Liebe Studierende, jetzt steht Rousseau auf dem Programm.
Ein weiß Gott widersprüchlicher Mensch und deshalb auch ein widersprüchlicher Schriftsteller und politischer Theoretiker.
Dass Grundschriften der politischen Theorie unterschiedlichen Interpretationen unterliegen, ist normal.
Das finden Sie immer, ob es um Platon geht, Aristoteles, John Locke, Kant, Hegel, egal.
Also da werden die Akzente dann in der Interpretation doch vielleicht etwas unterschiedlich gesetzt und davon lebt ja auch die Debatte.
Wenn es um Rousseau geht, sind die Differenzen in der Interpretation allerdings ganz besonders krass.
Also Rousseau gilt auf der einen Seite als der Begründer der modernen Volkssouveränität.
So ist er dann z.T. auch in der französischen Revolution gefeiert worden.
Begründer der modernen Volkssouveränität.
Und auf der anderen Seite gilt Rousseau als Vorläufer des modernen Staatstotalitarismus.
Das klingt jetzt etwas anders. Also radikal anders.
Ich würde sagen, beide Interpretationen haben manches für sich.
Auch wenn sie natürlich in Widerspruch zueinander stehen.
Aber genau das hat seinen Grund darin, dass die Widersprüchlichkeit in der Persönlichkeit Rousseaus schon greifbar ist.
Also man kann diese Widersprüche übrigens auch sich klar machen an zwei bedeutenden Schülern Rousseaus.
Schüler ist ein komischer Begriff, denn im engeren Sinne des Wortes hat er keine Schüler.
Also sagen wir mal zwei Menschen, die sich sehr stark auf ihn bezogen.
Der eine war Kant. Also Kant sagt von sich selber, Rousseau habe ihn auf den richtigen Weg zurückgebracht.
Und der andere bedeutende Schüler in Anführungszeichen Robespierre.
Also Robespierre, der wie kein anderer die radikale Phase der französischen Revolution, den Jakubinismus, repräsentiert.
Also Robespierre ein glühender Verehrer Rousseaus.
Kant und Robespierre, also größer kann die Differenz kaum ausfallen.
Also Kant, der Gelehrte in Königsberg, ein Menschenfreund, liberaler Denker, revolutionär im Geiste, aber ein Reformer, wenn es um Praxis geht.
Robespierre dagegen, der fanatische Revolutionär, der die Tugend der Bürger mit Mitteln politischer Gewalt erzwingen wollte.
Also das ist in der Tat ein krasser Gegensatz, Kant und Robespierre.
Aber beide beziehen sich auf Rousseau.
Und insofern ist das Potenzial auch sehr unterschiedlicher Interpretationen hier in der Person schon angelegt.
Ja, also Rousseau gehört zu den großen Suchenden.
Wir haben ja in der Ideengeschichte den Typus derer, die Systeme bilden, die große Synthesen auch zustande bringen,
etwa Thomas von Aquil oder vorher schon Platon, später Hegel.
Aber wir haben eben auch den Typus derer, die vor allem dadurch wirksam werden, dass sie Fragen stellen.
Boehende Fragen, skeptische Fragen. Also dieser Typus wird vielleicht von kaum jemandem so verkörpert wie von Rousseau.
Rousseau, der mit sich selber nicht klar kam, mit seinem Leben nicht zurecht kam, aber dieses auch mit geradezu schonungsloser Selbstanalyse dann reflektierte.
Also eines der Werke von Rousseau knüpft unmittelbar an Augustinus an.
Vielleicht erinnern Sie sich, Augustinus ist ja auch berühmt geworden durch seine Confessiones, eine Autobiografie mit stark kritischen, selbstkritischen Bezügen.
Und ein Titel der Werke Rousseaus lautet genauso, Confession, also jetzt auf Französisch, die Confession ist,
wo Rousseau ähnlich wie über tausend Jahre zuvor Augustinus dann schonungslos einer psychologischen Selbstanalyse nachgeht,
die Abgründe der eigenen Seele auslotet.
Bei Rousseau mutet das manchmal schon an wie ein geradezu masochistischer Exhibitionismus.
Also das Buch kann man nicht ganz leicht ertragen, aber es ist, das kann ich Ihnen jedenfalls sagen, niemals langweilig.
Rousseau hat Impulse gegeben, gegen ganz unterschiedliche Richtungen gehen.
Ich habe eben schon mal gesagt, Begründer der modernen Volkshoherität, Ahnherr, aber auch des politischen Toterlitarismus.
Dann irgendwie ist er auch Begründer der modernen Reformpädagogik, entdeckt die Kindheit als eigenständige Lebensphase,
was übrigens dann mit seiner eigenen Lebenspraxis völlig in Widerspruch steht, weil er seine eigenen Kinder ins Findelhaus abgibt.
Er romantisiert die Kindheit und wird Impulsgeber der Reformpädagogik.
In mancher Hinsicht nimmt er Elemente der Romantik vorweg, die Kultur der Empfindsamkeit, auch das geht auf ihn zurück.
Er hat dann aber auch Impulse gegeben, die man später im Kommunismus aufgegriffen hat, wo dann auch Rousseau als einer der Vorläufer mit aufgenommen worden ist.
Also in der Tat ein Mensch, der Impulse gegeben hat, aber immer wieder neue Impulse.
Eigentlich sind alle seine Impulse irgendwie auch wieder versandet, sind in Aporien geendet,
weshalb er dann wieder andere Anläufe unternimmt und dabei irgendwie immer mehr auch abdriftet.
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:10:23 Min
Aufnahmedatum
2020-10-21
Hochgeladen am
2020-11-02 10:13:42
Sprache
de-DE
Rousseau