Das besteht kein Zweifel daran, dass das Völkerrecht wie auch Rechtsordnungen aus anderer Quelle
einem steten Wandlungsprozess unterworfen ist.
Wenn auch dieser Wandel sich der Eigenart des Völkerrechts als einer auf Konsens basierenden
Rechtsordnung wegen regelmäßig nur langsam vollzieht.
Thema meines Vortrags ist vielmehr die Struktur der sogenannten Völkerrechtsgemeinschaft.
Hat auch sie sich, wie vielfach behauptet worden ist, seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges
grundlegend gewandelt oder aber sind bei aller inhaltlichen Veränderung des Völkerrechts
und Anreicherung des völkerrechtlichen Normenbestandes die bestimmenden Akteure und die maßgeblichen
Handlungsformen des Völkerrechts gleich geblieben, dieselben geblieben.
Meine These lautet, sie wird Sie vielleicht überraschen, dass in den entscheidenden Grundstrukturen
des Völkerrechts über die verschiedenen Epochen der Völkerrechtsgeschichte hinweg ein hohes
Maß an Kontinuität zu konstatieren ist.
Ich will diese Kontinuitätsthese, wenn ich es so formulieren darf, durch einige Überlegungen
zum Geltungsgrund und Geltungsbereich des Völkerrechts, also zu den Rechtsquellen und
Rechtssubjekten des Völkerrechts, untermauern.
Doch zunächst zum Begriff des Völkerrechts.
Was verstehen wir unter Völkerrecht?
Das Völkerrecht, der deutsche Begriff ist insoweit etwas irreführend, ordnet und regelt,
jedenfalls in erster Linie, die Beziehungen der souveränen Staaten untereinander und
mit den von ihnen geschaffenen internationalen Organisationen, sowie die Beziehungen zwischen
diesen internationalen Organisationen selbst.
Das Völkerrecht ist also vor allem das Recht, das im Verhältnis der Staaten zueinander,
in ihrem Verhältnis zu internationalen Organisationen, sowie zwischen diesen Organisationen gilt.
Nun zu den völkerrechtlichen Rechtsquellen.
In der völkerrechtlichen Koordinationsordnung begegnen sich die Staaten als gleichberechtigte
Völkerrechtssubjekte.
Keines besitzt ein Herrschaftsrecht über ein anderes.
Das Völkerrecht kennt also kein den Rechtssubjekten übergeordneten Gesetzgeber und keine vollziehende
Gewalt.
Es ist mit anderen Worten eine herrschaftsfreie Rechtsordnung.
In der auf dem Prinzip der souveränen Gleichheit seiner Mitglieder basierenden Staatengemeinschaft
ist daher nur konsensuale Rechtserzeugung möglich.
Denn Gleichberechtigung bedeutet ja, dass ein Rechtssubjekt dem anderen, ihm rechtlich
gleichgestellten, seinen Willen von Rechtswegen nicht aufzwingen kann oder anders formuliert.
Die sich koordiniert gegenüberstehenden Rechtssubjekte können ohne ihre eigene Zustimmung
von ihresgleichen nicht verpflichtet werden.
Die einander rechtlich gleichen Staaten müssen sich also selbst verpflichten, um überhaupt
zu irgendetwas rechtlich verpflichtet zu sein.
Einzige Rechtsquelle des positiv geltenden Völkerrechts, meine Damen und Herren, ist
daher der zwischenstaatliche Konsens in seinen verschiedenen Erscheinungsformen.
Dieser Konsens tritt im Völkerrecht in dreierlei Gestalt auf, als Vertrag, als Gewohnheit und
als allgemeine Rechtsgrundsätze.
Es sind dies die drei Völkerrechtsquellen.
Wer nun für die Geltung des Rechts eine übergeordnete gesetzliche Anordnung im Sinne einer vom Willen
der Rechtsunterworfenen unabhängigen Rechtssatzung fordert, wie sie ja bekanntlich für das innerstaatliche
Recht kennzeichnend ist, der wird, da es eine solche im Völkerrecht nicht gibt und ihre
herrschaftsfreien Strukturwegen auch nicht geben kann, konsequenterweise die Möglichkeit
der Geltung, das heißt rechtlichen Existenz von Völkerrecht überhaupt bestreiten müssen.
Dies ist die sogenannte Völkerrechtsleugnende Haltung.
Sie wird vielfach eingenommen, aber sie steht in offensichtlichem Widerspruch zu der Staatenpraxis,
Presenters
Prof. Dr. Christian Hillgruber
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:26:19 Min
Aufnahmedatum
2000-10-26
Hochgeladen am
2018-06-21 09:53:55
Sprache
de-DE
- Einleitung
- Der Begriff des Völkerrechts
- Die völkerrechtlichen Rechtsquellen
- Die völkerrechtlichen Rechtssubjekte
- Resümee