Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie im Namen des Kollegium Alexandrinum ganz herzlich begrüßen zu unserer heutigen Podiumsdiskussion
Standards guter wissenschaftlicher Praxis an der FAU. In der letzten Ausgabe der Zeitschrift Science wurde eine Liste der Top Science Candles des Jahres 2011 veröffentlicht.
Angeführt wurde diese Liste von dem Sozialwissenschaftler Diederik Stapel von der Tilburg Universität in den Niederlanden, der 30 Arbeiten wegen massiver Datenfälschungen zurückziehen musste.
Arbeiten, die alle sehr interessante Hypothesen zum Gegenstand hatten und deshalb zu weiterer Forschung anregten.
Man befürchtet deshalb, dass bis zu weiteren 100 Veröffentlichungen in nächster Zeit zurückgezogen werden müssen, die in irgendeiner Weise auf den Untersuchungen von Stapel aufgebaut haben.
Die nächsten Plätze waren dann mit Fälschungen aus dem Bereich der Life Sciences besetzt und auch einer der führenden Klimawandelskeptiker George Mason musste zugeben, dass er seiner Skepsis mit gefälschten Daten Gewicht verleihen wollte.
Ein Fall sei noch erwähnt, der manche von uns mehr oder weniger unmittelbar berührt. Der Wissenschaftler Deepak Das von der Connecticut University hat vermeintlich nachgewiesen, dass das Phenolresveratrol eine herzschützende Funktion hat.
Darüber hinaus soll es durch die Aktivierung des Proteins Sirtuin auch noch eine lebensverlängende Wirkung entfalten.
Aufsehen haben diese Veröffentlichungen dadurch erlangt, dass Resveratrol in nennenswerten Mengen nur im Rotwein vorkommt.
Somit durften sich die Rotweinliebhaber einbilden, gewissermaßen intuitiv auf ein Lebenselexier gestoßen zu sein.
Leider alles Schwindel. Die Universität des Herrn Das muss nun 890.000 Dollar an Fördermittel zurückzahlen und wir sind der Hoffnung beraubt, dass sich die Krankenkassen an der nächsten Flasche Barolo finanziell beteiligen werden.
Was diese Fälle so schlimm macht, ist nicht nur die kriminelle Energie, die hier am Werke ist und der damit verbundene Vertrauensschaden, den die Wissenschaft nimmt.
Gravierend ist auch der unmittelbaren Schaden für die Wissenschaft selbst, der dadurch entsteht, dass andere auf den vermeintlich gesicherten Ergebnissen mit ihrer Arbeit aufbauen.
So werden persönliche Karrieren gefährdet und finanzielle Ressourcen verschleudert.
Unter diesen Aspekten wird auch klar, warum der Fall Gutenberg international keine Erwähnung findet.
Sicher, auch hier haben wir einen Fall von massivem individuellen Fehlverhalten. Aber eine Arbeit, über deren Lektüre offensichtlich schon der Betreuer eingeschlafen ist und die ansonsten nur dazu anregt, das Spielchen Original und Fälschung zu treiben, hinterlässt keine Spuren in der wissenschaftlichen Landschaft.
Jeder der genannten Fälle steht für individuelles Fehlverhalten. Hier waren Fälscher und Betrüger am Werke.
Die Häufung dieser Fälle in den letzten Jahren kann aber als ein Indiz dafür angesehen werden, dass das Ethos der Wissenschaftler, also die Wertorientierung, die sie mit ihrer Arbeit verbinden, in Erosion begriffen ist.
Ethos hat immer eine individuelle und eine gesellschaftliche Komponente. Das Individuum, also der angehende Wissenschaftler, muss eine ethische Sozialisation erfahren haben und er muss sich dem Ethos verpflichtet wissen.
Die Gesellschaft muss durch ihre Institutionen dafür Sorge tragen, dass die Wissenschaftler im Geiste des Ethos gebildet werden. Sie muss ein Verhalten im Einklang mit dem Ethos honorieren und darauf achten, dass sich im System Wissenschaft keine Tendenzen verfestigen, die unethisches Verhalten belohnen.
Nach solchen Tendenzen muss man also suchen, um eine Erklärung für die beginnende Erosion des wissenschaftlichen Ethos zu bekommen.
Und hier fällt sofort die seit Jahrzehnten zunehmende Tendenz zur Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebs auf.
Auf allen Ebenen versuchen Politik und Wissenschaftsmanagement Mechanismen aus dem Wirtschaftsleben in die Wissenschaft zu übertragen.
Es werden in Forschung und Lehre, Wettbewerbs und Konkurrenz Mechanismen implementiert und damit dies funktioniert, werden Anreizsysteme erfunden, die einen Preismechanismus simulieren.
Das erscheint prima Fazit widersinnig, denn zunächst ist ja Wissenschaft der Wahrheit verpflichtet und die Wahrheit hat keinen Markt. Ihr Wert kann nicht durch Wettbewerb bestimmt werden.
Das ist zumindest eine Überzeugung, die nicht nur von vielen Menschen außerhalb der Politik geteilt wird, sondern die auch, und das ist entscheidend, gut begründet und durch eine über viele Jahrhunderte reichende Erfahrung gestützt werden kann.
Aber mit jedem Forschungsprozess sind auch sekundäre Merkmale verknüpft, die sehr wohl einem künstlichen Marktmechanismus unterworfen werden können.
Solche Merkmale sind zum Beispiel Aufwand, Nützlichkeit und Leistung pro Person und Zeiteinheit.
Man kann also wissenschaftliche Ergebnisse auch danach bewerten, was sie kosten, etwa im Sinne von je teurer, desto besser.
Oder was sie für die Industrie bringen, welches Innovationspotenzial sie also besitzen.
Und man kann die Leistung eines Wissenschaftlers nach seinem gewichteten Output pro Zeit messen.
Das wären dann zum Beispiel die gesammelten Impact-Faktor-Punkte der Veröffentlichungen pro Jahr.
Die Orientierung an diesen Bewertungsmaßstäben führt dazu, dass der Typus des guten Wissenschaftlers im Sinne eines Wissenschaftlers mit hohem Ethos allmählich abgelöst wird durch den Typus des erfolgreichen Wissenschaftlers.
Was nicht auf das Gleiche hinausläuft. Erfolg im Sinne von Umsatz lässt sich, wie das Wirtschaftsleben zeigt, auch mit Mitteln erzielen, die an der Grenze des ethisch Vertretbaren liegen.
Oder vielleicht auch schon jenseits davon.
Wenn heute junge Wissenschaftler erleben, dass zwar in der Theorie jeder Forschungsprozess offen sein muss, in der Praxis aber ein Forschungsprojekt nicht scheitern darf, weil man sonst aus dem Markt für Forschungsgelder gekickt wird.
Wenn sie erleben, dass man nicht unbedingt Gutes publizieren muss, sondern, wie Mediziner zu sagen, Pflegen gut publizieren muss, wobei Letzteres nur bedeutet, in einer Zeitschrift mit hohem Impact-Faktor zu publizieren, was aber wiederum jeder schaffen muss, der Karriere machen will und wofür manche offensichtlich das Risiko eingehen beim Schwindeln erwischt zu werden.
Wenn sie erleben, dass bei der Begutachtung eines Sonderforschungsbereichs oder eines Exzellenzclusters Tausende Euros für die rechte Wahl der Location und des Catering ausgegeben werden und dafür, dass die Wissenschaftler tagelang für ihre Vorträge gecoacht und die Folien durch Werbeagenturien poliert werden,
dann erfahren sie auch, dass für den Erfolg das Marketing entscheidend ist und dieses sich nicht immer an der Wahrheit orientieren muss.
Diese Tendenzen sind in anderen Ländern, insbesondere in den USA, in China oder Korea stärker ausgeprägt als bei uns, da in deren Kulturgeschichte die Idee von Wissenschaft als einem öffentlichen Gut nicht so tief eingeprägt ist.
Deshalb sind diese Länder bislang auch mehr von Betrug und Schwindelheim gesucht als wir. Aber da wir uns grundsätzlich immer am Ausland orientieren, werden wir auch auf diesem Gebiet den Anschluss schon noch schaffen.
Was können Universitäten angesichts dieser Entwicklung tun, um das Ansehen der Wissenschaft vor weiteren Beschädigungen zu bewahren?
Nun, sie sind Teil des gesellschaftlichen Systems und können sich von dem generellen Trend zur Ökonomisierung nicht einfach abkoppeln.
Hinzu kommt, dass sich Universitäten in der Regel wie opportunistische Akteure verhalten. Jede Entwicklung hat ja Vor- und Nachteile und man ist zunächst versucht, die Vorteile schnell zu erkennen und für sich zu gewinnen, um sich so anderen gegenüber in eine bessere Position zu bringen.
In diesem Sinne meinen auch manche Universitäten, dass gerade die Ökonomisierung der Wissenschaft ihnen in die Hände spiele und sie durch geschicktes Mitschwimmen im Strom gut vorankommen werden, was Ausstattung und Zugriff auf personelle wie finanzielle Ressourcen betrifft.
So bezeichnet sich die TU München schon in ihrem Titel als unternehmerische Universität. Eine Formulierung, die schon aufgrund ihrer sprachlichen Brillanz nur dem TU Präsidenten Hermann selbst eingefallen sein kann.
Zweierlei müssen aber die Menschen innerhalb und außerhalb des Systems Wissenschaft von den Universitäten erwarten können. Und zwar ganz unabhängig davon, wie sich gesellschaftliche Trends entwickeln.
Zum einen, die Universitäten müssen institutionelle Vorkehrungen treffen, die es dem Einzelnen schwer machen, betrügerische Machenschaften zum Erfolg zu führen. Und zum anderen, sie müssen den Versuchungen entgegenwirken, die sich aus den Ökonomisierungstendenzen ergeben.
Und deshalb bei der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der Bildung zu einer ethisch verantwortlichen Haltung einen höheren Stellenwert einräumen, als das früher üblich war.
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:30:56 Min
Aufnahmedatum
2012-02-02
Hochgeladen am
2012-03-05 12:17:02
Sprache
de-DE
Vor allem Plagiate bei Dissertationen standen in letzter Zeit im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Verstöße gegen die Standards guter wissenschaftlicher Praxis kommen jedoch nicht nur im Rahmen von Dissertationsprojekten und nicht nur als Plagiat vor. Die Erscheinungsformen sind vielfältig: Fälschungen, Datenkosmetik, Schwindel bei Forschungsanträgen. Sie ergeben sich häufig durch den Druck der Geldgeber und der scientific community.
Bei Dissertationsprojekten obliegt den Universitäten bei der Betreuung des akademischen Nachwuchses eine besondere Sorgfaltspflicht. Wie diese an der FAU wahrgenommen wird, soll die Podiumsdiskussion zeigen.
Nach einem einleitenden Vortrag durch Dr. Rudolf Kötter vom Zentralinstitut für Angewandte Ethik und Wissenschaftskommunikation diskutieren hierzu Prof. Karl-Dieter Grüske, Präsident der FAU, Prof. Andreas Frewer, M.A., und Prof. Dirk Niefanger, die Mitglieder der "Kommission zur Untersuchung von Vorwürfen Wissenschaftlichen Fehlverhaltens" sind, Dr. Monica Mayer, Geschäftsführerin der Graduiertenschule der FAU, Prof. Franz Streng, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie sowie Dipl.-Physiker Philipp Schrögel, Master in Public Policy(MPP), der früher stud. Vertreter im Senat war und jetzt Doktorand an der FAU ist.
Moderiert wird die Podiumsdiskussion von Frau Prof. Andrea Abele-Brehm, die Ombudsfrau der FAU ist.