Ein herzliches Willkommen an Frau Prof. Dr. Natascha Gens. Frau Gens leitet den Lehrstuhl für
Synologie an der Universität in Edinburgh und ist seit gut zwei Monaten bei uns Gastwissenschaftlerin
am Internationalen Kaleak für geistwissenschaftliche Forschung. Frau Gens, würden Sie uns kurz erzählen,
wie Sie hierher gekommen sind? Zum einen verbindet mich eine langjährige wissenschaftliche Zusammenarbeit
mit dem Leiter des IKKF, mit Prof. Michael Lackner, denn er war sozusagen mein erster Arbeitgeber
direkt nach der Dessertation, als ich bei ihm in einem größeren Forschungsprojekt zur chinesischen
Begriffsgeschichte arbeiten konnte. Von daher wusste ich von dem Kollege allerdings, ist es
auch der internationale Ruf, von dem ich gehört habe, auf Konferenzen, auf die ich in den letzten
Jahren von Kollegen aus Princeton, Harvard oder Peking, die alle schon mal in Ahr lang waren.
Und dadurch wurde ich natürlich auch neugierig. Und gleichzeitig hat aber auch die Fragestellung
des IKGF mir geholfen, eine spezifische Fragestellung in meinem eigenen Projekt neu
anzugehen und zu lösen. Und von daher war ich auch sehr interessiert, hierherzukommen.
Würden Sie vielleicht kurz was zu Ihrem Forschungshintergrund erzählen, weil Sie es
gerade auch angesprochen haben? Was haben Sie so für Forschungsschwerpunkte?
Also ganz generell beschäftige ich mich mit interkulturellen Auseinandersetzungen in China
im 19. Jahrhundert. Das ist die Zeit, die so als die Begegnung mit dem Westen bezeichnet wird.
Und mich interessieren Fragen des Wissenstransfers in dieser Zeit, der globalen Zirkulation von
Texten, von Wörtern auch, von der Rezeption der europäischen Moderne und der Entstehung
einer kritischen Öffentlichkeit. Das sind die Sachen, mit denen ich mich früher beschäftigt habe.
Jetzt haben Sie ja ein Forschungsvorhaben hier am Kollege, dass sich zu Freiheit und Schicksal
und freiem Willen in den Diskursen zu chinesischen Tragödien beschäftigt.
Könnten Sie das vielleicht kurz ein bisschen erklären?
Ja, generell ist die grundlegende Fragestellung die, ob es in China Tragödien oder einen Begriff
vom Tragischen gegeben hat oder nicht. Und das wird bis heute in China sehr unterschiedlich
beantwortet. Mit extremen Polen von China. Das chinesische Theater hat seine Wurzeln in der Tragödie.
Oder China hat nie einen Begriff vom Schicksal gehabt wie im Westen und kann deswegen das Tragische
gar nicht denken. Und diese Diskussion oder diese Diskurse haben ihren Ursprung im späten
19. Jahrhundert mit der ersten Rezeption des Tragischen oder der Tragödie. Die Frage, ob es
eigentlich Tragödie in China gegeben hat, war aber auch für europäische Philosophen von Anfang an
sehr zentral. Und es gibt kaum einen von Hegel über Jaspers oder Weber oder Babbit, der sich
nicht irgendwie dazu verhalten hat. Mich interessiert aber jetzt nicht die Frage, ob es in China eine
Tragödie gegeben hat oder nicht, sondern wie die Diskussion darüber geführt wird und wie die
zentralen Begriffe von Freiheit und Schicksal und Selbstbestimmung in diesen Diskussionen verhandelt
wird und dann in China neu verstanden und in eine indigene Tragödie Theorie eingebunden wird.
Jetzt finden sich in Ihrem Forschungsverhaben ja schon einige Stichpunkte, die natürlich schon
den Titel unseres Kollegen prägen, Freiheit und Schicksal natürlich. Wie würden Sie Ihr Projekt so
in einen größeren Bereich in unseren Forschungsgelenk eingliedern? Die Fragen von Schicksalfreiheit,
Selbstbestimmung sind einfach die zentralen Parameter, in der die europäische Diskussion über
die Tragödie geführt worden ist. Man hat über das griechische Theater gesprochen als deterministisches
Theater. Man hat aber auch Entscheidungsspielräume bei den Protagonisten nachvollziehen können und
natürlich hat sich über die Jahrhunderte sowohl die Tragödie im europäischen Kontext als auch die
Diskussion darüber sehr stark verändert. Einen entscheidenden Anstoß haben wir da im 18. Jahrhundert
vor allem über die deutsche Philosophie, über Schelling und Lessing und später Hegel. Und für
diese Philosophen war die Frage, ob es in China eine Tragödie gibt, ebenso zentral, weil sie im
Zusammenhang steht damit mit dem Verständnis, dass in Griechenland die Tragödie sozusagen den
Durchbruch zum philosophischen Denken verbracht hat. Und nun ist die Frage nach dem tragischen
Wissen in China zentral für diese europäischen Philosophen, um zu sehen, ob sich eine ähnliche
philosophische Entwicklung im europäischen Sinne dann auch in China vollzogen hat. Und
innerhalb dieser Diskussion sind eben jedes Mal die Fragen nach Schicksalfreiheit und
Selbstbestimmung zentral gewesen. Nun in China findet diese Rezeption dieser Diskussion dann statt
Presenters
Nikola Chardonnens
Prof. Dr. Natascha Gentz
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:08:55 Min
Aufnahmedatum
2013-05-01
Hochgeladen am
2017-05-14 12:52:17
Sprache
de-DE
An Interview by Nikola Chardonnens with Prof. Natascha Gentz
Chinas encounter with the Western World, the reception of European Modernity and Chinese conceptual history among others, these are the topics addressed in the research of the director of the Asian Studies Department of the University of Edinburgh, Natascha Gentz. In conversation with Nikola Chardonnens, she emphasizes the unique atmosphere at the Consortium, oscillating between topicality and interdisciplinarity - a combination that inspired her research greatly.