Musik
Theater als europäischer Anstalt ein kontinuierliches Missverständnis.
Dass die Theaterwissenschaft im Rahmen einer Ringvorlesung eines interdisziplinären Zentrums für ästhetische Bildung auch gefragt ist,
bedarf sicherlich keiner weiteren Erklärung. Das versteht sich hoffentlich von selbst.
Über und mit Theater etwas über Ästhetik zu lernen, ästhetisch gebildet zu werden, ist unbestritten.
Unser Titel, Theater als europäische Anstalt, nimmt natürlich ein berühmtes Schlagwort,
ein ästhetisches Programm des 18. Jahrhunderts zum Vorbild, nämlich das Theater als moralische Anstalt.
Über und mit Theater etwas über die Sitten und die Moral zu lernen, das Theater als Sittenschule,
auch das leuchtet sicherlich noch jedem jeder ein.
Genannt haben wir unseren Vortrag aber nicht Theater als moralische Anstalt, sondern Theater als europäische Anstalt.
Und der Anlass ist ja auch unsere Ringvorlesung zum Thema, die Ästhetik Europas.
Also müssen wir uns und Sie fragen, ob wir über und mit dem Theater auch etwas über Europa lernen können.
Und beginnen wollen wir, das heißt zunächst mein Kollege André Stutt, bevor ich mich dann auch wieder zu Wort melde,
beginnen wollen wir mit aktuellem europäischen Theater, dem Theater der Europapolitik,
das eben kein Theater im spektakulären Sinne, sondern pragmatisch ausgerichtete Handlung auch im Sinne eines Krisenmanagements sein will.
Die uns allgegenwärtige Krise produziert einerseits eine denkwürdige Gemengelage von politischen Einigkeits- und Bewältigungssymboliken
und setzt andererseits klischiert zugespitzte Rhetoriken und Ikonographien einer
meist nationalistisch orientierten Diffamierung des jeweils anderen in die Welt.
Zu ersteren gehört das geschäftige Treiben der Politik.
Dieses wird in TV-Bildern nachvollziehbar als Erzählung gefasst.
So sieht man fast jeden Abend Personen aus schweren Limousinen steigen
und entweder versonnen lächelnd oder ernstschauend an den Journalisten im Eingangsbereich des Brüsseler Kommissionsgebäudes vorbeigehen.
Sie haben eine Aktentasche in der Hand, Aktenstapel unterm Arm oder führen Telefonate
und ab und zu bleibt jemand stehen und diktiert in wartenden ein paar standardisiert klingende Zeilen in das hingehaltene Mikrofon.
Oder man sieht Innenaufnahmen von Menschen, die in kleinen Gruppen beieinander stehen,
um vertrauliche Gäden bemüht. Man weiß ja, dass die Kameras an sind, ohne dass man dabei dieselbe Sprache spräche.
Demgegenüber und dieser demonstrativ geschäftigten Einigkeit zum Trotze kündigen schreiende Überschriften des Boulevards davon,
dass den sogenannten Pleitegriechen die Drachme zurückgegeben werden müsse.
Es ist bezeichnend, welche Bilder bei einer Googlesuche herauskommen, die diese Pole visuell zu fassen versuchen.
Bei den Suchbegriffen Kommissionsgebäude Brüssel erscheinen Abbildungen eines wuchtigen Gebäudes ohne nennenswerte Belebung.
Sie markieren damit einen interessanten Gegensatz zu den Bildern, die bei dem Begriff Palpegriechen angezeigt werden.
Hier sieht man unter anderem die Akropolis um Schwert von Symbolvögeln oder eine sogenannte Stinkefinger Aphrodite,
um die es freilich auch schon einen Prozess gab, in dem geklärt werden sollte, ob durch diese Fundmontage eine Verunglimpfung griechischer Staatssymbole stattgefunden habe.
Diese Sensibilität ist erklärbar, zeugt doch die Geschichte der Venus von Milo bereits von einer gewissen Verunglimpfung
und birgt für die gegenwärtige Situation eine weitere Pointe.
Laut dem Wikipedia-Eintrag wurde sie am 8. April 1820 vom Bauern Georgios Kentotas auf der Kykladeninsel Milos
in der Umgebung einer Ruine eines griechischen Theaters entdeckt.
Er war auf der Suche nach Baumaterial. Als er bearbeiteten Marmor und die Statue entdeckte, rief er einige Franzosen herbei,
die auf der Suche nach antiken Funden waren. Der Bauer war sich der herausragenden Entdeckung nicht bewusst, die Franzosen gaben ihm einige Geldstücke.
Die Skulptur steht heute im Louvre als explizites Exempel der herausragenden Güte hellenistischer Kunst
und als implizites Exempel dafür, dass der Reichtum Griechenlands oftmals anderenorts aufzufinden ist.
Wie dem auch sei, das affektive oder emotionale Potential der Bild-Aquivalenzen bringt im Bezug auf den bürokratischen Alltag und dessen Architekturen
einmal mehr die fehlende Bindung an Europa, seine Traditionen und Ideen zum Ausdruck,
die der niederländische Publizist Gerhard Maag in Bezug auf unser Zahlungsmittel und damit einem Symptom der Krise, den Euro wie folgt beschrieben hat.
Zitat, zu Hause in meiner Schreibtischschublade wohnt ein nicht mehr gültiger 50-Goldenschein, nach dem darauf abgebildeten Motiv Sonnenblume genannt.
Und immer noch springen ein die kräftig gelben Farben ins Auge, wenn ich die Lade öffne.
Was für schönes Geld hatten wir in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, das schönste Geld der Welt.
Und welch bräunlicher Pulp ist an seine Stelle getreten? Langweiliges Kompromissgeld, furchtsames Geld auch,
denn die Grafiker trauten sich nicht einmal, ihre Banknoten mit berühmten europäischen Kunstwerken oder echten Brücken,
Gebäuden oder europäischen Kunstgegenständen zu illustrieren.
Presenters
MA André Studt
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:06:50 Min
Aufnahmedatum
2013-06-05
Hochgeladen am
2014-03-12 09:00:49
Sprache
de-DE