Diese Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen, vielen Dank für die Einladung zum heutigen Abend hier in Erlangen.
Ich freue mich, dass Sie so zahlreich heute Abend anwesend sind und sich offensichtlich für DDR-Geschichte interessieren,
obwohl es sich hier natürlich um ein sehr heikles Thema handelt.
Gestatten Sie mir einen sehr persönlichen Einstieg in den heutigen Vortrag.
Als das von Herrn Frewer genannte Buch über die Ärzteschaft in der DDR und ihre Verstrickung in das IM-System erschienen ist,
fragte mich ein Journalist, wie es mir denn beim Lesen der IM-Akten ergangen ist.
Oder Kollegen am Institut sprachen mich darauf an, weil ihnen mein Buch sehr sachlich erschien und sie eigentlich über die Jahre verfolgen konnten,
wie schwierig für mich der Umgang mit den Akten war.
Und sie fragten mich, wie es eigentlich dazu gekommen ist, dass ich so eine distanzierte Sicht aufbauen konnte.
Und ich habe mich zurückerinnert an den Anfang der Arbeit mit den Akten.
Also ich habe 2003 damit angefangen und es war tatsächlich so, dass ich bestimmt vier Wochen aus der Außenstelle in Leipzig,
dort wo mir die Akten zur Verfügung gestellt wurden, aufgeregt nach Hause gegangen bin,
mit irgendjemandem telefonieren oder reden musste und das alles im wahrsten Sinne des Wortes heraus schreien musste, was ich dort gelesen habe.
Vielleicht können Sie sich das vorstellen, vielleicht kennen Sie auch Bücher oder Papiere, die Sie mal in den Händen gehalten haben,
vor denen Sie sich nicht geekelt haben, weil das Papier oder das Buch schmutzig war,
sondern weil Sie sich das Inhaltswegen geekelt haben.
Also mir ging das stellenweise so.
Es gab auch noch andere Emotionen, die mich während dieser Arbeit begleitet haben.
Während der ganzen vier, fünf Jahre, die ich mich damit beschäftigt habe, bin ich auf sehr viele Betroffene gestoßen,
die der Auffassung waren, dass ihre Ärzte sie an das MFS verraten haben,
die sich auch gesundheitlich geschädigt gefühlt haben durch dieses System.
Und es waren Geschichten dabei, die mich nicht mehr losgelassen haben,
die mich teilweise, wenn es auch zum Beispiel um Kinder ging, die für schlaflose Nächte gesorgt haben.
Aber jetzt konkret zur Vorstellung meiner Arbeit.
Ich möchte nicht nur über die Ergebnisse der Arbeit sprechen,
sondern werde Ihnen auch so mal die Vorgehensweise meiner Arbeitsweise mitschildern.
Bekannt ist, dass die übergroße Mehrheit der Ärzte in der DDR, weder der SED, beigetreten sind,
noch dass sie Spitzeldienste für das MFS geleistet haben.
Es ist unter anderem ein großer Unterschied zur Ärzteschaft während des Nationalsozialismus.
Es ist Ihnen ja vielleicht bekannt, dass 49 Prozent der Ärzte während des Nationalsozialismus
in der NSDAP oder in ihren Kliederungen vertreten waren, während das in der DDR für viel weniger Ärzte zutraf.
Dennoch war es erstaunlich, der Anteil an EM-Unterärzten mit 3 bis 5 Prozent war größer als in der Gesamtbevölkerung.
Also in der Gesamtbevölkerung betrug er zum Beispiel 1988, 89 circa 1 Prozent.
Das hat allerdings nichts mit einer großen Anfälligkeit des Berufsstandes für Spitzeldienste zu tun,
sondern mit der Tatsache, dass die Partei- und Staatsführung der DDR die Ärzteschaft
zu großen Teilen als bildungsbürgerlich geprägte Berufsgruppe mit tradiertem Standesbewusstsein wahrnahm,
die dem System zumindest nicht unkritisch gegenüber stand.
Hinzu kam aber auch, oder auch deshalb reisten viele Ärzte aus der DDR aus oder begingen Republikflucht.
Außerdem war die Situation im Gesundheitswesen der DDR ohnehin schwierig.
So fehlte zum Beispiel überall Personal und wenn eben noch mehr Ärzte oder auch Pflegepersonal das Land verlassen haben,
umso prekärer wurde eben die Situation.
Deshalb hatte die Stasi ein besonderes Interesse an den Ärzten.
Man wollte die hochqualifizierten Fachkräfte in der DDR erhalten und dazu waren alle mittelrecht.
Aus diesem Grund wurden auch, und das um viel mehr als in anderen Berufsgruppen, IEM aus der Ärzteschaft geworben.
Das Ansinn, was dahinter steht, mein Buchtitel oder der Titel meines Buches heißt deshalb auch so Zielgruppe-Ärzte-Schafft.
Die Staatssicherheit hat gesagt oder ist davon ausgegangen, dass inoffizielle Mitarbeiter die besten Leistungen bringen konnten,
wenn sie aus der jeweiligen Zielgruppe standen. Das heißt Ärzte sollten Ärzte bespitzeln.
Zur Bearbeitung der Thematik. Ich habe an dem Projekt von 2003 bis 2006 gearbeitet.
Es ist ein Projekt, was vom Deutschen Ärzteblatt initiiert und vom Deutschen Ärzteverlag gefördert wurde.
Presenters
Dr. Francesca Weil
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:07:12 Min
Aufnahmedatum
2012-01-12
Hochgeladen am
2012-01-17 15:58:04
Sprache
de-DE
Aus ihrem gesellschaftlichen Legitimierungszwang heraus maß die SED dem Gesundheitswesen der DDR und damit der Tätigkeit von Ärzten einen überaus großen politischen Stellenwert bei. Mit der Entwicklung eines verstaatlichten Gesundheitswesens ging deshalb auch der Versuch der Parteiführung einher, die Ärzte ihrem Herrschaftsanspruch weitgehend unterzuordnen. Dennoch stand ein großer Teil dieser bildungsbürgerlich geprägten Berufsgruppe mit tradiertem Standesbewusstsein den Anforderungen der SED an eine „sozialistische Ärzteschaft“ überaus kritisch oder sogar ablehnend gegenüber.
Die Mehrheit der Ärzte in der DDR gehörte weder der SED an, noch ließ sie sich auf Spitzeltätigkeiten für die Staatssicherheit ein. Aber der Anteil an Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) unter Ärzten war eindeutig höher als in der Gesamtbevölkerung. Diese Tatsache weist allerdings nicht auf eine besondere Anfälligkeit der Ärzte für denunziatorisches Verhalten hin, sondern bestätigt einmal mehr, dass die Partei- und Staatsführung diese Berufsgruppe besonders penibel observieren ließ.
Im Mittelpunkt des Vortrages stehen die spezifischen Merkmale der konspirativen Zusammenarbeit von Ärzten mit dem Staatssicherheitsdienst. Dabei geht es im Einzelnen um die mannigfaltigen Motive für die Kooperationswilligkeit, um Schwerpunkt- und Aufgabenbereiche, Dauer und Intensität der Spitzeltätigkeit, Quantität und Qualität der abgefassten Berichte sowie um die Frage, wer, wie oft und aus welchem Grund die ärztliche Schweigepflicht gebrochen hat. Diese differenzierte Betrachtung soll letztendlich zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit Denunziationen, ihren Ursachen und Folgen beitragen.