Als vollkommen gilt eine Sprache dann, wenn sie angemessen ist. Das heißt frei oder relativ
frei von Fremdwörtern, aber auch frei von Dialektalismen, also von regionalem Sprachgebrauch,
von Barbarismen, also generell fehlerhaften Sprachgebrauch, von Archaismen, Altenwortgut
und Neologismen, Neuprägungen. Übrigens, sehr viele Sprachdumheiten, die in Wustmanns
Sprachdumheiten Ende des 19. Jahrhunderts vermerkt sind, von diesen getadelt und abgelehnt
wurden, sind mittlerweile in unseren Sprachgebrauch übernommen worden. So tatelte er das Wort
Anteilnahme als eine hässliche Verbreiterung von Teilnahme. Er tatelte offensichtlich, es
sei zusammengebraut, aussichtlich und offenbar. Und auch das Wort Begrüßen, es sei ein Modewort,
das schnell wieder verschwindet und anstelle von Willkommen heißen, eben in letzter Zeit
um sich greift. Niemand von uns stört sich an Anteilnahme offensichtlich und begrüßen.
Der sprachliche Fehler von heute ist die sprachliche Norm von morgen. Betrachten Sie die heutigen
Gepflogenheiten im Gebrauch der sogenannten starken und schwachen Verben. Die Wissenschaft
hat eine Tendenz festgestellt. Sie besagt, dass die sogenannten starken Verben, also
Verben wie Backen, auf alle Fälle Werfen und Essen vielleicht im Laufe der Sprachentwicklung
zu schwächeln beginnen. Sie rutschen also von den starken, ablautenden Klassen in die
sogenannte schwache Konjugation ab. Ein Grund dafür ist die größere Regelmäßigkeit.
Sichtbar wird dieser Sprachwandel, wenn wir uns das Verb Backen näher betrachten, gesetzt
den Fall, Sie haben gestern gebacken und Sie verwenden noch das Präteritum und nicht das
Perfekt, dann würden Sie folgendermaßen sagen, gestern backte ich einen Kuchen, gestern buke
ich, klingt veraltet, aber es ist noch nicht so lange veraltet. Noch immer aber heißt
es gebacken und nicht gebackt. Und was ist bei Bewerben beobachtbar? Heißt die Befehlsform
bewirb dich auf die Stelle oder schon bewerbe dich? Heißt es wirf oder werfe, iss oder esse?
Es besteht wohl Einigkeit darin, die Befehlsformen wie Bewerbe und Werfe als fehlerhaft zu werden.
Aber wie steht es mit Bug? Eine gute Empfehlung wäre wohl die, dem allgemeinen Sprachgebrauch
zu folgen und dieser meidet Bug für backte. Die heutzutage noch kaum gebrauchte Form gebackt
ist zweifellos noch falsch. Übrigens bei Bellen werden Sie mir alle zustimmen, dass
der Hund gestern nur bellte, er konnte nicht anders, er bellte. Aber vor 200 Jahren, um
1800 boll er, wie dem Grimmschen Wörterbuch zu entnehmen ist und im Mittelalter war Bellte
gänzlich unbekannt, da ball er. Ein zweites Beispiel aus dem engeren Bereich der Grammatik
ist die Verwendung der Präposition wegen. Ethymologisch kommt wegen von Weg, Weg, Ort,
Stelle, Seite. In älteren Auflagen der Dudengrammatik, noch in der dritten Auflage von 1973 wird
wegen unter den Präpositionen aufgeführt, die ein Substantiv im Genitiv fordern. Wegen
des schlechten Wetters sind wir dann doch daheim geblieben. Ein anderer Gebrauch wird
erst gar nicht erwähnt. Sie alle aber kennen die Verwendung mit dem Dativ, wegen dem schlechten
Wetter, die in der neuesten Auflage der Dudengrammatik, nämlich der von 2005 auch dokumentiert ist.
Dort wird wegen zwar noch unter den Präpositionen mit dem Genitiv aufgeführt, aber gerade in
der gesprochenen Sprache stehe auch der Dativ. Standardsprachlich heißt es zwar immer noch
wegen starker Regenfälle, also Genitiv, fehlt aber das CASUS markierende Attribut, fehlt
also stark, dann heißt es wegen Regenfällen. Zwar sagt man wegen großen Erfolges, aber
steht Anna im Genitiv davor, heißt es bereits wegen Annas großem Erfolg. Die Schwankung
im CASUS bei wegen ist nicht zuletzt sprachwandelbedingt. Wegen ist auf dem Weg von einer Präposition
mit Genitiv hin zu einer Präposition mit Dativ. Kurz die wissenschaftliche Erklärung für
dieses Phänomen. Die Genitiverbindung ist Relikt der Herkunft der Präposition von Weg.
Substantive haben normalerweise Genitivattribute bei sich. Steht nun der Dativ hinter wegen,
man hat wegen seine Substantivvergangenheit endgültig abgestreift und ist zur Präposition
geworden. Wegen hat dann das Stadium der echten Präposition zu denen auch wir und zu zählen
mit und zu zählen erreicht. Das letzte Beispiel betrifft die Konjunktion weil, die zur Zeit
einem syntaktischen Wandel unterliegt. Im Deutschen ist es üblich, das finite Verb
das Ende des mit weil eingeleiteten Nebensatzes zu stellen. Es ist üblich zu sagen, er ist
schon nach Hause gegangen, weil er noch Besuch erwartet. Immer häufiger wird die Verbendstellung
Presenters
Prof. Dr. Mechthild Habermann
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:25 Min
Aufnahmedatum
2006-01-19
Hochgeladen am
2017-07-06 14:41:13
Sprache
de-DE