5 - Landesgeschichte als Zeitgeschichte: Franken - eine deutsche Region im 20. Jahrhundert [ID:1694]
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Die rapide wachsende Industrie bot neue preiswerte Massenprodukte und schuf so viele Arbeitsplätze,

dass die Auswanderung, die seit den 1830er, 40er Jahren gerade in bevölkerungsreichen

Franken stark gewesen war, gegen Ende des Jahrhunderts unnötig wurde.

Der Stolz auf Macht und Glanz des Reiches, das ihn die Weltpolitik drängte,

seinen Platz an der Sonne forderte, verband sich mit einem starken Fortschrittsglauben.

Denn seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Menschen eine Entfaltung der materiellen Kultur wie noch nie erlebt.

Die Städte waren unerhört gewachsen, Nürnbergs Bevölkerung z.B. stieg zwischen 1840 und 1910 auf das Siebenfache.

Und diese Städte gewannen eine moderne Infrastruktur, Kanalisation, Gaswerke, Straßenbahnen, Krankenhäuser.

Die rapide wachsende Industrie bot neue, preiswerte Massenprodukte und schuf so viele Arbeitsplätze,

dass die Auswanderung, die seit den 1830er, 40er Jahren gerade in bevölkerungsreichen Franken stark gewesen war,

gegen Ende des Jahrhunderts unnötig wurde.

Eisenbahn, Telefone, Telefone beschleunigten Verkehr und Kommunikation enorm und veränderten das Raum- und Zeitgefühl der Menschen.

Einkommen und soziale Absicherung besserten sich auch bei den kleinen Leuten merklich.

Die Freizeit wurde länger und attraktiver, die Bildungschancen wuchsen und die moderne naturwissenschaftliche Medizin,

die Seuchen besiegte und immer mehr Krankheiten in den Griff bekam, hob die Lebenserwartung deutlich.

Und man genoss seit 1871 äußeren Frieden.

Und man lebte im Inneren unter der festen Ordnung eines Staates, der zwar ein Oberigkeitsstaat, aber auch ein Rechtsstaat war.

Da sich in allen Schichten Lebensstandard und Lebensqualität wesentlich gehoben hatten,

herrschten Sicherheitsgefühl und Vertrauen in die Zukunft.

An die Zukunft glaubten auf andere Weise auch die Außenseiter dieser vilhelminischen Gesellschaft, ihre Hauptopposition, die sozialdemokratische Arbeiterbewegung.

Sie hatte sich unter dem Verfolgungsdruck des Sozialistengesetzes vor 1890 überwiegend Marx zugewandt.

Und dessen Geschichtsmodell ihr das Bewusstsein gab, die letztlich siegereiche Klasse zu sein.

Mit diesem Bewusstsein und angesichts starker Wahlerfolge, 1912, wurde die SPD stärkste Partei im Reichstag, sang man, Brüder zur Sonne, zur Freiheit.

Doch dieser helle Blick in die Zukunft, ob aus Bürger- oder aus Arbeiter-Sicht, begann sich Anfang des 20. Jahrhunderts zu trügen.

Weltweit stießen die imperialistischen Mächte aufeinander, in Europa stiegen die nationalen Spannungen, in Deutschland wurden die sozialen Gegensätze schärfer.

Und die Entwertung vertrauter Zustände durch die technischen, wissenschaftlichen, ökonomischen Neuerungen erfasste immer mehr Menschen.

Das ließ nicht wenige an der bestehenden Ordnung zweifeln und nährte Zukunftsängste.

Noch als zwei Kriege auf dem Balkan, der Wetterecke Europas, regional begrenzt gehalten werden konnten,

stieg wieder das Vertrauen in die Vernunft der Politik und die Verflechtung der Wirtschaftsinteressen, ganz allgemein in die Kraft des Fortschritts.

Umso mehr als geachtete Wissenschaftler, Unternehmer, Politiker einen Krieg zwischen den Großmächten schon ökonomisch für unwahrscheinlich hielten.

Und wenn es alle Spannungen würden, so dachte man, Frieden und Prosperität halten.

Ich komme zum zweiten, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, der Erste Weltkrieg.

Die eben genannte Hoffnung zerrissen im Juli 1914 die Schüsse von Sarajevo auf das österreichische Thronfolgerpaar.

Sie lösten nun doch den europäischen Krieg aus, der zum Weltkrieg wurde.

Am Nachmittag des 1. August hat man im Bayreuth, das von der Wagner-Gemeinde überfüllt war,

wie allen Talben im Reich die Mobilmachung verkündet, auch von der Bühne des Festspielhauses vor dem dritten Akt des Parzival.

Die Oper wurde dennoch zu Ende gespielt, vor bereits gelichteten Reihen allerdings,

und mit Lücken im Orchester, da viele junge Männer unmittelbar in ihre Garnisonen eilten.

Ergriffen bezog man die Erlösungsmystik des Parzival auf die Deutschen, sah im Gral ein Symbol ihres Heils.

Eine begeisterte Kriegsbereitschaft ergriff das Bürgertum, strahlte aufs Land,

obwohl die Ernte im Gange war, die ja alle Kräfte erforderte, und wirkte selbst auf die Arbeiterschaft,

nachdem deren Friedensdemonstrationen wie in den anderen Ländern Europas erfolglos geblieben waren.

Es gehe nicht nur, so glaubte man, um Vaterlandsverteidigung, sondern um Deutschlands Zukunft überhaupt

und um seine überlegene Kultur, die von russischer Barbarei und westlicher Dekadenz bedroht werde.

Als Bamberger Tag blatt, am 2. August, klar zum Gefecht, der Sturm bricht los.

Schande über die, die in so infamer, verbrecherischer Weise den Frieden brachen.

Und wenn es eine Vergeltung in der Weltgeschichte gibt, dann muss unsere Sache sehen.

Ein junger Erlanger Professor, der wie der Großteil der Studenten als Freiwilliger ins Feld zog,

hat in seinen Erinnerungen geschrieben, wir konnten uns diesen Krieg nicht anders als siegreich vorstellen.

Das galt ebenso für die aufgewühlten Menschen, die zu Kriegsgottesdiensten strömten,

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Werner K. Blessing Prof. Dr. Werner K. Blessing

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:28:08 Min

Aufnahmedatum

2000-05-31

Hochgeladen am

2018-06-20 12:08:48

Sprache

de-DE

Tags

Franken Collegium Alexandrinum Geschichte Jahrhundert Blessing Landesgeschichte Zeitgeschichte 20.
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