20 - 5B2 - "Geh aus, mein Herz und suche Freud" - zweite Liedhälfte [ID:19044]
50 von 413 angezeigt

Geh aus mein Herz und suche Freud, die zweite Folge. Wir mussten aus technischen

terminlichen Gründen die Aufzeichnung bei der Mitte des Liedes abbrechen und das gibt

mir jetzt die Chance nochmal mit der Zentralstrophe 8 einzusteigen, die ich auf dem Handout ja

bewusst mittig gesetzt habe. Das Lied mit seinen 15 Strophen, 7 plus 7 und diese Strophe

8 als Scharnierstrophe. Ich selbst denn kann und mag nicht ruhen, des Großen Gottes großes

Tun erweckt mir alle Sinnen. Ich singe mit, wenn alles singt und lasse, was dem Höchsten

klingt, aus meinem Herzen rinnen. Ich leg den Akzent nochmal auf zumindest zwei Dinge.

Das eine, ich singe mit, wenn alles singt. Singen bleibt nie für sich alleine. Solistisches

Singen, wo die anderen nur da sitzen und zuhören und dann vielleicht klatschen, ist sozusagen

ein Unding. Das Singen, und zwar weil das das Singen über Gottes Schöpfung, über

Gottes großes Tun ist, das reißt mit. Da kann man nicht unberührt bleiben. Es heißt

ja, er, des Großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinnen. Man ist sozusagen in allen

Phasen elektrisiert, muss mitmachen. Gerade in diesen Corona-Zeiten, wo Singen reglementiert

ist und als Unding oder als Wurst, Kais sogar erklärt wird, ist es natürlich besonders

einerseits tragisch, zum anderen auch besonders wichtig, dass man sich diese wirklich essenzielle

Bedeutung des gemeinsamen Singens deutlich macht. Es erschien in der Süddeutschen Zeitung

kürzlich mal auch ein Bericht, wo einer sehr schön dargelegt hat, was fehlt eigentlich

den Gottesdiensten, warum sind die Gottesdienste so, wie sie jetzt gefeiert werden, so uncool

und nicht attraktiv, eben weil die Leute nicht singen. Und es kam sogar natürlich

Paul Gerhard vor, ich singe dir mit Herz und Mund nicht diese Passage, ich singe mit, wenn

alles singt. Und wir selber bei der Praxis der Universitätsgottesdienste, die übrigens

über die Homepage der Neustädter Kirchengemeinde mitzuverfolgen sind, stehen im Netz. Wir praktizieren

so, wir haben zwar eine Vorsängerin, weil wir ja nicht viele Strophen singen sollen,

aber ich lasse mir jedes Mal etwas einfallen, einen kleinen Moment, wo alle mitsingen dürfen,

bei jeder Strophe, bei jedem Lied. Irgendwie habe ich das unbewusst so von Anfang an gemacht

und jetzt wurde mir deutlich, dass ich im Prinzip hier einlöse, dass wir da einlösen,

was Paul Gerhard hier formuliert mit, ich singe mit, wenn alles singt. Ohne das Mitzingen geht

es nicht. Das andere, das Stichwort, ich kann und mag nicht ruhen am Anfang. Das möchte

ich nochmal betonen, es war ja auffallend, dass bei der Naturschilderung in den ersten

sieben Strophen diese Tiere und selbst die Pflanzen, die sind ja alle geschäftigt, das

sind alles aktive Werben, also die Bächleinrauschen in dem Sand und die Wiesen liegen hart dabei,

also es steht ja nicht nur sie sind und so weiter. Also es ist ganz wichtig, dass der

Eindruck erweckt wird, Natur ist ein unglaublich geschäftiges Ding. Leben ist eben kein Stillstand,

sondern da passiert immer etwas und da drücken sich die Lebenskräfte aus in vielfältiger

Aktivität und deswegen kann auch ich nicht ruhen. Also nicht still mich hinsetzen, sozusagen

wie am Strand, Demonstratives nicht tun und nur warten, dass die Sonne die Haut bräunt,

sondern wenn ich wirklich in die Natur gehe und die Natur anschaue, dann nehme ich diese

Geschäftigkeit, diese Vitalität, diese vielfältigen Lebenskräfte wahr und muss mich quasi einklinken.

Ich weiß noch nicht, bin kein Literaturwissenschaftler, ob das nicht auch ein spezifischer Unterschied

ist zu dieser Tradition des Locus Ammonus, von der ich schon sprach, dass es ja die Literaturgattung

gibt, dass man Naturgedichte macht und die Natur als besonders lieblichen Ort beschreibt,

wo es wunderbar ist, sich aufzuhalten, sozusagen schlarer Affenland mäßig und ob die Lieblichkeit

dieses Orters nicht wesentlich damit zusammenhängt, dass es da still ist und dass eben die Unruhe,

die Geschäftigkeit der sonstigen Welt ausgeschlossen ist. Idylle sozusagen, so wie es die Romantiker

dann dezidiert sehen, die Natur als Idylle, wo alles das, was im Alltag als defizitär

wahrgenommen ist, gegenteilig positiv vorhanden ist. Nein, Natur, Gottes Natur, denn in diesem

ganzen Leben in der Natur sehen wir Gott selbst am Werk des großen Gottes, großes Tun. Mit

diesem dreimaligen Groß erweckt mir alle Sinnen. Wir sehen Gott am Werk, da ist, Gott

ist busy working, ohne Unterlass und deswegen kann auch ich nicht ruhen. Also es geht nicht

um Faulenzen, sondern um Entsprechung zu Gottes unablässigem großen Wirken darin,

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:52:13 Min

Aufnahmedatum

2020-07-01

Hochgeladen am

2020-07-02 20:46:26

Sprache

de-DE

Das Phänomen Paul-Gerhardt-Lieder II

Die Lieder von Paul Gerhardt (1607-1676) sind "Evergreens" trotz ihrer veralteten barocken Sprach- und Vorstellungswelt, trotz ihres oft schweren theologischen "Ballasts", trotz ihrer Überlänge. Die Vorlesung nimmt einzelne Lieder in Textgestaltung wie Melodiezuweisung genauer unter die Lupe, vermittelt historischen Hintergrund der Liedentstehung und gibt Einblicke in die Liedrezeption durch die Jahrhunderte in Gesangbüchern wie Kunstmusik.

Tags

Kirchenmusik
Einbetten
Wordpress FAU Plugin
iFrame
Teilen