Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Professorin Johanna Haberer leitet die Abteilung Christliche Publizistik und den Masterstudiengang
Medienethik Religion an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Die Rolle der Religion im Diskurs der modernen Gesellschaft ist ihr besonders wichtig.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Studierende, etwas provokativ habe ich meinen Beitrag zu dieser Ringvorlesung mit der Überschrift versehen.
Handfeste Lügen und bittere Wahrheiten rund um die informationelle Selbstbestimmung.
Das klingt zunächst wie ein juristisches Thema. Das ist es auch.
Die aktuellen Fragen aber zur informationellen Selbstbestimmung sind heute ein durchaus interdisziplinäres Diskussionsfeld, auch ein philosophisches und auch ein theologisches.
Denn sie rühren an die Grundfragen des Menschseins und an die geistigen Pfeiler der modernen Gesellschaften.
Deshalb gleich zu Anfang. Es geht um unsere Daten im Internet.
Und ich vermute, es ist jedem Nutzer des Netzes und jedem Bewohner der digitalen Welt klar, dass es eine handfeste Lüge ist,
wenn behauptet wird, wir seien in dieser vernetzten und verschalteten Informations- und Kommunikationsgesellschaft noch die Subjekte der Information.
Wir seien also diejenigen, die den Datenfluss und die Datenkonstellationen in der Netzwelt über sich selbst, und hier ist das Zauberwort, selbstbestimmt kontrollieren.
Die bittere Wahrheit, die seit den Enthüllungen von Edward Snowden über die Abhörtätigkeit der Geheimdienste in vielen aktuellen Diskursen bestätigt wird.
Die bittere Wahrheit ist, dass wir heute Objekte der Information sind. Wir sind das Ziel.
Und auch noch das willige und naive Ziel. All derer, die unsere Daten wollen und mit ihnen arbeiten und schließlich mit ihnen reich, mächtig und womöglich unkontrollierbar werden.
Seit Edwards-Snowdens Flucht und seiner Enthüllung der Allgegenwart und Totalität der Überwachung der Netzkommunikation durch die Geheimdienste einerseits.
Andererseits ehemalige Netzvisionäre zu Netzkritikern geworden sind und uns über die Einflusssphäre von Netzmonopolisten die Augen geöffnet haben.
Seither ist uns in Europa die Fallhöhe klar geworden, die dieses Thema für die Entwicklung der Menschen, ihrer Gesellschaftsformen und ihrer Rechtsnormen bedeuten kann.
Muss uns in Deutschland klar geworden sein, dass der Albtraum des Überwachungsstaates, den wir hierzulande allzu gut kennen, sich heute zur Tarnung die lebensfrohen Schleier der Freiheit, der weltweiten Vernetzung, der globalen Kommunikation, der unbegrenzten Gratiswahlmöglichkeiten übergeworfen hat.
Doch schon zur Jahrtausendwende 1998, lange vor NSA, BND, Facebook und Google formulierte der Marokkaner Philipp Coe, damals Direktor der Informationsabteilung der UNESCO.
Er ist seit diesem Jahr Vizedirektor der UNESCO in Paris und Repräsentant der Geistes- und Sozialwissenschaften beim ersten Informationsgipfel der ITU in Minneapolis.
Damals formulierte er seine ethische Perspektive der Informationsgesellschaft.
Der Schutz des Privatlebens ist am Ende dieses Jahrhunderts zu einer der wichtigsten Aufgaben bei den Menschenrechten geworden.
Sie hat mit den Grundlagen der Menschenwürde und dem heiligen Wesen der menschlichen Person zu tun, die aus kommerziellen und politischen Zwecken durch gefährliche Formen des Eindringens bedroht werden.
Werden wir Bürger und Konsumenten, die wir der räuberischen Begierde der elektronischen Inquisiteure ausgesetzt sind, den ethischen Rahmen ausarbeiten können,
der die Integrität der persönlichen Identität im Zeitalter der globalen Überwachung und des universellen Belauschens garantiert.
Das ist die Frage des Erachtens des Bundesverfassungsgerichts 1998. 2013 schreibt Erich Schmidt, der Geschäftsführer von Google, in seinem Buch Die Vernetzung der Welt.
Wir sind die erste Generation von Menschen mit einer unauslöschbaren Akte.
Um tendieren ans Licht zu kommen, sollten Sie, also Sie, die Leser, Zuhörer, also nichts abspeichern, dass Sie nicht irgendwann in einer Anklageschrift oder auf der Titelseite einer Zeitung lesen wollen.
In Zukunft wird das nicht nur auf jedes geschrieben und gesprochene Wort zutreffen, sondern auch auf jede Internetseite, die Sie besuchen,
auf jeden Freund in Ihrem Netzwerk, auf jedes Like und auf alles, was Ihre Freunde tun, sagen und veröffentlichen.
Und der Berliner Philosoph Volker Gerhardt formuliert in seiner Wiener Rede zur Zukunft der Welt, die jetzt kürzlich unter dem Titel
Licht und Schatten der Öffentlichkeit, Voraussetzungen und Folgen der digitalen Innovation erschienen ist.
Niemand kann davon ausgehen, dass ihm seine Privatsphäre einen natürlichen Schutz vor dem Zugriff soziotechnischer Kommunikation gewährt.
Er hat vielmehr selbst dafür zu sorgen, dass er alles, was er für sich behalten will, durch eigene Disziplin im Schutzraum seiner Subjektivität belässt.
Die erhöhte Eingängigkeit und Zudringlichkeit der digitalen Kommunikation fordert ein Höchstmaß an individueller Zurückhaltung.
Lassen Sie uns heute also einer Rechtsnorm nachgehen, die scheinbar völlig hohl geworden ist.
Eine Rechtsnorm, die mit dem mühselig erkämpften Begriff der Selbstbestimmung beschrieben wird, an dem unser Rechtssystem zwar zu Recht hartnäckig festhält,
dass aber zusehends unterhöhlt wird und Makulatur in der Lebenswirklichkeit der Menschen.
Der Begriff der informationellen Selbstbestimmung verbindet den Rechtsbegriff der Selbstbestimmung mit dem Begriff der Information.
Information, dieser immaterielle Austausch zwischen Lebewesen und Systemen, ist zur wertvollen Ware auf einem hochumkämpften Markt geworden,
denn Information in Form von Daten und deren Vernetzung gilt als das Gold oder das Öl der digitalen Gesellschaft und damit der Zukunft.
In der digitalen Welt verbinden sich der menschliche Geist, seine Ideen, seine Kreativität,
sowie die Informationen, die er weitergibt, unmittelbar mit einer niederschwellig zugänglichen Technik.
In dieser Kombination verändert die digitale Vernetzung die Kommunikation, die Welt und den Menschen selbst.
Ich will also heute in unterschiedlichen Perspektiven nachdenken über uns Menschen in einer neuen Welt, die durch Digitalisierung bestimmt ist,
nachdenken über eine Welt, in der das uralte gedankliche Konstrukt einer Menschheit zum ersten Mal fassbar und überwältigend konkret wird.
Ich will mit Ihnen nachdenken über eine Welt, in der eine globale Öffentlichkeit als Diskursöffentlichkeit entstehen kann,
mit allen ihren kulturellen Differenzen, und ich will nachdenken darüber, wie diese technikbasierte Veränderung unserer Welt
Presenters
Prof. Dr. Johanna Haberer
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:39:42 Min
Aufnahmedatum
2014-11-12
Hochgeladen am
2015-06-24 08:52:30
Sprache
de-DE
Der Vortrag reflektiert – ausgehend von dem grundgesetzlich verankerten Begriff der informationellen Selbstbestimmung – philosophische und theologische Perspektiven auf die Phänomene der digitalen Gesellschaft. Er plädiert für ein theologisch begründetes Recht auf ein Geheimnis und fordert die staatliche Daseinsvorsorge zum Schutz der Daten der Bürger.