucht und Sittenverfall gehörten seit jeher zu den diskreditierenden Vorwürfen durch Theaterfante wie Jean Jacques Rousseau, Anton Reiser oder der Kirchenvater Tertulian.

Auch Edward Fuchs, der 1912 die Sittengeschichte des Theaters veröffentlichte, bezeichnete das Theater als Protagonist und ertragreichster Ausbeuter pornografischer Spekulation.

Tatsächlich bilden aber Aufführungen, in denen der Sexualakt vollzogen wird, im Kunsttheater die Ausnahme.

Der offen zur Schau gestellte Sexualakt scheint die Grenze dessen zu markieren, was im künstlerischen Kontext gezeigt werden darf und wie ich behaupten möchte, gezeigt werden kann.

Viel mehr bleibt es bei Andeutungen.

Der Sexuelle Akt wird der Bühne der Szene verwiesen. Er ist ob der Szene, also im wahrsten Sinne des Wortes obs zyn.

Zeigen und Verbergen sind grundlegende Elemente der Theatralität.

Immer dann, wenn der Sexualakt dargestellt werden soll, wird dies besonders deutlich.

Denn ob Kunsttheater oder auch Erotikshows, sexuelle Handlungen finden auf der Bühne meist im Halbdunkel, Schatten, von Tüchern verhüllt, im verborgenen Stadt.

Sodass man sich am Ende nie sicher sein kann, was eigentlich wirklich passiert ist.

Das sexuelle Bild, die erotische Fantasie darüber, wie sich die versteckte Handlung vollzogen hat, entsteht lediglich im Kopf der Betrachterin.

Wie bei einem Vexierbild wird hier also ex negativo diejenige Handlung verdunkelt, der man sexuellen Charakter zuschreibt.

Das legt die Vermutung nahe, dass erst im Prozess des Verschleiern, des Verweisens der Szene die Handlung überhaupt erst zu sexuellen wird.

Aber worin unterscheiden sich die Darstellungsversuche des Sexualaktes im Kunsttheater von denen außerhalb des Kunsttheaters, beispielsweise bei kommetzieren Life Sex Shows?

In meinem Dissertationsprojekt, das Theater des Obszönen über performative Pornografie, vergleiche ich die Versuche der Darstellung des Sexualaktes im Kunsttheater mit denen von Life Sex und Erotik Shows.

Für meine Untersuchung definiere ich performative Pornografie als explizite Darstellung von sexuellen Handlungen bei leiblicher Koprissens.

Des Weiteren stelle ich die Hypothese auf, dass in der Annäherung an dieses nicht darstellbare Kunsttheater immer eine Wirkung bezweckt wird, die über bloße sexuelle Stimulation hinausgeht.

Intendiert werden dabei zumeist politische wie emanzipatorische Wirkungen, sowie ästhetische Grenzerfahrungen, die häufig die geltende Sexualmoral wie die Heteronormativität filmischer Pornografie hinterfragen.

Im Rahmen einer Theateraufführung beeinflussen sich Handelnde und Zuschauer gegenseitig.

Dieser von Erika Fischer-Lichte als Feedback-Schleife bezeichneter Prozess impliziert die konstitutive Teilnahme des Publikums an den Gezeigten.

Die leibliche Koprissens von Akteurinnen und Zuschauenden stellt damit die Beschäftigung mit performativer Pornografie, also dem expliziten zur Schaustellen sexueller Handlungen bei leiblicher Koprissens des Publikums vor eine Herausforderung.

Denn anders als im Diskurs über filmische Pornografie kann hier das Dargestellte, also die Sexualität, nicht ohne Weiteres von dem Dargestellten, also der Darstellung, also das, was man als Pornografie zeichnen würde, unterschieden werden.

Im Theater ist die Zuschauerin immer schon Teil der Szene und damit letztlich in die sexuelle Handlung involviert.

Aber welche Rolle spielt die leibliche Koprissens bei zeitgenössischen, kommerziellen Erotik- und Life Sex Shows?

Im Folgenden möchte ich Eindrücke zu Erotik Shows, die ich selbst besucht habe oder die mir über Porno-Seiten im Internet zugänglich sind, skizzieren.

Die Tatsache, dass Mitschnitte von Life Sex Shows zahlreich über Internet verfügbar sind, verweist auf die besondere Rolle der medialen Übertragung.

Bislang habe ich keiner Life Sex Show beigewohnt, die ohne mediale Übertragung stattgefunden hätte.

Im Gegensatz zu filmischer Pornografie wird performative Pornografie meist vervierfacht.

Es gibt also einmal das Realeeignis, das dann durch eine Leinwand im Hintergrund vergrößert wird,

das wiederum dann durch private Handy- und Digitalkameras abgefilmt wird und dann eben noch ein weiteres, ein viertes Mal via Internet verbreitet wird.

Presenters

MA Lea-Sophie Schiel MA Lea-Sophie Schiel

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:35:50 Min

Aufnahmedatum

2014-06-03

Hochgeladen am

2014-10-20 23:44:27

Sprache

de-DE

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