Am Rande der Küste Insel und Schiffbruch. Im Rahmen dieser Vorlesungsreihe zum Thema
Wasser kommt es meinem Vortrag zu, die Bedeutung dieses Elements aus einer
geisteswissenschaftlichen Perspektive zu untersuchen. Während die anderen
Vortragenden naturwissenschaftliche und technologische Fakten präsentierten,
will ich Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, einen Eindruck davon
vermitteln, wie die natürliche Welt Eingang in literarische Texte findet und
welche Aufgaben sich der literaturwissenschaftlichen Arbeit stellen,
um die reale Welt beim Lesen nicht zu vergessen. Anders ausgedrückt möchte
ich Ihnen, ehe ich im zweiten Teil meines Vortrags einige literarische Texte
bespreche, eine relativ neue Richtung innerhalb der Literaturwissenschaft anhand
der Thematik Wasser kurz vorstellen, nämlich den Ansatz der Ökokritik im
englischen Sprachraum unter dem Begriff Ecocriticism bekannt.
Ökokritik stellt sich stark vereinfacht die Aufgabe, die Bedeutung der Natur, der
Landschaft, kurz das Ökosystems Erde, bei der Lektüre literarischer Texte nicht
aus den Augen zu verlieren. Diese literaturwissenschaftliche
Bewegung begann ab etwa 1990 in den Vereinigten Staaten, wo sie sich vor
allem literarischen Werken widmete, die sich direkt mit der beeindruckenden
Naturlandschaft des amerikanischen Kontinents auseinandersetzten.
Neuinterpretiert wurde von den Ökokritikern am Anfang die Literatur
von Autoren des 19. Jahrhunderts, wie Henry David Thoreau, Waldo Emerson oder
John Muir, die den amerikanischen Naturraum auch politisch zu definieren
suchten. Heute interessieren natürlich auch die Texte neuerer und zeitgenössischer
Autoren, beispielsweise Edward Abbeys Desert Solitaire oder Annie Dillard's
Pilgrim at Tinker Creek. Den Kritikern ging es darum zu untersuchen, wie das
Verhältnis von Mensch und Natur idealerweise auszusehen habe. Sie
stellten sich also in Zeiten des aufkommenden und später noch wachsenden
Umweltbewusstseins die Frage, ob nicht auch die Literatur einen konstruktiven
Beitrag dazu leisten könnte, die Einstellung der Menschen oder wohl eher
der Leser ihrem Umfeld gegenüber positiv zu beeinflussen.
Die traditionell eher anthropozentrische Ausrichtung
menschlicher Kunstproduktion sollte zunehmend dahingehend verändert werden,
dass die Natur im Zentrum des ästhetischen Wirkens und darin
anschließend des ethischen Empfindens stehe. Die Inspiration zu dieser
Neubewertung holte man sich aus der Umweltethik, also einem Teilbereich der
Philosophie. Dort unterscheidet man zwei Arten, wie man der Umwelt moralisch
begegnet. Die Vertreter einer Bewegung, die man mit shallow ecology bezeichnet,
gehen davon aus, dass Natur nur dann unter ethischen Gesichtspunkten zu
betrachten sei, wenn sie direkt für das menschliche Leben Notwendigkeit habe,
also beispielsweise eine Pflanze aufgrund ihrer medizinischen Heilwirkung den
Menschen Nutzen bringt. Der Mensch bzw. der Nutzen für die Menschheit steht
stets im Zentrum dieser Gedankenführung.
Wohl auch als Reaktion auf die zunehmende Zerstörung der Umwelt entstand
allmählich eine Gegenbewegung, die einen Ansatz vertritt, der sich deep ecology
nennt. Vertreter dieser Auffassung sprechen Natur einen intrinsischen Wert zu,
argumentieren also, dass es keinen Unterschied zwischen den Bedürfnissen der
Menschen und dem Rest der natürlichen Welt geben dürfe. Im Zentrum steht hier
die Natur, das Leben als solches, ohne dass den Menschen eine privilegierte
Position zugesprochen wird. Wie man sich unschwer ausrechnen kann, hat diese
Denkweise weitreichende Konsequenzen für umweltproblematische Verhaltensweisen
wie Autofahren, Fliegen, das Importieren exotischer Früchte,
Presenters
Prof. Dr. Gerd Bayer
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:33 Min
Aufnahmedatum
2007-07-12
Hochgeladen am
2017-07-20 14:46:35
Sprache
de-DE
Dieser Vortrag führt in den literaturwissenschaftlichen Bereich des ecocriticism ein, die Behandlung der Umwelt in literarischen Texten. Anhand von Schiffbruch und Insel wird die Küste als ein Ort der Grenzerfahrung dargestellt, der metaphorisch auch das menschliche Dasein beschreibt. Ausgehend von Klassikern der englischen Literatur, William Shakespeaeres The Tempest und Daniel Defoes Robinson Crusoe, widmet sich der Hauptteil dieses Vortrags den Werken von John Fowles, dessen Romane und Essays sich dezidiert mit der Naturerfahrung des Menschen auseinandersetzen. In Kollaboration mit Photographen hat Fowles Bücher zu den Themen Insel und Schiffbruch veröffentlicht, die hier kritisch vorgestellt werden sollen. Ganz im Sinne des ecocriticism sollen Leser nicht nur für die Bedeutung der natürlichen Umwelt innerhalb literarischer Werke sensibilisiert, sondern auch zu einem veränderten Verhalten der Natur gegenüber angeregt werden.