Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Ich will heute versuchen, ein bisschen eine andere Perspektive auf das Alter einzunehmen
und ein bisschen aus der psychologischen Sichtweise darüber zu sprechen, was wir denn
eigentlich unter dem Begriff des Alters verstehen. Zunächst mal geht mein Vortrag davon aus,
dass Altern sich vor allem mit der Sorge verbindet, nicht mehr über das eigene Leben
bestimmen zu können. Und das ist auch eine Kernfrage in der Altersforschung, nämlich
was sind eigentlich die Bedingungen und die Umstände, die selbstbestimmtes Leben im
Altern fördern. Und das steht jetzt auch im Vordergrund meiner Darlegungen, dass ich zunächst
mal aus einer individuellen Sichtweise auf das Alter eingehen will. Und in dieser individuellen
Sicht sehen wir das Alter vor allem als eine Lebenszeit der Erfüllung. Und in dieser Erfüllung
müssen wir aber gesundheitliche Einschränkungen lösen und die gesundheitlichen Einschränkungen
begrenzen das Alter. Die hauptsächliche Bedrohung also ist dabei nicht so sehr, dass es gesundheitliche
Verluste gibt, sondern dass diese gesundheitlichen Verluste die Selbstbestimmung im Alter bedrohen.
Und das will ich an einigen Beispielen auch darlegen und ausführen. Und dabei lautet dann
meine These, dass ein erfülltes Altern letztlich aber gerade darin besteht, die Grenzen der
Selbstbestimmung nicht nur zu akzeptieren, sondern auch anzuerkennen und zu nutzen. Und dabei will
ich eingehen auf eine eher humanistische Tradition in der Psychologie, die sich auch mit dem Namen
Charlotte Bühler verbindet und auch hierzu dann einige Illustrationen aus dieser Forschung machen.
Und zunächst einmal fangen wir ja in der Regel an uns über das Alter Gedanken zu machen,
indem wir darüber sprechen, dass doch die Lebenserwartung zunehmend steigt,
dass wir immer länger leben, dass unsere Gesellschaften durch langes Leben geprägt sind.
Und zugleich wissen wir aber auch, auch das ist ein klassischer Einstieg in der Altersforschung,
wenn wir Menschen fragen, wie alt sie sich fühlen, dass sie sich immer in der Regel relativ jung
fühlen. Aus der individuellen Sicht kommt hierbei hinzu, dass wir nicht so sehr alleine nur die Menge
der Jahre, die wir länger leben, betrachten, sondern schon der 16. Präsident der Vereinigten
Staaten, dessen Namen Sie alle kennen, Abraham Lincoln, hat festgestellt, dass es am Ende des
Lebens eben nicht darauf ankommt, wie viel mehr Jahre wir haben, sondern wie viel mehr Leben wir
haben. Und das wurde ja damals zu einem Zeitpunkt schon ausgesprochen, als wir von demografischem
Wandel noch gar keine Ahnung hatten. Und gleichwohl ist dieser Ausspruch Abraham Lincoln's eben
eigentlich der Auftrag, den dann auch die berühmten Geriater, Boards und Pearsall dann sich auch
zu eigen gemacht haben und gesagt haben, das ist doch eigentlich der Auftrag der Alterswissenschaft.
Die Altersforschung muss eigentlich zeigen, wie wir das umsetzen. Dabei stellt sich dann aber doch
auch wiederum die Frage, was heißt hier eigentlich Leben? Was verstehen wir unter Leben in den Jahren?
Das ist im Kern das Thema der psychologischen Sichtweise auf das Altern, nämlich es geht um
Fragen des Empfindens, des Erlebens und auch des Denkens. Und hier kommen wir dann eben zu der Einsicht,
ja mehr Leben in den Jahren, das wäre doch schön, man würde sich eben jung fühlen. Jung sich zu
fühlen könnte bedeuten, mehr Leben in den Jahren zu haben. Tatsächlich wissen wir auch, die meisten
Menschen ab dem Alter 30 etwa beginnend fangen an sich junger zu fühlen als sie sind. Sie finden
selten 20-Jährige, die sich junger fühlen als sie sind, aber ab 28 je nach Geschlecht auch
unterschiedlich fühlen sich Menschen jünger als sie sind. Das ist vielleicht ein Hinweis darauf,
wie viel Leben sie in ihren Jahren haben. Tatsächlich meine These ist, dass das nicht so ist.
Denn die meisten Menschen verwechseln jung fühlen mit gesund sein. Und das sehen wir daran, wenn wir
die Menschen, die sich in irgendeinem Alter fühlen, also ein 70-Jähriger, der sich wie 60 fühlt,
fragen, ja und wie alt wären sie denn jetzt gerne? Dann sagen viele 60-Jährige, ja schön wäre es,
55 oder 50 zu sein, nochmal. Tatsächlich ist es aber so, dass das nur ganz wenige sagen, nämlich
die, die sich nicht gesund fühlen. Diejenigen, nämlich die gesund sind, sagen nicht, dass sie
gerne viel mehr jünger wären. Das sehen Sie hier in den rot dargestellten Balken. Das sind die
Diskrepanzen, also der Unterschied zwischen gewünschten und gefühlten Alter bei denen,
die gesund sind. Da ist also wenig Wunsch. Ein 60-Jähriger, der sich gesund fühlt, ist gerne 60
Jahre alt. So ist die Sichtweise. Und wer sich nicht gesund fühlt, möchte gerne jünger sein. Ein für
mich sehr eindrücklicher Beleg dafür, wie stark doch Gesundheit und Altern verwechselt wird.
Nun wissen wir aber, die meisten Menschen leben relativ lange und die Lebenserwartung steigt. Sie
steigt aber nicht nur in den Gesellschaften des langen Lebens. Also wir wissen jedes Jahr zwei bis
drei Monate gewonnene Lebenszeit. Was viel dramatischer ist, wie stark unsere Lebenserwartung
steigt, wenn wir älter werden. Je älter wir werden, umso mehr Wahrscheinlichkeit ist da,
dass wir auch ein hohes Alter erreichen. Wenn wir erst mal 80 sind, ist die Wahrscheinlichkeit
relativ hoch, dass wir dann auch 89 oder 88 Jahre alt werden. Bei Geburt sieht das noch anders aus.
Und die Frage ist ja, diese enorme Gewinne an Lebensjahren, spiegelt sich das eigentlich auch
in der Sichtweise der Menschen wieder, wenn wir sie fragen, was sie denn eigentlich für das Alter
erwarten. Welche Vorstellungen sie haben. Also glauben denn die Menschen auch, dass sie so alt
werden, wie sie tatsächlich werden. Und die einfachste Frage, die man hier stellen kann, ist,
was glauben sie denn, wie alt werden sie? Was erwarten sie denn, wie alt sie werden? Und die
Antworten darauf überraschen immer wieder. Wir haben viele Studien durchgeführt, Fragen eigentlich
standardmäßig in fast jeder Studie, die wir durchführen, wie das denn ist. Und die Antworten
sind auch hier eigentlich immer wieder gleich. Männer und besonders Frauen unterschätzen,
wie alt sie denn tatsächlich werden. Und das ist nicht wenig, was da unterschätzt wird, denn wir
sehen das auch bei den älteren Männern und den älteren Frauen, dass sie unterschätzen. Was bedeutet
so eine Unterschätzung denn nun tatsächlich? Es ist etwas zunächst mal sehr Robustes, was wir
beobachten. Und wir vermuten, dass hier auch wieder sich ausdrückt, dass das Höhe-Hoe-Alter
die letzten Lebensjahre gleichgesetzt werden mit Verlust von Selbstbestimmung, mit gesundheitlichen
Einschränkungen. Und dass genau dieser Teil der letzten Lebensjahre gar nicht mehr dem Leben
zugerechnet wird. Dass Menschen also im Prinzip bei der Frage, was glauben sie denn, wie lange
werden sie leben, nicht so sehr die tatsächliche Lebensdauer einschätzen, sondern die gesunde,
aktive Lebenserwartung meinen und den Rest gar nicht mehr zum Leben zählen. Das ist bedrohlich.
Und eben auch eine Sorge, die sich darin auch ausdrückt. Und da gibt es einige Hinweise,
die wir dazu auch haben, wenn wir auf diese Weise an die Sachen herangehen. Nämlich, wir können
natürlich nicht nur fragen, wie alt erwarten sie zu werden. Wir können ja auch fragen, wie alt
wünschen sie zu werden. Und das ist nun insofern eine interessante Frage, weil darin ja sich auch
die Erwartung nicht unbedingt widerspiegeln muss, sondern man dann ja auch relativ frei ist in seiner
Auswahl. Auch das haben wir in sehr vielen unterschiedlichen Studien gemacht. In fast
allen Studien, in denen wir diese Frage gestellt haben, also wie viele Jahre würden sie denn oder
wie alt würden sie denn gerne werden. Und wir dann die Diskrepanz errechnen zwischen gewünschten und
erwarteten Alter, finden wir eigentlich, dass es im Durchschnitt so drei bis fünf Jahre Unterschied
gibt. Und das durchschnittlich gewünschte Alter, das Menschen erreichen möchten, ist 86. Klingt
eigentlich zunächst mal gut. Menschen fühlen sich jünger, als sie sind. Wenn sie denn gesund sind,
ist das auch in Ordnung, sich so jung zu fühlen. Wenn sie denn nicht so gesund sind, dann würden
sie gerne noch ein paar Jahre mehr haben. Menschen wünschen sich im Prinzip ein hohes Alter und haben
sogar den Wunsch, etwas länger zu leben, als sie glauben, dann tatsächlich alt zu werden. So zunächst
mal die Perspektive. Auch hier unterscheiden sich Männer und Frauen. Vor allem, das ist jetzt hier
eine interessante Studie, die wir im Rahmen eines von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projektes
durchgeführt haben. Da haben jetzt die jungen Männer ein bisschen sich besonders verhalten. Das
ist nicht immer der Fall, auch ein seltenes Ergebnis. Aber wir sehen bei den Männern generell ein
bisschen eine illusionäre Tendenz. Und gerade hier sieht man das sehr schön. Junge Männer haben hier
vielleicht Vorstellungen, die doch ein bisschen ins Unrealistische gehen, dass sie nämlich dann
doch eher an die 100 Jahre wünschen. Was bedeutet aber nun dieser Wunsch? Ist das tatsächlich ein
Ausdruck dessen, dass Menschen mehr wissen über gerontologische Befunde, über die Notwendigkeit im
Alter, eben auch sich auseinanderzusetzen mit Fragen von Krankheit und vielleicht auch Verlust
von Selbstbestimmung? Das ist offensichtlich nicht der Fall, denn wir haben nachgefragt, würden sie
denn auch gerne so alt werden, wie sie sich wünschen, alt zu werden, wenn sie dafür dann
gesundheitliche Einschränkungen in Kauf nehmen müssten, Pflegebedürftigkeit, Gebrechlichkeit.
Und dann sagen drei Viertel, egal in welcher Altersgruppe, egal ob Männer oder Frauen,
sie sehen hier ganz klein immer jeweils Männer und Frauen dargestellt, in den Altersgruppen von
16 bis über 80 Jahre. Alle sagen nein. Also länger leben als erwartet und mir das wünschen,
nur unter der Bedingung, dass ich gesund bin. Und dann sehen wir wieder Selbstbestimmung,
offensichtlich begrenzt durch gesundheitliche Einschränkungen, gesundheitliche Verluste. Und
eigentlich geht es ja gerade darum, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Schaut man sich
jetzt nun die sehr wenigen an, die sagen ja, ich hatte eigentlich auch schon gesundheitliche
Einschränkungen in meinem Lebensdauerwunsch eingerechnet, dann sind das diejenigen, die
auch am ehesten zeigen, dass sie Gesundheit auch und gesundheitliche Verluste auch einrechnen,
in ihre Vorstellungen eines erfüllten Alters. Das kann man an dieser Stelle dann auch zeigen.
In gewisser Weise zeigen diese ersten Darstellungen ja auch schon, was eigentlich wir unter
Selbstbestimmung verstehen. Es ist vor allem eine Selbstbestimmung, die in einer humanistischen
Tradition wurzelt und in Deutschland eine sehr, sehr lange Tradition hat, die auf Charlotte Bühler,
die Begründerin der humanistischen Psychologie zurückführt, die nämlich in ihrer Perspektive
auf den Lebenslauf und die lebenslange Entwicklung vor allem ein Modell der
Selbstbestimmung in den Vordergrund gestellt hat und dargestellt hat, dass in jeder Lebensphase
Menschen besondere Bedingungen der Selbstbestimmung erfüllen wollen und erfüllen müssen. Und im
Alter ist eben die besondere Herausforderung der Selbstbestimmung das erfüllte Altern. Und das
erfüllte Altern ist kontrastiert durch die Möglichkeit, es nicht zu schaffen, zu versagen
in diesen Zielen und Wünschen, die das Leben prägen und die im Alter eben besondere Herausforderungen
stellen. Charlotte Bühler also schreibt, der Mensch lebt sein Leben in teilweise unbewusster,
teilweise bewusster Regulierung seines Systems und das Alter betrachte ich als eine Periode,
in der das Individuum sein Leben als Erfüllung, Resignation oder Versagen erlebt. Und damit hat
Charlotte Bühler die Grundlagen gelegt für unsere moderne Sicht auf das Alter. Und sie hat im Prinzip
damals schon vor immerhin bald 80 Jahren dargestellt, dass wir unser Leben nach Zielen
organisieren und dass wir im Alter nach Zielen streben. Und diese Ziele lassen sich auch recht
gut beschreiben. Wir wissen sehr viel über das, was ein erfülltes Leben im Alter ausmacht. Es gibt
hier einige sehr berühmte und wichtige Studien, die immer wieder ähnliche Befunde. Und auch hier
könnte ich viele Studien darstellen, auch Studien aus unserer eigenen Forschung, aber hier die
bekannteste. Es ist eine Studie am Berliner Max-Planck-Institut durchgeführt von Jutta
Heckehausen, die dargelegt hat, wie sehr eben das Alter durch ganz eigene, ganz besondere
Erfüllungsziele geprägt ist. Und diese Erfüllungsziele haben in der Regel zu tun mit Gesundheit. Das ist,
wonach wir im Alter streben, mit Freizeitbedürfnissen, aber eben auch mit gemeinschafts-
und gemeinwohlorientierten Zielen, wohingegen andere Ziele, die eben eher das junge Erwachsenenalter
prägen, die mit Beruf, vielleicht auch mit finanziellen Fragen oder auch mit Familienfragen zu
tun haben, eben dann ein bisschen in den Hintergrund treten. Das sind die Inhalte solcher Ziele und
diese Inhalte sind ja austauschbar, beliebig. Es gibt auch eine große Variabilität. Jeder von uns
würde diese Ziele ein wenig anders formulieren und vielleicht auch ein wenig anders dann auch
erleben. Aber hinter all diesen Zielen kommt immer wieder eine gemeinsame Sichtweise hervor, die eben
genau auf das zielt, was eigentlich Charlotte Bühler meinte, als sie von Erfüllung sprach.
Nämlich, dass wir in unseren Zielen danach streben können zu wachsen, eben zu reifen, indem wir diese
Ziele erreichen. Das ist die Erfüllung. Oder aber wir können eben auch Ziele formulieren, auch das
kann hinter Freizeit-Zielen und Gesundheitszielen stecken, die nur bedeuten, ja eigentlich möchte ich
vor allem Verluste vermeiden. Ich möchte vorbeugen, ich möchte erhalten, was ich erreicht habe. Das ist
das, was wir in der Vorbeugung auch sehen, wenn wir zum Beispiel uns den Vortrag aus der
Sportwissenschaft vor Augen führen oder auch aus der Ernährungsmedizin, wo es ja in der Regel darum
geht, den gesundheitlichen Verlusten vorzubeugen. Das sind wichtige und legitime Ziele. Wir können
also zwei große Klassen von Zielen unterscheiden, nämlich die Ziele, die mit Selbsterfüllung,
Selbstaktualisierung, Selbstverwirklichung zu tun haben und solchen Zielen, die mit der Vermeidung
der Verluste im Alter zu tun haben. Und auch hier gibt es sehr viele Studien, die immer wieder ein
ganz ähnliches Ergebnismuster zeigen, nämlich das charakterisiert das Alter, nämlich dass wir
beide Arten von Zielen verfolgen, nämlich Wachstumsziele, das ist auch typisch für junge
Menschen übrigens. Junge Menschen wollen in der Tat etwas erreichen im Leben, sie wollen wachsen,
sie wollen sich fortbilden, aber auch ältere Menschen haben eben Wachstumsziele. Das sehen wir
ja auch, wenn wir über das Lernen im Alter nachdenken, wie stark eben auch im Alter noch
ein Lernziel möglich ist, Lernen möglich ist und es auch dort noch Wachstum gibt. Gleichwohl fangen
eben auch an, Verlust, Präventionsvorsorge, Vorbeugungsziele eben an Bedeutung zu gewinnen
und das scheint ein Thema zu sein, das eben jungen Erwachsenen nicht so nahe liegt. Und da haben wir
also nun eine ganz wichtige Erkenntnis, die eigentlich die deutschsprachige Altersforschung
und Alterspsychologie in ganz besonderer Weise geprägt hat, nämlich hinter den Zielen, die
Menschen ausdrücken, steckt nicht nur, dass sie Ziele haben, sondern da steckt eben auch ein ganz
bedeutsames Streben nach Selbstbestimmung, nach Erfüllung, nach Wachstum, im Prinzip ein Streben
danach, die eigene Entwicklung und das eigene Altern zu gestalten. Und derjenige in Deutschland,
der diese Mitgestaltung des eigenen Lebens im Alter am stärksten geprägt hat, ist der Nestor
der deutschen Gerontologie, nämlich Hans Thomme, der in sehr bedeutender Weise in sehr vielen
Arbeiten uns immer wieder vor Augen geführt hat, wie wichtig das Verständnis differenzieller
Alternsprozesse ist und das Individuum Mitgestalter des eigenen Lebens und des eigenen Alters ist.
Er schreibt an einer Stelle in seinem Buch, das die Ergebnisse der Bonner Längschnittstudie
zusammenfasst, der ältere Mensch erscheint somit nicht als Objekt eines von seinem Willen
unabhängigen, genetisch programmierten Alternsprozesses, noch als das einer
bestimmten sozialen Situation. Er wird zum Mitgestalter des Stiles angesehen, in dem sich
sein Leben vollziehen wird. Hans Thomme hat also ganz deutlich Unterschieden zwischen den Stilen
des Alterns, die wir selbst beeinflussen, die wesentlich zeigen, wohin es geht, wohin wir kommen
können, wenn wir uns bemühen und gleichzeitig auf der anderen Seite eben die Schicksale, die uns von
außen prägen, die wir nicht in der Hand haben, gegen die wir uns eben auch abgrenzen. Selbstbestimmung,
eben auch eine Abgrenzung von den Verlusten und Bedrohungen, vielleicht auch Kränkungen
gesundheitlicher Einschränkungen. Dazu gibt es so viele Illustrationen, wie diese Selbstbestimmung,
wie diese Mitgestaltung des eigenen Lebens aussehen kann. Aus meiner Sicht eindrücklichsten ist der
Befund zu den Veränderungen der sozialen Einbindung im Alter, die immer wieder die
Alternsforschung seit über 50, 60 Jahren immer wieder beschäftigt hat. Ältere Menschen, so scheint
es, haben weniger soziale Beziehungen, sind einsamer, ziehen sich zurück in kleinere soziale
Welten und das alles, dachte man doch lange Jahre, ist doch eigentlich ein Ergebnis, das nicht
wünschenswert ist. Ältere Menschen sollten aktiv sein, soziale Beziehungen unterhalten und so weiter.
Wir sehen aber auf der anderen Seite, dass es doch gute und viele Befunde gibt, dass diese
Eingrenzung der sozialen Beziehungen in kleine wichtige Segmente und wichtige Rollen eben auch
funktional ist und guten Zwecken dient. Und das wichtigste dabei ist, dass offensichtlich eine
solche Entwicklung im Alter nicht so sehr zu tun hat mit Gründen, die man nicht selbst kontrolliert.
Also die Eingrenzung der sozialen Beziehungen ist zu einem wesentlichen Teil ein Ergebnis
selbstbestimmten Gestaltens der sozialen Umwelt. Wir haben das in einer Lenkschnittstudie im Rahmen
der Berliner Alterstudie belegen können, sehr schön belegen können, weil wir dort die Möglichkeit
hatten, 70 bis 103 jährige Personen über einen Zeitraum von vier Jahren ganz ausführlich zu
befragen, welche Beziehungen sie unterhalten und dann hatten wir die Möglichkeit eben nach vier
Jahren noch mal zu fragen und dann hatten wir die Möglichkeit an dieser Stelle in der Befragung auch
immer gleich nachzuschauen, was haben sie denn das letzte Mal geantwortet, welche Beziehungen haben
sie denn vor vier Jahren unterhalten und wir konnten dann fragen, ja was ist denn hier aus der Person
geworden, die sie damals genannt haben. Und dann gibt es so Gründe zu sagen, naja die Person ist
gestorben, die Person ist krank, die kann nicht mehr, ich selbst fühle mich nicht mehr so mobil,
dass ich dahin komme oder ich erinnere mich einfach nicht, weiß gar nicht wer war das. All diese
Gründe gibt es, die haben wir alle als fremdbestimmte Gründe bezeichnet, alles Gründe die nicht in der
eigenen Kontrolle liegen und dann gibt es aber auch diese andere Art von Gründen, nämlich der hat
mir nicht mehr gefallen, das war auch nicht mehr gut für mich oder also das ist keine wichtige
Person für mich, das war nicht befriedigend. Alles solche Gründe, die wir als selbstbestimmte
Gründe benennen würden, eine Beziehung abzubrechen einfach weil man sich der Ansicht ist, jetzt ist
nicht mehr genug Zeit im Leben, um sich mit solchen Leuten auseinanderzusetzen und wie sie erkennen
hier, sie sehen hier die 70-jährigen bis 100-jährigen, also in drei Altersgruppen dargestellt, ganz rechts
die über 90-jährigen und da sehen sie gerade bei den über 90-jährigen ist die selbstbestimmte
Gestaltung der Beziehungen besonders stark ausgeprägt und in den früheren jüngeren Jahren, also so wie
Cornell Sieber sagen würde, der späten Adoleszenz des Alters ist auch Fremdbestimmung durchaus noch
üblich, aber auch dort überwiegen schon die selbstbestimmten Gründe der Gestaltung des eigenen
des eigenen sozialen Umfelds. Ich will ein kleines Zwischenfazit ziehen, was bedeutet denn jetzt
eigentlich Selbstbestimmung vor diesem Hintergrund der großartigen Traditionen von Charlotte Bühler
und Hans Thommy, das ist nicht immer klar definiert, weder bei Charlotte Bühler noch bei Hans Thommy.
Ich glaube die Bedeutung der Selbstbestimmung hat sehr viele Komponenten, die wir im Einzelnen
betrachten müssen und die sich ja auch im Einzelnen illustrieren lassen. Eine der entscheidenden
Komponente der Selbstbestimmung im Alter ist Individualität. Das ist die humanistische
Tradition, dass wir die persönlichen Ziele, die Einzigartigkeit des elternen Menschen in
besonderer Weise eben in dessen Bedürfnis nach Selbstbestimmung ausgeprägt finden. Dazu hatte
ich schon einiges illustriert und daraus folgt aus der enormen Individualität, die das Alter
kennzeichnet, zugleich die enorme Vielfalt, die Heterogenität. Es gibt keine Lebensphase außer
das des Alters, die in einer solchen Weise durch Heterogenität geprägt ist. In jeder anderen
Lebensphase können wir Normen formulieren, Regeln, Gesetze, Lösungen, die für alle gelten. Für den
Säugling wissen wir alles, was der braucht. Beim älteren Menschen wissen wir nichts, bevor wir nicht
die Einzigartigkeit des Individuums genau verstanden haben, die Individualität kennen. Die Vielfalt
impliziert eben auch besondere Fähigkeiten sich zu verändern. Es gibt im Alter eben auch besondere
Chancen aus dieser Einzigartigkeit etwas zu machen. Aus der Vielfalt folgt deswegen aber auch etwas,
was in das Altern besonders herausfordert, nämlich dass der Einzelne ist zurückgeworfen auf sich.
In keiner anderen Lebensphase ist er so alleine, so einzigartig mit seinem geworden sein in dieses
Leben hinein und in diese Alternphase hinein. Deswegen erfordert das Alter auch besondere
Verantwortung. Die Eigenverantwortung wird eben auch nirgends so stark gefordert wie im Alter und
zugleich so wenig gefördert. Bei den jüngeren Erwachsenen und auch den Kindern wissen wir genau,
Selbstständigkeit ist das Ziel. Im Alter ist der Einzelne zunächst mal allein und dem steht zugleich
gegenüber ein enormes Streben nach Erfüllung und Selbstbestimmung. Und die Lösung für diese
Eigenverantwortung heißt Prävention und Vorsorge. Das haben wir aus vielen Vorträgen gelernt, in denen
wir eben verstehen, in welcher Weise wir über Ernährung, auch Bewegung, vielleicht auch ein
bisschen die Gestaltung der Beziehungen etwas tun können, um unser Alter optimal und selbstbestimmt
zu gestalten. Also gilt es zu zeigen, wenn dieses Selbstbestimmungsmodell funktioniert, dass hier
eben auch tatsächlich eine hohe Bereitschaft zur Vorsorge ist und schön wäre es vielleicht,
auch diese Vorsorge würde schon bei jüngeren Menschen beginnen, aber wir wissen, das sind nicht
die Ziele, die im jüngeren Menschen, beim jüngeren Erwachsenenalter normativ vorkommen. Die Vorsorge
für die letzte Lebensphase setzt natürlich auch voraus, dass man sich mit Endlichkeit und Tod und
Sterben auseinandersetzt, weil das ja die Fragen sind. Und diese Vorsorge zeigt sich natürlich auch
darin, ob die Menschen zustimmen, dass sie bereits mit Endlichkeit und sich mit diesen Fragen der
Endlichkeit auseinandergesetzt haben. Das kann man auf vielfältige Weise erfragen, indem man eben
auch die Leute einschätzen lässt, in welcher Weise sind sie denn, setzen sie sich denn mit dem Leben
auseinander und mit der Endlichkeit des Lebens. Und dann sehen wir zunächst einmal hier ganz rechts,
dass die älteren Menschen die Endlichkeit häufiger und besser akzeptieren als jüngere Menschen.
Jüngere Menschen leben oft auch noch ein wenig im Glauben, es ginge eigentlich ewig so weiter. Das
ist schwer vorstellbar, wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat, aber es gibt einen gewissen
Glauben an eine solche Unstärklichkeit. Und diese Akzeptanz, das Akzeptieren der eigenen Endlichkeit
geht einher mit einem sehr interessanten Phänomen, das uns auch deutlich macht, was denn der Vorsorge
eigentlich gemeint ist und was die Selbstbestimmung im Alter im Sinne der Erfüllung auch bedeuten kann.
Nämlich über die Grenzen des eigenen Lebens hinaus zu denken, die Grenzen des Lebens und die
Endlichkeit zu überwinden. Ich komme damit zum Schluss und ziehe ein Fazit. Ich bin davon
ausgegangen zunächst einmal, dass die Einschätzung der eigenen Lebenserwartung nicht wirklich sich
widerspiegelt im Denken der meisten Menschen. Und das sehen wir daran, dass die tatsächliche
Lebenserwartung in der Regel unterschätzt wird und dahinter drückt sich aus, dass ein paar Jahre
weggekürzt werden, die nicht der gesunden, aktiven Lebenserwartung entsprechen. Und das zeigt sich
auch in der Diskrepanz zwischen gefühlten und gewünschten Alter und es zeigt sich im Umgang mit
Selbstbestimmung und dem Wunsch, lange zu leben, nur unter der Bedingung selbstbestimmt und nicht
gesundheitlich eingeschränkt zu leben. Und die Selbstbestimmung, die wir dabei meinen und erleben,
können wir festmachen an individuellen Zielorientierungen, auch an der Haltung zu
Vorsorge, an dem Zusammenspiel von Wachstums- und Vorsorgezielen und auch an der Lebens- und
Beziehungsgestaltung, in der sich der Einzelne aktiv engagiert erlebt. Und dabei zeigen sich
aber dann Grenzen. Und diese Grenzen sind überwindbar und sie sind Teil eines erfüllten
Alters, nämlich wenn wir den Umgang mit gesundheitlichen Einschränkungen nicht so
sehr als Belastung, sondern eben auch als eine Chance erkennen und die Endlichkeit des Lebens
transformieren über die Grenzen des Lebens hinaus im Sinne der Verantwortung für nachkommende
Generationen und dabei auch das Angewiesensein auf andere Menschen als einen Teil des Alters,
des erfüllten Alters erleben. Die Selbstbestimmung hat also Grenzen, aber diese Grenzen sind Teil
eines erfüllten Alters. Vielen Dank.
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:30:23 Min
Aufnahmedatum
2011-07-27
Hochgeladen am
2012-02-17 11:31:38
Sprache
de-DE
Für viele Menschen verbindet sich mit dem Alter die große Sorge, nicht mehr selbst über das eigene Leben bestimmen zu können. Eine Kernfrage der psychogerontologischen Forschung beschäftigt sich mit den Bedingungen und Umständen, die ein selbstbestimmtes Leben im Alter fördern. Mit dem Begriff der Selbstbestimmung eng verbunden ist die Individualität und Eigenverantwortung des älteren Menschen. Selbstbestimmung bedeutet somit auch Mitgestaltung des eigenen Alterns, was sich in der Gestaltung sozialer Beziehungen, persönlichen Zielen und Vorsorge für das eigene Alter ausdrückt. Die Grenzen der Selbstbestimmung zeigen sich dabei im Umgang mit Verlusten und mit der Endlichkeit des Lebens.